Trump: Der Ausnahmefall, der Ablenkungsmanöver begünstigt

Anti-Trump-Demonstration, 2016. Bild: Pax Ahimsa Gethen/CC BY-SA 4.0

Trump steht vor Gericht, aber sein politischer Einfluss bleibt groß. Das liegt am Charisma seiner politischen Persona und daran, dass sich nicht nur die Republikaner an ihm ausrichten, sondern auch die Liberalen.

Es sieht fast so aus, als würden sich langgehegte Fantasien liberaler Berichterstatter in den USA erfüllen und die politische Karriere des Ex-Präsidenten vor Gericht enden. Die strafrechtliche Anklage gegen Trump wegen Buchhaltungsbetrugs könnte einen Präzedenzfall schaffen. Denn er ist der erste ehemalige Bewohner des Weißen Hauses, dem eine solche Behandlung durch den Justizapparat zuteil wird.

Seine Anhängerschaft hat augenscheinlich aus der rigorosen Verfolgung nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar gelernt. Sie verhält sich verhältnismäßig ruhig. Schon fantasieren die ersten US-Medien darüber, wie schön es sein wird, Trump endlich vergessen zu können und zu einem "Normal"-Zustand zurückzukehren.

Genau wie seine unrühmliche Anklage in New York soll Trump durch diese Rhetorik zum Ausnahmefall deklariert werden. Das mag auf einige Aspekte seiner Präsidentschaft und seiner weiteren politischen Karriere zutreffen, doch diese Darstellung ignoriert seinen tatsächlichen Einfluss auf die politische Kultur in den USA.

Ablenkungsmanöver

Durch seine Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der US-Medien auf sich zu ziehen wie kein Zweiter, konnte er leicht zum einzigen Problem der US-Politik erklärt werden und legitimierte somit ein defizitäres politisches System.

Trumps Wahlsieg 2016 verletzte den Stolz vieler Expertinnen und Experten, die diesen Ausgang nicht nur nicht vorhergesehen, sondern schlicht für unmöglich gehalten hatten. Anstatt einzugestehen, dass man sich verschätzt hatte, war es leichter, darauf hinzuweisen, dass Hillary Clinton landesweit insgesamt mehr Stimmen und damit die "Popular Vote" gewonnen hatte.

Es war, als wäre sämtlichen Berichterstattern das erste Mal aufgegangen, dass das "Electoral College", das Wahlkollegium, eine antiquierte, undemokratische Institution ist. Ein Umstand, an dem später aber während der Biden-Regierung nicht gerüttelt wurde, auch nicht in der Phase vor den Zwischenwahlen im letzten November, als die Demokraten die Mehrheit in beiden Häusern des US-Kongresses besaßen.

Das Nicht-Fassen-Können, dass Trump zum Präsidenten gewählt wurde, ging so weit, dass große Teile des liberalen Establishments begannen, an eine russische Verschwörung zu glauben. Als Trump 2020 abgewählt wurde und den Ausgang der Wahl anzweifelte, wurde das Wahlsystem dennoch von den gleichen Medienhäusern zum unfehlbaren Verfahren umdeklariert. Immerhin stand doch die Demokratie auf dem Spiel.

Dabei ignorierten die meisten, dass es sowohl in vorhergegangenen Präsidentschaftswahlen als auch bei den Vorwahlen der Demokraten in Iowa zu Unregelmäßigkeiten gekommen war.

Ein idealer Gegenpart für Rechtschaffene

Weiterhin legitimierten Trumps Rechtsstreitigkeiten und sein Umgang damit in den Augen vieler Liberaler das FBI, ja sogar die CIA, ihres Zeichens Institutionen des "Security States", die normalerweise nicht für ihre Rolle als Bollwerk der Demokratie bekannt sind. Doch, wer Trumps Feind ist, wurde für viele Liberale und Linke automatisch zum Freund.

Es ist typisch für Trump, in aller Öffentlichkeit zu agieren, auch wenn es um Gesetzesüberschreitungen geht. Gepaart mit seiner Fähigkeit, das Medieninteresse zu erregen und für ungewöhnlich lange Zeitspannen aufrechtzuerhalten, macht ihn diese Exponiertheit zum idealen Gegenpart einer imaginierten rechtschaffenden Regierungselite.

Jetzt hat diese Antagonisten-Rolle reale Folgen für den Ex-Präsidenten, denn die Staatsanwaltschaft Manhattan scheint überzeugt, den gebürtigen New Yorker tatsächlich belangen zu können.

Erfolgschancen der Anklage

Die Erfolgschancen der Anklage wirkten anfangs bestenfalls dürftig, müsste sie doch nachweisen, dass Trump bewusst gegen die Wahlkampfspendenverordnung verstoßen hat. Diesem Ziel scheint die Staatsanwaltschaft jedoch laut der jüngst veröffentlichten Anklageschrift um einiges näher als gedacht.

In der Anklageschrift wird behauptet, Trump habe Geschäftsunterlagen gefälscht, um die staatlichen Steuerbehörden zu täuschen. Damit wäre dem Ex-Präsidenten nachgewiesen, den Betrug auf lange Hand geplant zu haben. Anders als der Ausgang des Prozesses stehen seine politischen Folgen nicht wirklich infrage.

Wenn Trump verurteilt werden sollte, darf davon ausgegangen werden, dass hier kein Präzedenzfall für künftige Anklagen gegen US-Präsidenten geschaffen wird, auch wenn dies wünschenswert wäre.

Trump als Ausnahmefall

Im Prozess wird der Staat bemüht sein, Trump als Ausnahmefall abzustempeln. Das steigert seine Beliebtheit in dem Teil der republikanischen Wählerschaft, die in ihn genau als diese Alternative zu den alteingesessenen Eliten sehen.

Vor allem aber stärkt Trump mit seinen offenen Verstößen gegen Gesetze die Rolle des Staates. Denn so lange sich das Justizsystem in den USA bemüht zeigt, Trump zu verurteilen oder zumindest von einer weiteren Kandidatur in den Hauptwahlen abzuhalten, ist es egal, ob es anderswo versagt; ob landesweit transfeindliche Gesetze verabschiedet werden, der "Supreme Court" peu à peu die Rechte von Frauen beschneidet oder weiter Menschen an den US-Grenzen sterben.

Dabei ist fraglich, ob die Anklage negative Folgen für die weitere politische Karriere des Ex-Präsidenten hat. Nach US-amerikanischem Gesetz ist eine Kandidatur aus einer Gefängniszelle heraus möglich und seinen Umfragewerten scheint die Anklage nicht zu schaden, - eher im Gegenteil.

Die Schwierigkeiten für die Republikaner ...

Republikanischen Eliten hingegen fällt der Umgang mit dem Ex-Präsidenten schwer. Bei Fox-News wollte man Trump loswerden und die Zuschauerschaft behutsam auf Ron DeSantis einschwören.

Doch die Chancen, Trump loszuwerden, ohne seine Anhänger zu verprellen, sinkt mit seiner wachsenden Führung über seinen Konkurrenten, und die Anklage macht es für Konservative unmöglich, eine ambivalente Haltung gegenüber dem Spitzenreiter einzunehmen.

... und die guten Gelegenheiten für die Demokraten

So sehr Trump die Rolle der Republikanischen Partei und Fox News erschwert, in gleichem Maße hat er die Rolle des liberalen Establishments innerhalb und außerhalb staatlicher Institutionen erleichtert. Seine Person hat es der Demokratischen Partei ermöglicht, der US-Öffentlichkeit einen Kandidaten wie Joe Biden als "nötig" und "alternativlos" zu verkaufen.

Nach dem Wahlsieg konnten sich die Demokraten dann wieder zurücklehnen, ohne Polizeireformen in Angriff zu nehmen oder an Institutionen wie dem "Supremecourt" zu rütteln. So wurde Trump zum ultimativen Argument für die existierende politische Ordnung.

Denn sollte es irgendjemandem auf der linken Seite des politischen Spektrums einfallen, daran zu erinnern, wie man kurz davor stand, in zwei Wahlgängen 2016 und 2020 einen progressiven Kandidaten wie Bernie Sanders aufzustellen, kann immer darauf verwiesen werden, mit Trump hätte man doch gesehen, was einem dieser "Populismus" einbringe.

Natürlich ignorieren solche Argumente geflissentlich, dass es die begründete Abneigung der US-Bevölkerung gegen Hillary Clinton war, die Trumps Regentschaft erst ermöglichte.

Trumps politische Persona wischt all dies beiseite und dient als Ausnahme, die alles Geschehene legitimiert und bestätigt. Deshalb wird eine Anklage gegen Trump auch keine strafrechtliche Verfolgung der Bush-Familie ermöglichen, wie es von manchen Pressestimmen herbeigesehnt wird.

Im Gegenteil: Die Anklage Trumps festigt George Bush Jr. Platz in der Geschichte als legitimer Präsident und Staatsmann. Absurd, wenn man bedenkt, dass derselbe Mann, im Gegensatz zu Trump, erfolgreich eine Wahl gestohlen, die internationale Öffentlichkeit systematisch belogen und einen illegalen Krieg begonnen hat. Solche Ausblendungen sind möglich, wenn die Welt im Verhältnis zu Trump betrachtet wird.

Die ungeteilte Aufmerksamkeit, die ihm durch die US-Medien zuteil wird, ermöglicht, dass zu viele zu lange sich den Kopf dieses "Meglalomaniacs" aufgesetzt und die Welt durch seine Augen gesehen haben. So haben viele übernommen: Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn und andersherum. Es ist Zeit, ein paar Schritte Abstand zu nehmen und die US-Politik wieder durch andere, kritischere Augen zu betrachten.