Umsichgreifen des Spezialistentums

Michael Hampe über die Professionalisierung in Philosophie und Wissenschaft und über wissenschaftliche Umbrüche

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Der Philosoph Michael Hampe (geb. 1961) arbeitet als Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. In der Vergangenheit veröffentlichte er unter anderem Bücher über die Gesetzmässigkeit in der theoretischen und praktischen Philosophie, über den Pragmatismus und über den Naturgesetzbegriff. 2014 erschien sein bislang jüngstes Werk "Die Lehren der Philosophie - Eine Kritik". Im Gespräch mit Reinhard Jellen spricht er sich unter anderem gegen "schulmeisterliche Kritik naturwissenschaftlicher Behauptungen aufgrund vermeintlicher apriorischer Erkenntnisse" aus.

Herr Hampe, welche Stellung hat die Philosophie heutzutage in den Naturwissenschaften? Können Sie den historischen Bedeutungswandel erklären?

Michael Hampe: Die Einstellungen von Naturwissenschaftlern zur Philosophie sind sehr unterschiedlich. Es gibt beispielsweise Physiker wie Steven Weinberg, die die Philosophie für die Naturwissenschaften so hilfreich ansehen wie die Orntithologie für die Fähigkeit der Vögel zu fliegen. Dann gibt es Leute wie Bob Laughlin, der praktisch selbst mit seiner Emergenztheorie philosophische Ontologie betreibt. Beide sind Nobelpreisträger der Physik.

Es gibt viele Biologen, die sich nur für ein Spezialproblem, bestimmte Proteine oder Neurotransmitter interessieren - und auch solche wie Michael Tomasello, der sich in seiner empirischen Primatenforschung auf philosophische Fragen über den Menschen einlässt und auf philosophischen Tagungen spricht. Man kann also nicht von der Stellung der Philosophie zu der Naturwissenschaft sprechen, sondern muss von Fach zu Fach und von Forscher zu Forscher unterscheiden.

Ähnlich sieht es in der Philosophie aus. Es gibt Philosophen wie Patricia Churchland, die in ihrer Neurophilosophie die Philosophie des Geistes praktisch durch die Neurowissenschaften ersetzen will. Und es gibt Theoretiker wie Robert Brandom, der einen universalen Normativismus vertritt, der die Philosophie zu etwas ganz anderem macht als die Tatsachen feststellenden Naturwissenschaften.

Auch in der Philosophie muss man also sehr genau hinschauen, was das Verhältnis zu den Naturwissenschaften angeht. Historisch sieht es so aus, dass sich philosophische Projekte in den Einzelwissenschaften methodisch verselbstständigt haben. Newton bezeichnete sein Projekt noch als Darstellung der Prinzipien der Naturphilosophie, als "Principia philosophiae naturalis." Das Galileische Experiment und die Newtonische Differential- und Integralrechnung haben sich dann jedoch in dem, was wir heute experimentelle und theoretische Physik nennen, institutionell verselbstständigt.

Aber fast alle Erfahrungswissenschaften waren einmal ein philosophisches Projekt. Nur Mathematik und Medizin sind so alt wie die europäische Philosophie und immer von ihr unabhängig gewesen. Aber Physik war einmal Naturphilosophie, Chemie Elementenlehre, Psychologie die philosophische Untersuchung des menschlichen Verstandes, Soziologie und Politikwissenschaften waren Sozialphilosophie und politische Philosophie.

Deshalb könnten theoretisch, wenn es um die Grundlagen geht, Philosophen und Einzelwissenschaftler auch immer wieder zusammenarbeiten. Heute gibt es jedoch sowohl in den Naturwissenschaften wie in der Philosophie einen starken Druck in Richtung Professionalisierung und Spezialisierung. Dieser Druck erschwert die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern und Philosophen.

Man kann sich als Spezialistin oder Spezialist nicht dauernd um die Grundlagen des eigenen Faches oder die eines anderen Faches kümmern. Das bringt keine Meriten in der Akademie. Weil so viele Leute in der Wissenschaft tätig sind wie nie zuvor und eine professionelle Nische suchen, bearbeiten sie mit immer grösserer Genauigkeit immer kleinere Gebiete.

Sowohl in den Naturwissenschaften wie in der Philosophie greift also das Spezialistentum um sich. Das ist unvermeidlich. Es ist in meinen Augen auch gut, dass so etwas wie eine naturwissenschaftliche Weltanschauung oder eine philosophische Weltanschauung heute niemand mehr produzieren will, der in der Akademie ernst genommen werden möchte. Denn Weltanschauungen waren pauschale Behauptungssysteme, denen eine empirische Grundlage fehlte (und die als Religionsersatz dienten).

Trotzdem ist es meines Erachtens wichtig, weiterhin die Ideale der Aufklärung, die die Grundlage der naturwissenschaftlichen Forschung und des neuzeitlichen europäischen Philosophierens sind, weiterhin mit den einzelwissenschaftlichen Erkenntnissen und philosophischen Spezialuntersuchungen in Zusammenhang zu bringen. Diese Ideale sind: die Anerkennung der Werte der Wahrhaftigkeit, der rationalen Begründung von Behauptungen und Handlungen und des Wertes des individuellen personalen Lebens, das Streben nach Autonomie und Glück und die Ablehnung empirisch nicht gerechtfertigter Behauptungen als Mythen.

In meinen Augen sollten Naturwissenschaften und Philosophie weiterhin zusammenarbeiten, um diese Ideale der Aufklärung zu verwirklichen und zu unterstützen. Diese Ideale machen so etwas wie die geistige Identität Europas aus. Man sollte diese Identität schützen, vor allem gegenüber den wachsenden Irrationalismen fundamentalistischer religiöser Weltanschauungen, die immer mehr Anhänger gewinnen.

Wie schätzen Sie die Lage ein: Muss sich die Philosophie aus den Naturwissenschaften zurückziehen, weil dort ihre Kenntnisse unbrauchbar geworden sind - oder wird sie gerade dort gebraucht, weil sie Fragestellungen liefert, auf die die Naturwissenschaft von selbst nicht kommt? Welche Rolle spielt hierbei Ihre Unterscheidung von doktrinärer und nicht-doktrinärer Philosophie?

Michael Hampe: Die Philosophie muss sich nicht von den Naturwissenschaften zurückziehen. Man kann als Philosoph sehr wohl weiterhin die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur Kenntnis nehmen und auf sie reagieren. Ich selbst versuche das auch im Rahmen meiner eigenen intellektuellen Möglichkeiten, vor allem bei der Biologie und der Psychologie.

Man sollte dabei aber meines Erachtens zweierlei vermeiden: Erstens die Tendenz zur Popularisierung naturwissenschaftlicher Einsichten in philosophischen Weltanschauungen und zweitens die schulmeisterliche Kritik naturwissenschaftlicher Behauptungen aufgrund vermeintlicher apriorischer Erkenntnisse.

An dieser Stelle wird die Unterscheidung zwischen doktrinärer und nicht-doktrinärer Philosophie wichtig. Philosophie sollte meines Erachtens naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu "Großdoktrinen" verarbeiten - und sie sollte sie auch nicht durch Doktrinen in Frage stellen, die auf den vermeintlich sicheren Füssen der apriorischen Erkenntnis beruhen. Das erste führt zu Dilettantismus, das zweite klappt nicht, weil es meines Erachtens diese apriorischen Erkenntnisquellen gar nicht gibt.

Philosophie sollte sich dem Empirismus verpflichten, der Evidenz der Erfahrung. Es gibt aber außer der Laborerfahrung, die die Naturwissenschaften zur Grundlage ihrer Behauptungen machen, noch die Lebenserfahrung. In ihr spielt der Umgang mit moralischen, rechtlichen und politischen Normen eine Rolle. Philosophie kann untersuchen, welche Relevanz bestimmte naturwissenschaftliche Erkenntnisse für das menschliche Leben haben, das sich ja nicht nur im Labor abspielt. Sie kann versuchen, die Laborerfahrung und die aus ihr gewonnenen Erkenntnisse mit unserer Lebenserfahrung und unserer alltäglichen Lebensform in Zusammenhang zu bringen.

Nicht-doktrinäre Philosophie fragt vor allem, ob wir so weiterleben sollen, wie bisher, was falsch läuft. Und beim Versuch, diese Frage zu beantworten, können naturwissenschaftliche Erkenntnisse relevant sein. Es kann aber auch sein, dass sie für relevant gehalten werden, es jedoch gar nicht sind. Meines Erachtens hielt man fälschlicherweise bestimmte neurowissenschaftliche Erkenntnisse für relevant für die Kindererziehung und die Schulpädagogik. Es ist jedoch eine Binsenwahrheit der Lebenserfahrung, dass ein emotional engagierter Lehrer, der sein Fach liebt und seine Schüler wichtig nimmt, ein besserer Lehrer ist als einer, bei dem das nicht der Fall ist.

Das noch einmal neurowissenschaftlich zu behaupten und als neue Einsicht zu verkünden, bedeutet meines Erachtens nur die Lebenserfahrung nicht mehr ernst zu nehmen. Eine nicht-doktrinäre Philosophie kann die Evidenzen der Lebenserfahrung gegen einen Szientismus verteidigen, der nur noch die Laborerfahrung als relevant für unsere Lebensgestaltung ansieht.

Jede rationell begründbare Naturwissenschaft löst im Laufe ihres Erkenntnisprozesses Probleme. Es kommen aber in ihr mit der Zeit neue hinzu, die ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr in die alte Theorie integriert werden können und ihren Rahmen sprengen. Die können dann eventuell von einem neuen naturwissenschaftlichem Modell gelöst werden. Damit wird aber die alte Theorie nicht generell außer Kraft gesetzt, es wird nur ihre Begrenzung klar gemacht.

Ein Erkenntnisfortschritt annulliert hier also nicht die Ergebnisse der vorangegangenen Theorie, sondern deckt ihre Beschränkungen und Einseitigkeiten auf und sichert ihren wirklichen Wahrheitsgehalt gerade dadurch, dass er ihre absolut geglaubte Allgemeingültigkeit aufhebt: Einstein hat mit seiner Theorie die Gedanken von Newton nicht widerlegt, sondern - gerade indem er ihre begrenzte Gültigkeit aufgezeigt hat - diese erst naturwissenschaftlich bestätigt: Jetzt wissen wir in welchem Bereich die Newtonsche Mechanik anwendbar ist und in welchen nicht. Das Wissen hat also mit dem aufgezeigten Nicht-Wissen praktisch zugenommen.

Könnte ein Naturwissenschaftler mit diesem Gedanken etwas anfangen - oder ist das pure Philosophie?

Michael Hampe: Ich glaube, dass die meisten Naturwissenschaftler diesem Gedanken zustimmen würden. Physiker unterrichten ja weiterhin Newtonsche Physik und die Einsteinschen Relativitätstheorien. Kosmologen unterrichten aber nicht mehr das Weltbild von Ptolomäus - und Chemiker unterrichten nicht mehr die Phlogistontheorie von Johann Becher. Da, wo sich spezielle Behauptungen als falsch herausgestellt haben (wie: "die Erde ist Mittelpunkt des Universums" und: "bei Verbrennungen wird ein Wärmestoff frei"), werden sie nicht weiter beachtet.

Da, wo sich eine Behauptung als nur eingeschränkt gültig erwiesen hat, wird sie weiter gelehrt, bei Nennung dieser Einschränkungen. Ein Physiker würde nicht sagen, dass die Newtonsche Physik im selben Sinne falsch ist, wie die Bechersche Phlogistontheorie. Er könnte das nur vielleicht nicht auf Anhieb begründen. Da kann die Wissenschaftsphilosophie dann helfen.

Wo liegt die Schwelle bei einem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel? Hat Einstein nach Ihrer Einschätzung mit seiner Theorie auf innerphysikalische Probleme reagiert oder ist er eher aus einer Distanz dazu, eher philosophisch vorgegangen?

Michael Hampe: Einstein hat auf das Problem des Ätherpostulats und das Experiment von Michelson und Morley zu Messung des Ätherwindes reagiert. Seine Reaktion war dann freilich eine, die so grundlegend war, dass man sie auch als eine philosophische oder naturphilosophische bezeichnen kann. Der Physiker und Philosoph Erhard Scheibe hat einmal gesagt: "Es ist unwichtig, wo die Philosophie stattfindet, ob dies in einem Gebäude geschieht, an dem das Schild 'Philosophisches Seminar' hängt, oder dort, wo das Schild 'Institut für theoretische Physik' angebracht ist. Hauptsache es werden weiterhin grundlegende Einsichten produziert."

Ich denke, Scheibe hatte recht. Wenn es zu Paradigmenwechseln wie dem von Newton zu Einstein oder dem von Linné zu Darwin kommt, dann wird es immer auch philosophisch, weil sich die Bedeutung grundlegender Begriffe wie "Raum", "Zeit", "Materie", "Art", "Lebewesen" wandeln. Seit wir uns in unserem Denken auf konkrete Erfahrungen verpflichten (also seit der Empirismus im Zuge der Aufklärung zur wesentlichen Methode der Erkenntnisgewinnung geworden ist), beginnen solche Paradigmenwechsel immer mit dem Ernstnehmen von und dem Abarbeiten an konkreten erfahrungswissenschaftlichen Problemen.

Im Zuge dieses Abarbeitens kann sich dann herausstellen, dass man grundlegende begriffliche Veränderungen vornehmen muss, die nur möglich sind, wenn man eine Arbeit leistet, die zurecht (wegen ihrer Allgemeinheit) als "philosophische" bezeichnet werden muss. Insofern sind Einstein und Darwin sowohl Erfahrungswissenschaftler als auch Philosophen gewesen.

Die klassische deutsche Philosophie ist die Reflexion auf Gedanken von Gegenständen, die sich in letzter Instanz als produziert und erzeugt erweisen. Sie thematisiert ihre eigenen Voraussetzungen. Die Naturwissenschaft macht sich Gedanken über Gegenstände innerhalb ihres Forschungsbereiches, die sie einfach als gegeben hinnimmt und deren Wesen sie nicht hinterfragt (womit sie ihre eigene Bedingtheit nicht durchschaut). Vorausgesetzt, diese äußerst verkürzte Aussage trifft tatsächlich zu: Wäre dann der klassische deutsche Idealismus der Naturwissenschaft um zwei Schritte voraus?

Michael Hampe: Ich weiß nicht, ob ich eine allgemeine Charakterisierung "der klassischen deutschen Philosophie" akzeptieren kann. Gemeint ist wohl der so genannte deutsche Idealismus von Kant, Fichte, Schelling und Hegel - um die berühmtesten Figuren zu nennen. Wer bei diesen Philosophen was produziert, ist pauschal gar nicht zu sagen. Das transzendentale Subjekt Kants, das absolute Ich von Fichte und des frühen Schelling und der Geist von Hegel sind ja nicht dasselbe. Und "produzieren" bedeutet bei diesen Philosophen auch nicht dasselbe.

Es stimmt wohl, dass diese Philosophen - vor allem Kant und Fichte - glaubten, eine Grundlegungsarbeit zu leisten, die die Einzelwissenschaften selbst nicht leisten können. Das kann man heute auch noch tun. Man wird dann freilich nicht mehr von transzendentaler Subjektivität, absolutem Ich und Weltgeist sprechen, sondern von Begriffs- und Zeichensystemen und sozialen Gemeinschaften, die bestimmte Standards der Erkenntnis etablieren und befolgen.

Ich sehe aber nicht, dass Philosophen, die die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis erforschen (seien es nun die Idealisten der Vergangenheit oder die Wissenschaftsphilosophen der Gegenwart), den Einzelwissenschaften in irgendeiner Form etwas voraus haben. Sie machen einfach etwas anderes, sie richten ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Wer die physiologischen Bedingungen der Nahrungsverdauung und die chemischen Bedingungen der Nahrungszubereitung untersucht, der hat meines Erachtens einem guten Koch auch nichts voraus. Er macht einfach etwas anderes als Kochen.

Was ist Ihre Einschätzung: Werden sich in Zukunft Philosophie und Naturwissenschaften wieder aufeinanderzubewegen, werden sie sich weiter entfernen - oder wird die (nicht-doktrinäre) Philosophie gerade wegen ihre Distanz zu den Wissenschaften bei diesen eine notwendige Rolle spielen?

Michael Hampe: Meiner Erfahrung nach interessieren sich Naturwissenschaftler sehr viel mehr für nicht-doktrinäre Philosophie, für philosophische Gedanken, mit Fragen, wie wir unser Leben führen sollen und wie wir die Ideale der Autonomie und Wahrhaftigkeit weiter hochhalten können, als für irgendwelche spezialisierten Behauptungszusammenhänge der Philosophie des Geistes oder der Sprachphilosophie. Insofern kann ich von meiner alltäglichen Arbeit her gesehen nur sagen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Interessen der mir bekannten Naturwissenschaftler und meinen eigenen Interessen in der nicht-doktrinären Philosophie gibt.

Natürlich hoffe ich, dass dieser Zusammenhang eine Zukunft hat. Ich hoffe, dass die Aufklärung eine Zukunft hat, dass unser Streben nach Autonomie und Wahrhaftigkeit weitergeht und nicht durch politische oder religiöse Dogmatiker und Despoten unterdrückt wird. Wenn ich das nicht hoffen würde, könnte ich meine Arbeit gar nicht machen.

Besteht zwischen den einzelnen ausdifferenzierten Einzelwissenschaften nicht doch ein Zusammenhang, den die Philosophie zwar nicht einholen, aber gedanklich synthetisieren und formulieren könnte?

Michael Hampe: Ich glaube nicht, dass sich die Theorien der Einzelwissenschaften zu einer naturalistischen Grosstheorie zusammenfassen lassen, ohne Banalitäten zu produzieren. Die Einzelwissenschaften sind alle dem Empirismus und dem Rationalismus verpflichtet, sie sind aufklärerische Erkenntnisprojekte. Sie stützen ihre Behauptungen über die Welt auf reproduzierbare Erfahrungen und Begründungen. Sie erkennen als Rechtfertigung von Behauptungen keine heiligen Schriften und keine charismatischen Autoritäten an. Das bindet sie zusammen. Sie sind anti-mythologische und anti-autoritäre Veranstaltungen.

Wer glaubt, dass die Welt von einem Gott geschaffen wurde, weil das in einer heiligen Schrift steht und von einem charismatischen Religionsführer behauptet wird, wendet sich kulturell gegen diese aufklärerische Tradition. Der Einzelwissenschaftler wird sagen: "Wir wissen nicht, wo die Welt herkommt, weil wir davon keine Erfahrung haben". Oder: "Wir nehmen diese zwei Kelvin Hintergrundstrahlung überall im Raum wahr. Wir erklären sie hypothetisch mit der Urknalltheorie." Es ist eine Beleidigung der aufgeklärten Vernunft, solchen Aussagen eine heiligen Schrift oder die Dogmen eines Religionsführers entgegenzusetzen.

Es ist meiner Ansicht nach auch ein Missverständnis religiöser Texte, diese als Tatsachenbehauptungen aufzufassen. Die europäische Philosophie sollte in meinen Augen die methodisch aufklärerische Haltung der Einzelwissenschaften immer wieder explizieren und unterstützen. Sie sollte den Mythen nicht aufgeklärter Leute aber keine szientistschen Mythen entgegenhalten, indem sie die in ganz unterschiedlichen Sprachen abgefassten und auf ganz unterschiedliche Laborerfahrungen zurückgehenden Theorien der Naturwissenschaftler in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung zusammenkocht.

Bei diesem Zusammenkochen verliert man dann ja die Erfahrungsgrundlage und die genaue Argumentation. Man verhält sich also gerade nicht wie ein aufgeklärter Kopf, sondern wie ein Mythologe. Aufgeklärt zu denken bedeutet meines Erachtens auch, einzusehen, dass man halt nicht weiß, wie alles mit allem zusammenhängt.

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