Geschichte
Tunnelblick unter Fallgatter und Kamera: Die Diessenhofer Rheinbrücke ist ein historisches Kuriosum

Fallgatter gibt es nur noch in zwei Brücken in der Schweiz: in Gandria im Tessin und in der Diessenhofer Rheinbrücke nach Gailingen. Das Stahlgitter im Übergang von der Schweiz nach Deutschland sollte im Zweiten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen verhindern. Heute ist die Konstruktion im Dach verschraubt.

Ernst Hunkeler
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Über den durchfahrenden Autos hängt ein Fallgatter in der Dachkonstruktion der Brücke.

Über den durchfahrenden Autos hängt ein Fallgatter in der Dachkonstruktion der Brücke.

Bild: Ernst Hunkeler

Die gedeckte Holzbrücke, die zwischen Diessenhofen und dem deutschen Gailingen den Rhein überspannt, ist schon als Relikt alter Handwerkerkunst eine Sehenswürdigkeit für sich. Doch sie birgt auch in ihrem Inneren Besonderes. Vollendet wurde die aktuelle, inzwischen zweimal renovierte Brücke 1816, nachdem ihre Vorgängerin 1799 durch die vor den napoleonischen Truppen fliehenden Russen abgebrannt worden war.

Rheinbrücke Diessenhofen

Zwischen Diessenhofen und Gailingen (D)

Ein Stahlgitter gegen den deutschen Einmarsch

Noch heute fliesst der Verkehr einspurig und ohne Lichtsignal auf der knapp 90 Meter langen Fahrbahn über den massiven Eichenjochen. Dabei kommt schon mal so etwas wie ein Tunnelblick auf, denn über den Fahrern oder Fussgängern wölbt sich die Dachkonstruktion. Und die hat es buchstäblich in sich und gereicht dem Bauwerk zum Status einer echten Rarität: Einige Meter nach der Diessenhofer Brückenöffnung hängt – von den Passanten weitestgehend unbemerkt – ein mächtiges Fallgatter aus dem Jahr 1937 im Gebälk. Das stählerne Gitter sollte im Zweiten Weltkrieg als Vorstufe einer Brückensprengung deutsche Einmarschversuche ver- oder zumindest behindern und konnte über ein Stahlseil mit einer Kurbel am Brückeneingang abgesenkt und wieder angehoben werden.

Mit Betonung auf der Vergangenheitsform, denn zum einen ist das Gatter aus Sicherheitsgründen am Gebälk festgeschraubt, zum anderen ist die Kurbel irgendwann verloren gegangen.
Die Diessenhofer Rheinbrücke von der Gailinger Seite.

Die Diessenhofer Rheinbrücke von der Gailinger Seite.

Bild: Ernst Hunkeler

Laut Zeitzeugen soll die Funktionstüchtigkeit des Gatters nach dem Krieg ab und zu getestet worden sein, wobei das Absenken im Gegensatz zum Anheben offenbar besser funktionierte. Die Folge sollen jeweils Verkehrsstaus gewesen sein – verursacht durch das zweitletzte Fallgatter, das heute in der Schweiz aus Kriegszeiten erhalten ist. Das andere hängt in einem Autotunnel bei Gandria im Tessin kurz vor der italienischen Grenze.

Den Weltkrieg überstand die Diessenhofer Brücke allerdings auch ohne deutsche Angreifer nicht unbeschadet: Eine amerikanische Fliegerbombe zerstörte 1944 die deutsche Hälfte, was den Übergang bis 1947 ausser Betrieb setzte.

Verkehr läuft nur über Blickkontakt

Das Fallgatter der Rheinbrücke.

Das Fallgatter der Rheinbrücke.

Bild: Ernst Hunkeler

Zurück zum Fallgatter: Es ist nicht das einzige Objekt, das unter dem Tunneldach hängt: Ein paar Meter weiter starrt eine Überwachungskamera der Grenzwache aus dem Gebälk auf den aus Deutschland einreisenden Verkehr herab. Fallgatter und Kamera: zwei Besonderheiten in der Diessenhofer Brücke, zu deren Beachtung auf der Durchfahrt allerdings kaum Musse bleibt, denn zum einen ist die Fahrbahn recht schmal, zum anderen gilt es stets den vor der jenseitigen Brückenöffnung sich stauenden Gegenverkehr zu beobachten. Eine Verkehrsregelung, die rein über Blickkontakt abläuft und immer mal wieder zu Konflikten betreffend Vortritt führt.