Musikalischer Widerstand als Circe der kritischen Theorie

Theodor W. Adorno - vor hundert Jahren in Frankfurt geboren

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Am 11. September 2003 feiert die Stadt Frankfurt a. M. das runde Jubiläum eines ihrer größten Söhne nach Goethe: 1903 wurde Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno als Sohn des jüdischen Weinexporteurs Oscar Alexander Wiesengrund und der katholischen Sängerin Maria Cavelli-Adorno della Piana in Frankfurt geboren. Später, anlässlich seiner amerikanischen Exil-Einbürgerung 1943 in Los Angeles, nahm Adorno den musikalisch klingenden Namen der Mutter an und zog den des Vaters zum charakteristischen Kürzel zusammen: "Theodor(e) (W.) Adorno". Dieser Name gehört längst zusammen mit dem von Max Horkheimer, zur Gründungsurkunde der kritischen Theorie.

Zunächst dort, dann in der zögerlich begonnen Emigration während des Dritten Reichs in England und den USA und schließlich seit 1949 wieder in Frankfurt, hat Adorno sein Denken bis zu seinem Tode 1969 in philosophischen, theologischen, soziologischen und ästhetischen Motiven der kritischen Gesellschaftsanalyse in einzigartiger Weise gebündelt. Die oft sprunghaften, paradox-widersprüchlichen Formulierungen und gewundenen Gedankengänge des Meisterdenkers haben seine Freunde und Gegner bis heute gleichermaßen fasziniert und herausgefordert.

Drei lesenswerte Biographien

Das bestätigen auch die zahlreichen aktuellen Publikationen, darunter gleich drei lesenswerte Biographien: Lorenz Jäger hat bei DVA die monographisch zugespitzte Studie veröffentlicht, die immer übersichtlich am Puls der großen Zeitgeschichte bleibt: "Adorno - eine politische Biographie". Er arbeitet ein zwiespältiges Verhältnis von Adorno zur Politik zwischen bürgerlich-ästhetischer Reserve und negativem Utopismus thesenhaft heraus. Jägers Darstellung erwärmt sich immer wieder, wenn es um Themen und Nuancen im Bereich der Ästhetik und jüdisch-christlichen Theologie geht, nimmt aber einen schonungslos realistischen Tonfall an, wenn er Adornos Versuch einer modernen kritischen Gesellschaftstheorie die Souveränität einer zusammenhängenden Konzeption abspricht und sein Werk eher unter dem Druck der sozialen und politischen Wirklichkeiten zerbrechen sieht.

Er führt deshalb kritische und mitunter auch neidisch-missgünstige Stimmen von Freunden und Zeitgenossen an, vor allem den antiintellektuellen Sarkasmus Brechts gegen den "Frankfurt(o)uristen", um die Einsamkeit eines vor allem ästhetischen und aus konservativer Sicht letztlich nur pseudopolitischen Denkers auszuschraffieren. Am Ende heißt es: "Als Adorno 1969 starb, war auch das normative Potential seiner Theorie erschöpft. Die heroische Moderne von 1903 hatte ihre Zeit gehabt."

Es geht auch anders: Stefan Müller-Doohm hat bei Suhrkamp ein akribisch zusammengetragenes akademisches Standard- und Nachschlagewerk: "ADORNO" abgeschlossen. Er zeigt darin die Genese des Denkers und die Entwicklung seines breit gefächerten Werkes umfassend auf. Und er würdigt Adornos Werk als einen heute noch gültigen Beitrag für die intellektuelle Mitbegründung einer linksliberalen Bundesrepublik, auch in jenen Momenten des politischen Zögerns, in denen Adorno den zivilen Protest der 68er-Studenten in den vorschnellen und konzeptlosen Aktionismus einer gewaltsamen, aber leerlaufenden Revolte umschlagen sieht. "Absicht der Rekonstruktion von Adornos Leben und Werk in seiner Zeit war es keineswegs, eine Geheimkarte für Schatzgräber zu liefern, deren Entdeckungseifer aber doch angestachelt werden sollte." Müller-Doohm lässt es offen, ob seine Liste der philosophischen Verdienste Adornos vollständig sei: "der Kritik am Identifikationszwang und am restriktiven Vernunftbegriff, der mikrologischen Interpretationsmethode, der Musik- und Literaturanalyse, der Theorie der Avantgarde und der Medienkritik".

Detlev Claussen hat bei Fischer mit dem Titel "Adorno. Ein letztes Genie" in einer einfühlsamen Darstellung auch der impliziten jüdischen Kultur die ästhetische Dimension von Adornos Denken als Medium der Erkenntnis in den Vordergrund gestellt. Dabei wendet sich Claussen entschieden - mit Adorno - gegen den Trivialbegriff des Genies, in dem das künstlerische Werk durch ein biographisches Deutungsmuster letztlich verkleinert werde. Auch die nach Adornos Tod "populär" gewordene "Methode", "ihn als Künstler zu verehren, um ihn gleichzeitig als Wissenschaftler unmöglich zu machen" sei nicht gemeint. "Zu Lebzeiten Adornos sind seine Gegner meist umgekehrt verfahren: Adorno wurde oft als gescheiterter Künstler dargestellt, dem nur noch das Grau der Theorie geblieben ist." Claussen verrät nicht gleich, was unter Genie zu verstehen sei. Aber er bezieht sich wohl auf die Fähigkeit, nicht nur isoliert Wörter zu formulieren oder Töne zu setzen, sondern gleich ganze "Konfigurationen" zu artikulieren, in denen Denken und Kunst, Logik und Ausdruck, intellektuelle Konstruktion und dynamische Ereignisse, Sinn und Hintersinn spannungsvoll ausformuliert werden.

Adornos eigener, zwischen Philosophie, Soziologie, Literatur und Musik ständig hin- und herpendelnder Weg mag für den nichteingeweihten Leser bis heute befremdlich sein. Gerade deshalb sind die angeführten Biographien auch als Referenzen so wichtig, um das Nebeneinander oder Ineinander von sich andeutenden Intuitionen und ihrer begrifflichen Entfaltung besser einschätzen zu lernen.

Denken zwischen Konstruktion und Erfahrung

Adornos philosophischer Doppelweg von Konstruktion und Erfahrung bedeutete: menschliches Denken und Erkennen immer zwei-strängig zu sehen: einerseits als Versuch der systematischen Ordnung in einem rationalen, nach Kriterien konstruierten Zusammenhang, andererseits als Radikalisierung der Denkbewegung über ein geschlossenes System (z.B. Hegel) hinaus, um das Nicht-Identische, das A-Logische zuzulassen und in den Raum des Anschaulichen, der Erfahrung, des ungezähmten Ausdrucks vorzustoßen. Adorno dachte sich allerdings beide Pole nicht mechanisch voneinander getrennt. Rein logische Gebilde - ohne anschauliche Bezüge - erschöpften sich sowohl bei den großen Philosophen, aber auch bei den formalen Logikern - und heute oft in den digitalen Konstruktionen von Bild-, Film- und Musikwelten - in inhaltsleeren Formalismen, denen die Aussagekraft und der Ereignischarakter abhanden kommen.

Wiederum ausschließlich auf die einzelne Erfahrung bezogene Anschauungen und Beispiele suggerierten eine Pseudounmittelbarkeit, eine blinde, atomistische Sichtweise, die den Anspruch von Erkenntnis durch reinen Sensualismus aufgegeben hat. Erst in der spannungsvollen Konstellation, in der dialektisch sich aufladenden Verbindung von Logik und Erfahrung sah Adorno die Möglichkeit, die Gefahren der begrifflichen Leere und der anschaulichen Blindheit durch eine sensible Diskursivität zu überwinden. Im Bild des kindlichen, bereits früh belesenen und tadellos ausartikuliert redenden Musterknaben "mit den großen traurigen Augen" "unter den langen Wimpern" ist die Spannung bereits voll angelegt.

Zwischenstationen des Intellektuellen: Kraukauer, Lukács, Bloch, Husserl

Siegfried Kracauer, heute noch als Kultur- und Filmtheoretiker ("Von Caligari bis Hitler") unvergessen, hat als Intimus mit dem jugendlichen Adorno geistesgeschichtliche Kant-Exegesen betrieben. Er brachte ihn mit Walter Benjamin zusammen und er entzündete in ihm die Idee einer neuen wissenschaftlichen Soziologie, die die "Lebensäußerungen der vergesellschafteten Menschen" zum Thema hatte, eine Untersuchung der scheinbar subjektiven Äußerungen, Haltungen und Verhaltensweisen als objektiv, gesellschaftlich erklärbarer Ideologien und Mentalitäten, wie sie Kracauer in seiner Studie "Die Angestellten" (1929) betrieb. Damit war die für Adorno eigentümliche Balance von Geist und Macht vorbereitet, die ihn oft den anscheinend schwächeren, angepassteren, aber langfristig gesehen klügeren Weg gehen ließ.

Mit Lukács brillanter früher Literaturtheorie und seinem späteren ultradogmatischen Marxismus setzte sich Adorno intensiv auseinander, um recht bald der angeblichen Vorbildhaltigkeit eines nur bürgerlichen und sozialistischen Realismus und die Abstrafung der modernen Literatur und ihrer chaotisch-anarchischen Elemente (etwa bei Kafka) zu widerstehen. Adorno schreckte schon hier vor dem später stalinistisch forcierten Dogmatismus eines linken Parteiintellektuellen zurück, der jederzeit das Individuum und das Individuelle dem Druck des angeblich revolutionär inspirierten Kollektivs opfern wollte. Mit Ernst Blochs "Geist der Utopie" verschlang Adorno eine Art "Herr der Ringe" für Philosophen, einem stellenweise stark von hoch- und spätromantischer Musik handelnden Band, der etwas von dem versprach, "was sich von mittelalterlichen Büchern" erhoffe, "und was ich als Kind zuhause noch an dem schweinsledernden Heldenschatz verspürte".

In seiner Dissertation über Husserl 1924 kritisiert Adorno bereits einen systematischen Widerspruch in dessen Phänomenologie: die einerseits annahm, gesicherte Aussagen seien nur über bewusstseinsimmanente Vorgänge möglich, andererseits aber eine objektive vorgegebene Welt, also eine Neuauflage der traditionellen Ontologie, der Seinslehre postulierte. Adorno argumentierte hier bereits so, dass die Objektivität von Erkennen nur ein Resultat, ein Ergebnis der Arbeit des Bewusstseins selber sein könnte. Grundsätzlich misstraute er jeder vorgegebenen, nicht irgendwie hergestellten Ordnung.

Musik oder Philosophie: Alban Berg oder Sören Kierkegaard?

Nach einem kurzen Kompositionsstudium in Frankfurt ging er nach Wien, um bei Alban Berg zu studieren, der neben Schönberg und von Webern zur neuen expressionistischen Wiener Schule gehörte. Adorno war überzeugt, dass der Schönberg-Kreis mit seinem Übergang von der Spätromantik zur freien, hochexpressiven Atonalität und schließlich zur Komposition mit 12-Ton-Reihen das Paradigma der fortgeschrittensten musikalischen Moderne darstellte. In ihr bündelten sich Beethovens und Brahms Arbeit an der Form der Sonate und Symphonie vermittels der Durchführungstechnik, Bachs Kontrapunktik und Wagners Chromatik zur Konstruktion einer komplexen und so bisher ästhetisch unerhörten Polyphonie. In seinen Erfahrungen durch und bei Berg, aber auch in seiner kurzfristigen Tätigkeit als Redakteur der "Musikblätter des Anbruch" bei der Wiener Universal-Edition (1928-30) wuchs ein gedanklicher Prototyp jener Argumente heraus, die später im amerikanischen Exil in der "Philosophie der neuen Musik" Gestalt annahmen.

Unstimmigkeiten mit der Musik-Redaktion führen zu einer Umorientierung Adornos, der nun wieder die Philosophie in den Vordergrund treten lässt und an der Universität Frankfurt bei Paul Tillich und Max Horkheimer mit einer Habilitationsarbeit über ästhetische Motive bei "Kierkegaard" als philosophischer Privatdozent 1931 etabliert. Dieser Arbeit liegt bereits ein intensiver Dialog mit Walter Benjamin zugrunde, dessen subkutanes Brüten über Texten, Bilder, Realien und Ruinen Adornos eigenem, exaltiert-geschliffenem Erkenntnisdrang eine neue Sensibilität verleiht. Seine neue Lehrtätigkeit wird Adorno aber kaum ausüben können.

Im gleichen Jahr übernimmt Adornos Studienfreund Horkheimer die Leitung des Instituts für Sozialforschung. In der ersten Auflage der "Zeitschrift für Sozialforschung" 1932 veröffentlicht Adorno einen Aufsatz "Zur gesellschaftlichen Lage der Musik", in dem er bereits zwischen zwei Gegenwartsrichtungen, der kommerziell-reaktionären und der fortschrittlich-künstlerischen unterscheidet. Die positive Avantgarde wird durch die Schönbergschule besetzt, rückwärtsgewandte Musik erblickt er in Richard Strauss' "Rosenkavalier", oder Hindemiths zünftig-biedere Einebnung von Strawinskys Rhythmik. Diese bestehe darin, mit vergangenen Stilmodellen ein zynisches Maskenspiel zu betreiben oder gar eine ältere Ordnung als neue Verbindlichkeit, neo-archaisch zu setzten.

Auch die linke, auf das Proletariat schielende Agitations-Musik ziele auf ästhetische Anpassung und Eingliederung, die surrealen Schichten von Weills und Brechts "Dreigroschenoper" einmal ausgenommen. Bereits hier ist Adorno im Zentrum seines Denkens, das ästhetische Qualität, gesellschaftskritische Erkenntnis und die Verwandlung der sozialen Praxis zusammen will: Er verweigert der Idee einer Revolution durch verdummende Parteilieder, einer Billigausgabe der vorgeblichen Umwälzung der Verhältnisse durch den seichten Konsum von Parolen, Floskeln und Schlagern seinen Applaus. Der Ästhet und Musiker Adorno verhindert den zynischen Berufsrevolutionär, der die Massen zum Aufstand durch wertlose Fertigware anstacheln will.

Ein unheilvoller 11. September und die talmibraune Rottweiler-Mimikry

Nach der Machtübernahme der Nazis wird am 11. September 1933 Adorno, wie so vielen jüdischen oder jüdisch-stämmigen Akademikern, die Lehrbefugnis entzogen. Und doch legt Adorno nicht sogleich ein Verhalten politischer Abkehr mit dem Wunsch, möglichst bald zu emigrieren, an den Tag. Vergeblich sucht er nach einer alternativen Stelle, publiziert und versucht, blind gegen die anwachsende Zensur, autonome Kritiken zu schreiben, die denn auch schon mal ins braune Fahrwasser geraten, auch da, wo die eigenständige Argumentation weiter behauptet wird. Ein Jahr später lobt er Herbert Müntzels Chor-Lieder "Die Fahne der Verfolgten" nach Gedichten von Baldur von Schirach, dem Führer der Hitler-Jugend. Die Möglichkeit einer neuen Volksmusik werde hier im Rückgriff auf Formen des 16. Jahrhunderts in Verbindung mit spätromantischem Material und rezitativischem Sprechgesang ernsthaft beschworen. Der Komponist sei Goebbels "romantischem Realismus" nahegekommen. Das Rundfunkverbot der Nazis gegen den Jazz parodierte er 1933 affirmativ mit seinem eigenen Ressentiment: Die Verordnung bestätige nur die Tatsache, "was sachlich längst entschieden ist: das Ende der Jazzmusik selber".

Während die Nazi-Propaganda die zersetzende Kraft der "Negermusik" bannen wollte, ging Adorno davon aus, dass der Jazz das aufpeitschende Element längst aufgegeben und den Militärmärschen immer ähnlicher werde. Mit der Selbstauflösung des Jazz werde "nicht der musikalische Einfluss der Negerrasse auf die nördliche ausgemerzt, auch kein Kulturbolschewismus, sondern ein Stück schlechtes Kunstgewerbe." Die Aversion gegen den Jazz findet 1936 in einem Artikel der "Zeitschrift für Sozialforschung" mit dem Pseudonym Hektor Rottweiler einen weiteren Niederschlag. Neben Benjamins berühmten Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" ist da von der deutschtümelnden Wortverwandtschaft von Jazz und Hatz, der vulgärpsychoanalytischen "Coitiermaschine", der Kastrationsangst und der Missdeutung der Synkopen und Off-Beats als chronometrischer Zuspätkommer für Möchte-Gern-Pöbler die Rede.

Erst die Angstbereitschaft (Müller-Doohm) und der Misserfolg, sich in Berlin oder Wien universitär neu zu etablieren, führten über den Umweg von Oxford schließlich in die Vereinigten Staaten. Zunächst gestaltete sich die verdeckte Emigration als Advanced Student in Oxford als zyklische Wiederkehr nach Berlin zu seiner Verlobten Gretel Karplus. Seit 1936 gibt es ein Angebot, Mitarbeiter des bereits nach New York emigrierten Frankfurter Instituts (jetzt angegliedert an die Columbia University) zu werden. Dem steht jedoch die Noch-Nicht-Erlangung des englischen Doktorgrades im Wege. Erst ein Jahr später, nach der Trauung von Adorno und Gretel Karplus in London, bietet sich eine Chance. Horkheimer ermahnt ihn bei Auftritten im angelsächsischen Raum: "Bemühen Sie sich auch, möglichst simpel zu reden. Kompliziertheit ist bereits ein Verdachtsmoment. Breiten Sie dagegen viel Material aus. Das ist immer das beste."

1938 schließlich siedeln Adorno und seine Frau Gretel nach New York über. Adorno nimmt eine auf zwei Jahre befristete Stelle im empirisch ausgerichteten "Radio Research Project" des aus Wien stammenden Soziologen Paul Lazarsfeld an, das an der Pinceton University, New Jersey läuft. 1940 sagt Horkheimer Adorno eine volle Stelle als Mitarbeiter des Instituts zu, er soll unter anderem die "Zeitschrift für Sozialforschung" mit dem amerikanischen Titel "Studies in Philosophy and Social Science" als Redakteur betreuen. In diesem Jahr bricht der intellektuell intensive Briefaustausch mit Walter Benjamin ab, dessen verzweifelte Signale zu einer, wie sich herausstellte, zu späten Hilfsaktion zu seiner Ausschiffung über Lissabon geführt hatte. Benjamin, auf der Flucht vor den Nazis, erfuhr an der Grenze von Port Bou, dass das spanische Transitvisum nicht mehr gültig sei. Er nahm sich durch eine Überdosis Morphium-Tabletten das Leben. Durch Benjamins Tod "sei die Philosophie um das Beste gebracht worden (...), was sie überhaupt hätte erhoffen können", schrieb Adorno im Nachruf.

Typologie der User - damals und heute

Adorno fasst aus seiner Sicht der Ergebnisse des Radioprojektes in dem Aufsatz "On Popular Music" zusammen: Darin nimmt er bereits die seit Ende der 50er Jahre wiederaufgenommen und in den 60ern verfeinerte Skala einer Typologie der Hörer vorweg.

  1. Der Experte höre angemessen, mit vollem Bewusstsein und erfasse den logischen Vollzug des Stücks. Er beziehe gegenwärtige, vergangenen und zukünftige Momente aufeinander, um sie in einem Sinnzusammenhang zu bündeln.
  2. Auch der gute Zuhörer, der gebildete Liebhaber (oder modern der kundige Fan) verstehe die Musik, ohne technische Detailkenntnisse, wie man eine Sprache, ein Idiom versteht, ohne die Grammatik erklären zu können.
  3. Der Bildungskonsument dagegen wisse mehr über die Biographie des Komponisten oder Virtuosen als über das Werk. Er lauere auf bestimmte Momente, sogenannte schöne Stellen. Bei ihm regrediere das Musikhören auf einen medialen Fetischismus, der auf die entsprechenden Stellen konditioniert sei.
  4. Der sentimental-emotionale Hörer sei zwar weniger starr als der Konsument, aber er benutze die Musik zu romantisch-infantilen Regression ins eigene Triebleben, wenn er z.B. den schluchzenden Geigen von Tschaikowski sich hingebe.
  5. Dagegen sei der Ressentiment-Hörer vor allem durch emotionale Kälte, durch regungsfreie Werktreue ausgezeichnet. Hierzu zählt Adorno die deutschen Anhänger von Bach in vermeintlich orthodoxer Originalbesetzung, aber auch den Jazz-Fan.
  6. Darunter liege nur noch der Unmusikalische mit schweren familialen Defekten, ohne die auch er seine unterdrückte Musikalität entdecken müsste.

Man kann diese Typologie und ihre heute veralteten soziohistorischen Belege aus unterschiedlichen Gründen angreifen, aber sie enthält im Unterschied zu heutigen kulturpessimistischen Medienbewertungen, die zum Beispiel die Literatur über auditive oder visuelle oder kinematische oder elektronisch-digitale Medien stellen, einen Ansatz, auch nichtliterarischen Medien verschieden intelligente Rezeptionsformen zuzubilligen, um damit einen möglichen Qualitätsindikator für die Rezeption und die Vorgaben der Produktion und Distribution zu erhalten.

Streit und Arbeit im pazifischen Paradies

Das Exil gestaltete sich in der Folge für Adorno, seit dem Umzug Ende 1941 nach Los Angeles ins pazifische Paradies, als eine besonders fruchtbare Zeit für eigene Projekte und für Kooperationen. In der nie konfliktfreien Emigranten-Kolonie wohnten Thomas und Heinrich Mann, Fritz Lang, Alfred Döblin, Arnold Schönberg, Bruno Frank, Ludwig Marcuse, Hans Eisler und Bertolt Brecht. 1942 verfasste Adorno mit Eisler, dem linken Vertreter der Schönberg-Schule die "Komposition für den Film", eine Studie zur Logik einer Filmmusik, die einerseits der Abbildung der Ereignisse auf der Leinwand entgeht und sich kontrapunktisch zum optischen Medium verhält, und die andererseits doch auf Tempo und Dynamik der filmischen Montage in charakteristischen Abbreviaturen Rücksicht nimmt. Auch hier sind die Beispiele heute veraltet. Aber die Aktualität des Werkes, dessen Mitautorenschaft Adorno seit dem antikommunistischen Verfahren gegen Eisler bedauerlicherweise bis in frühe bundesrepublikanische Zeiten zunächst verleugnete, ist ungebrochen, trotz gegenteiliger Stimmen, die nur noch die flächendecke Musikvermarktung in Filmen ohne eine intermediale Komposition kennen wollen.

Das Zentrum der Projekte bildet die mit Horkheimer geteilte Arbeit an der berühmten "Dialektik der Aufklärung", einer negativen Antwort auf Hegels "Phänomenologie des Geistes", in der die bisherigen Denkfiguren vor dem Hintergrund der aktuellen Naziherrschaft und Kriegskatastrophe zu einer pessimistischen Geschichtsphilosophie gebündelt werden: Der wissenschaftlich-technologische Fortschritt schlage ohne wahrhafte demokratische Aufklärung und kulturelle Bildung der Massen in den Rückschritt purer Herrschaft und blinder Selbsterhaltung um, in die faschismusverdächtige Barbarei einer als Natur mythisierten Gesellschaft. Die moderne Kunst laufe Gefahr, durch die Medien in den Betrug einer allgemein gleichgeschalteten Kulturindustrie eingespannt zu werden.

Gegen die falschen Mythen der Faschisten und der Traumfabrik stellten Adorno und Horkheimer den Mythos der Odyssee als frühe Form kritisch-reflexiver Aufklärung über die Aufklärung: Odysseus verkörpere das Prinzip der Selbsterhaltung des noch schwachen Subjekts gegenüber scheinbar übermächtigen Natur - lange vor der Entdeckung durch die neuzeitliche Philosophie eines Hobbes. Doch deren Zauber und Gewalten breche er mit seiner sprichwörtlichen List: So, wenn er sich von Circe nicht verführen lasse oder wenn er seinen Gefährten den Befehl gibt, mit verstopften Ohren weiterzurudern, während er an den Mast gefesselt, die berückenden Sirenengesängen lauscht, ohne sich freireißen zu können, um zur selig klingenden Toteninsel zu schwimmen.

Während zeitgleich die "Philosophie der neuen Musik" heranwuchs (in den zwei antithetischen Teilen "Schönberg und der Fortschritt" und "Strawinsky und die Reaktion", in denen die bereits angedeuteten Argumente weiter verfochten wurden) bat Thomas Mann für seinen Musiker-Roman "Doktor Faustus" um geheime Mithilfe. Adorno sollte die Teufelsmusik, die der Nietzscheanische Komponist Adrian Leverkühn komponieren sollte, mit imaginieren. Adrian Leverkühn stand für ein ambivalentes Deutschland, das zwischen Himmel und Hölle, Idealismus und Faschismus, Goethe und Beethoven, Wagner und Hitler hin und her taumelte.

Und Adorno diktierte immer wieder "zum Thee" Thomas Mann wichtige musikalische Einzelheiten und philosophische Ideen in die Feder. Aber Thomas Mann besorgte die episch genau durchkalkulierte Komposition der sprachlyrischen Details. Zur Kammermusik und zu den großen symphonisch-chorischen Oratorien des Romans: "Apocalypsis cum figuris" und "Dr. Fausti Weheklag". In den großen Werken wurde die Modernität als eiskalte Vertauschung und explosive Vernichtung von Mensch und Ding, von instrumentaler und vokaler Musik dargestellt - aber auch als monteverdisches Lamento, als naturhafter Nachhall, als klagendes Echo der Katastrophe.

Den ehrgeizigen Adorno stellte Thomas Mann als eine der Teufelsfiguren dar, der als Musikkritiker zu gescheit zum Komponieren sei. Die Mitautorenschaft wurde mehrfach in Briefen, Tagebüchern und in Manns "Die Entstehung des Doktor Faustus" festgehalten, um Adorno "notwendig Credit" zu geben. Aber alles half nichts, Adorno brach frühzeitig das Schweigegebot, zunächst mit den Fußnoten in der 1949 in Deutschland erscheinenden "Philosophie der neuen Musik", bis hin zu seinem Aufsatz "Fantasia sopra Carmen", einer Schrift zum 80. Geburtstag von Thomas Mann. All dies wird von den Biographen nur ungenau berichtet, all dies ist von mir bereits genauer dargestellt und eingehender gedeutet worden.

Wie misst man Antisemitismus? Anlässlich einer diffus gewordenen Debatte

1943 förderte das American Jewish Committee soziologische Untersuchungen, die das Risiko von Faschismus und Antisemitismus messen sollten. Darunter gehörten auch "Die Studien zum autoritären Charakter" von Adorno, Fenkel-Brunswik, Levinson und Sanford. Wie misst man Faschismus und Antisemitismus dort, wo er noch latent und noch nicht offen ausgebrochen ist? Mit einer Faschismus-Skala: 38 typische Testsätze enthielten möglichst alltäglich wirkende Stellungnahmen, denen bestimmte Merkmale zugeordnet waren. Traten die Bejahungen durch die Probanden entsprechend gebündelt auf, lagen bestimmte faschistische- bzw. antisemitische Syndrome nahe sowie bestimmte Typen von vorurteilsbeladenen Bürgern. Die Merkmale:

  1. Starre Bindung als Mittelstandskonventionen,
  2. Autoritäre Unterwürfigkeit gegenüber Werten der Eigengruppe,
  3. Autoritäre Aggression gegen liberale Fremde,
  4. Abwehr von Subjektivem, Phantasievollem, Sensiblen,
  5. Aberglaube und Stereotype,
  6. Machtdenken und Kraftmeierein,
  7. Destruktivität (Feindseligkeit) und Zynismus (Menschenverachtung),
  8. Projektionen eigener Triebimpulse auf die Außenwelt,
  9. Übertriebene (zensierende) Beschäftigung mit Sexualität.

Beispiele für mindestens je einem Merkmal entsprechende Testsätze waren:

  1. "In den Colleges wird den intellektuellen und theoretischen Themen zuviel (...) Wert beigemessen.
  2. Gehorsam und Respekt gegenüber der Autorität sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten.
  3. Es ist nur natürlich und rechtens, daß Frauen in gewissen Dingen Beschränkungen auferlegt wird, in denen Männer mehr Freiheit haben.
  4. Es gibt Dinge, die zu intim oder zu persönlich sind, als daß man sie selbst mit den engsten Freunden besprechen könnte.
  5. Es ist mehr als ein bemerkenswerter Zufall, daß Japan am Tage von Pearl Harbour (...) ein Erdbeben erlebte.
  6. Viel stärker als die meisten Menschen erkennen, wird unser Leben durch Verschwörungen bestimmt, welche die Politiker insgeheim aushecken.
  7. Wenn wir die Deutschen und die Japaner erledigt haben, sollten wir uns auf andere Feinde der menschlichen Rasse konzentrieren, wie etwa Ratten, Schlangen und Ungeziefer.
  8. Die sexuellen Ausschweifungen der Griechen und Römer sind Kindergartengeschichten im Vergleich zu dem, was heute bei uns zuweilen getrieben wird ...
  9. Ganz gleich, wie sie nach außen hin handeln, die Männer sind an den Frauen nur aus einem Grund interessiert."

Es ist bezeichnend, dass Jäger die "nicht mehr wertfreie Untersuchung von konservativen und progressistischen Einstellungen" und einen geradezu abergläubischen Missbrauch der Psychoanalyse kritisiert, während Müller-Dohm die zumindest damals innovative Konzeption des sozialpsychologischen Ansatzes herausstellt.

1945 überreicht Adorno Max Horkheimer zu dessen 50. Geburtstag den ersten Teil seiner späteren "Minima Moralia", dem berühmten Nachkriegsbuch der "Reflexionen aus dem beschädigten Leben", die manchen vielzitierten, geradezu abgenutzten Aphorismus enthalten. Dabei schreibt Adorno selbst zwischen Nietzsche und Hegel, nicht eine fröhliche, sondern "traurige Wissenschaft" über das Ende des Individuellen angesichts des Grauen und der Gräuel des Krieges. Der Aphorismus, für Nietzsche noch die Textform einer subjektiven Folge der Gedanken, in denen brillant Momente einer übergreifenden Wahrheit aufblitzten, wird gegen die Hegelsche Idee des Systems gesetzt, im melancholischen Aufbegehren des Individuums gegen die objektive Tendenz zur Auslöschung.

Einer der wenigen, darum aber nicht weniger aktuellen Sätze, auch in bellizistischen Zeiten wie den unseren, lautet:

Die vollständige Verdeckung des Kriegs durch Information, Propaganda, Kommentar, die Filmoperateure in den ersten Tanks und der Heldentod von Kriegsberichterstattern, die Maische aus manipuliert aufgeklärter öffentlicher Meinung und bewusstlosem Handeln, all das ist ein anderer Ausdruck für die verdorrte Erfahrung, das Vakuum zwischen den Menschen und ihrem Verhängnis, in dem das Verhängnis recht eigentlich besteht. Der verdinglichte, erstarrte Abguss der Ereignisse substituiert diese selbst. Die Menschen werden zu Schauspielern eines Monstre-Documentairefilms herabgesetzt, der keine Zuschauer mehr kennt, weil noch der letzte auf der Leinwand mittun muss.

MM, aus Aph. 33

Adornos Rückkehr nach Deutschland war, so Jäger gegenüber Müller-Doohm, nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern eine "des Instituts". Einige der Hauptgründe waren: Die Wirkungsmöglichkeiten stellten sich in den USA als begrenzt, ja zunehmend ungünstig dar. Ein Komitee der Columbia-Universität empfahl, das amerikanische Institut in eine Abteilung von Paul Lazarfelds Bureau of Applied Social Research zu verwandeln. Damit hätte sich die Gruppe von "philosophischen Spekulanten" in die Hände der "theorie-feindlichen Empiriker" begeben müssen. Außerdem erschien der Neuanfang mit einer jüngeren Generation von Akademikern und Studenten im westlichen Nachkriegsdeutschland durchaus im Sinne einer Reeducation.

Und dies durch linksliberale und kritisch intellektuelle Exildeutsche, die die Entwicklung in die nationalsozialistische Katastrophe noch miterlebt hatten, ohne ihr ideologisches oder rassenpolitisches Opfer zu werden. Während aber Herbert Marcuse in seinen unmittelbar revolutionären Hoffnungen immer noch von der kommunistischen Ostorientierung ausging, distanzierten sich Horkheimer und Adorno von jeglichen Assoziationen mit dem Sowjetkommunismus, um den Status der amerikanischen Exilanten und die Verhandlungen zum Wiederaufbau des Instituts in Westdeutschland in der Epoche der anbrechenden Adenauerära und des Kalten Kriegs nicht zu gefährden.

Adorno spürte ein potentielles Publikum und eine Aufmerksamkeit, die ihm in den USA aus verschiedenen Gründen verwehrt geblieben war. In Amerika hatte er sich Horkheimers low-profile-Strategie unterzuordnen, die erst mit der Authoritarian Personality durchbrochen wurde. ... Adorno hat nach 1953 die USA nicht mehr besucht, obwohl er Horkheimer zustimmte, daß für die Analyse der Gesellschaft drüben der bessere Standort ist als hier in der Kolonie

Claussen

Innerhalb der Nachkriegszeit, des restaurativen Wiederaufbaus und der Tendenz zur Normalisierung der Vergangenheit setzt nun die beispiellose Prominenz Adornos als intellektueller Schriftsteller und Redner in Deutschland und Europa ein: Hier formt sich das heute noch in etwa bekannte Bild des Autors der "Philosophie der neuen Musik", der "Noten zu Literatur", zwischen Goethe und Beckett, der Experte für eine alternde neue Musik in Kontakt mit der postseriellen Moderne von Ligeti, Stockhausen, Boulez und Cage, der Monograph Gustav Mahlers und Alban Bergs, der Herausgeber Walter Benjamins, der Kultur- und Gesellschaftskritiker, der Theoretiker der Halbbildung, der Polemiker gegen den existenzialphilosophischen Jargon der Eigentlichkeit.

Erst 1957 wird Adorno zum Ordinarius für Philosophie und Soziologie ernannt, ein Jahr später wird er Direktor des Instituts für Sozialforschung. Aber es will so scheinen, als ob diese späte akademische Konsolidierung nicht den Wesenskern des unstetigen, zunehmend auch politisch engagierten intellektuellen Lebens ausgemacht hat. Adorno leitet in der Bundesrepublik die Debatte gegen die Normalisierung der Vergangenheit ein und stellt mit der entscheidenden öffentlichen Frage: "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?" (1959) den Bezug allen kritischen Denkens und Handelns auf die Verhinderung eines zweiten Auschwitz her, er ist der Initiator des Positivismusstreits in der deutschen Soziologie und schließlich der Verfasser der "Negativen Dialektik" und der unvollendet gebliebenen "Ästhetischen Theorie", seinen beiden letzten großen Entwürfen.

Über die Ursachen von Adornos Tod durch Herzinfarkt in der Schweiz 1970 im Kontext der von der Straße in die Hörsäle zurückflutenden Studentenunruhen - die sich in Vorlesungsbesetzungen, erzwungenen Debatten, Flugblattverteilungen, Wandzeitungen, barbusigen Happenings usw. Luft machten - geben die Biographen je nach politischer und philosophischer Couleur andere Erklärungen aus: Der FAZ-Redakteur Lorenz Jäger schickt Adorno in seiner bundesrepublikanischen Spätphase in das "Grand Hotel Abgrund" (Georg Lukács). Er lässt Adorno an "der Spannung" des eigenen negativen Standpunktes des gegen die gesellschaftliche Integration gerichteten Widerstandes zugrunde gehen - "an der Spannung zwischen einem durchweg als feindlich wahrgenommenen sozialen Vordergrund und dem großflächigen begrifflichen Hintergrund, auf dem die Systemtendenzen - Statik und Dynamik, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft - verhandelt werden." Adornos Blick auf soziale Konflikte als Formen "bösartiger, neidischer Feindseligkeit" habe die Tragik erst in dem entsprechenden Ausmaß herbeigeführt. Hans-Jürgen Krahl, die in zwei Seelen ach, Adornos Schüler und Protestanführer, eine vor und hinter dem Megaphon durch und durch gespaltene Gegenfigur, ein permanenter Parteiwechsler, wird als Außenseiter beschönigt, der "in seinem Pathos der Organisation" so etwas wie einen "homoerotischen Bund der Jünglinge" schmiedete, der auf dem Weg von den mythischen Dörfern "in die Städte" gekommen war, "um sich der Wissenschaft zu widmen". Detlev Claussen widerspricht dieser fast hymnischen Jugendbewegungs-Sicht:

Bis heute schwingen Gerüchte nach, Adorno sei an dem Konflikt mit seinen Studenten zugrunde gegangen. Aber auch in diesem Fall ist nach dem Tod den Worten Horkheimers mehr zu trauen als mancher interessierten Darstellung. Niemand konnte ihn zwingen, wenige Monate nach Adornos Tod einen einfühlsamen Brief an die Eltern des im Januar 1970 tödlich verunglückten Hans-Jürgen Krahl zu schreiben. ... Adorno erfand lange vor der Studentenbewegung die Kategorie der Pseudoaktivität; in seiner Vorlesung vom 23. November 1965 nahm er die Erfahrungen amerikanischer Aktivisten auf, etwa als organizer, wie man in Amerika für diesen Typus sagt; also indem man irgendwelche Menschen zusammenbringt, organisiert, agitiert und solche Dinge macht...

Samuel Beckett, der "Endspiel"-Dichter antwortete in einem Schreiben an Adorno 1969:

I have not yet been conspiré, so far as I know and that is not so far, by the Marcusejugend. As you said to me once at the Iles Marquises, all is malentendu. Was ever such rightness joined to such foolishness?

Literatur: - Detlev Claussen: Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie. Fischer, Frankfurt .a.M., 2003.
- Stefan Müller Doohm: Adorno. Eine Biographie. Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2003.
- Lorenz Jäger: Adorno. Eine politische Biographie. DVA, München 2003. Theodor W. Adorno: Briefe an die Eltern. 1939-1951. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 2003 - Zur ausführlichen philosophischen Analyse und Deutung der Zusammenarbeit von Th. Mann und Adorno: Peter V. Brinkemper: Spiegel & Echo. Intermedialität und Musikphilosophie im "Doktor Faustus". Königshausen & Neumann, Würzburg 1997.