Stefanie Sommer

Journalismus-Studentin | FAZ, Mainz

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Imposter Syndrome: Von der Angst, als Hochstapler:in entlarvt zu werden

Sie haben Erfolg im Beruf oder an der Uni, denken jedoch immer, eines Tages würde jemand merken, dass Sie eigentlich keine Ahnung haben? Das nennt man das Hochstapler-Syndrom. Wir haben mit Expertinnen gesprochen, wie man es am besten überwindet.

Imposter Syndrome: Expertinnen verraten, woher es kommt und wie man damit umgeht

Es war im April dieses Jahres, ich hatte meinen letzten Praktikumstag bei einer großen deutschen Tageszeitung und eine Redakteurin holte mich in ihr Büro. Wie es denn jetzt für mich weiterginge nach der Hospitanz? Und ob ich denn neben dem Masterstudium vielleicht weiterhin für jenes Medium schreiben wolle? "Ja aber natürlich, danke für das Angebot", hätte ich antworten sollen. Stattdessen sagte ich erstmal lange nichts und dann: "...echt, ich?" Die Redakteurin antwortete: "Ja, total gerne, uns gefallen deine Texte". Und ich suchte unterbewusst nach der versteckten Kamera. Hätte nicht schon lange auffliegen müssen, dass ich eigentlich gar nicht wusste, was ich hier tat? Was hatte ich kleine Studentin denn bei dieser großen Zeitung verloren?

Ähnlich ging es mir ein halbes Jahr später, als die Zusage für das Praktikum bei der VOGUE kam. Wie hatte ich das denn geschafft? Musste Glück gewesen sein, es gab viel Bessere als mich. Die würden mich doch direkt am ersten Tag hochkant wieder aus dem Hochglanz-Büro werfen. Die VOGUE-Betrügerin.

Was ist das Imposter Syndrome?

Finden Sie, das klingt überspitzt, unrealistisch und ungesund? Ist es vermutlich auch, aber so oder so ähnlich sehen die Gedanken von uns Menschen mit dem Imposter Syndrome (dt. "Impostor-Syndrom") aus. Der Begriff "Imposter" ist einigen vielleicht noch vom Lockdown-Trend-Spiel "Among Us" bekannt. Darin galt es, inmitten einer Raumschiffbesatzung diejenigen Mitspieler:innen (bzw. deren kleine bunte Männchen) entlarven, die andere im Spiel umbrachten, indem sie so taten, als seien sie jemand anderes. Die sogenannten "Imposter" - Aufschneider:innen. Betrüger:innen.

Das sind Menschen mit dem "Hochstapler-Syndrom", wie es auch genannt wird, eben gerade nicht - auch wenn sie es denken. Psychologin Stefanie Winke, die in München eine Praxis hat, erklärt das Syndrom so: "Es ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen, obwohl sie erfolgreich sind und über Fähigkeiten verfügen, das Gefühl haben, dass sie eigentlich Betrüger:innen sind und zu Unrecht Anerkennung oder Vertrauen entgegengebracht bekommen."

So wurde das Imposter Syndrome entdeckt

Geprägt wurde der Begriff des Imposter-Syndromes 1978 von Pauline Clance und Suzanne Imes. Die Psychologinnen hatten an ihrer Fakultät an der Georgia State University beobachtet, dass weibliche Studentinnen und promovierte Frauen trotz sehr guter akademischer Leistungen häufig das Gefühl hatten, Anderen nur etwas vorzutäuschen. Sie führten eine Studie dazu durch und veröffentlichten in der Folge den Artikel "The imposter phenomenon in high achieving women: Dynamics and therapeutic intervention".

Neben "Impostor-Syndrom" wird auch oft der Name "Impostor-Phänomen" verwendet. Denn es handelt sich, anders als der Begriff "Syndrom" suggeriert, nicht um eine psychische Störung im herkömmlichen Sinn. Im weltweiten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) ist es nicht als Krankheit gelistet.

Wie Menschen mit Imposter-Syndrome denken

"Was wenn jemand meine (vermeintliche) Inkompetenz irgendwann entdeckt und mich als Betrüger:in entlarvt? Was wenn alle merken, dass ich doch eigentlich gar nichts kann? Dass ich nur so tue als ob?" Das sind nur einige Beispiele für Impostor-Gedanken, die ich selbst nur zu gut kenne.

Laut Marion Lemper-Pychlau, Psychologin, Autorin und Mindset-Coachin, die sich schon lange mit dem Thema Selbstzweifel auseinandersetzt, zeichnen sich Betroffene vor allem durch drei Dinge aus. Erstens: eine falsche Attribution. "Wenn sie einen Erfolg haben, ordnen sie den gleich irgendwelchen Umweltfaktoren zu. Das heißt, die sagen sich zum Beispiel, 'ich habe hier auch einen Tipp gekriegt von einer Person, oder ich war halt zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort'". Statt sich den Erfolg mit den eigenen (guten) Fähigkeiten zu erklären, würden sie ihn äußeren Faktoren zuschreiben und damit ihre persönlichen Leistungen ignorieren und negieren. Zweitens: "Diese Menschen sind ständig der heimlichen Überzeugung sind, dass sie einfach nur ihre Umgebung getäuscht haben", so Lemper-Pychlau. Habe also jemand zum Beispiel Erfolg im Job und steige auf, gehe er:sie automatisch davon aus, dass seine Umgebung ein falsches Bild von ihm:ihr habe und ihn:sie überschätze. Daraus folgt laut der Psychologin dann das dritte Merkmal von Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom: Sie lebten in ständiger Angst, dass sie auffliegen.

Woher kommt das Imposter Syndrome?

Es gibt nicht das eine Persönlichkeitsmerkmal, das jemanden dafür prädestiniert, das Imposter Syndrom zu entwickeln, vielmehr ist es eine Symbiose verschiedener Faktoren. So nennt es auch Stefanie Winke, die Münchner Psychologin, "ein komplexes Zusammenspiel von inneren und äußeren Einflüssen". Sie weist zudem daraufhin, dass das Impostor-Syndrom bei allen Menschen auftreten kann, es sei kein fest verankerter Charakterzug, sondern eher "eine vorübergehende psychologische Reaktion auf bestimmte Situationen und Einflüsse im Leben einer Person".

Ausschlaggebend könne laut Winke zum Beispiel ein starker Hang zum Perfektionismus sein. Denn Menschen, die hohe Ansprüche an sich stellen, würden eher dazu neigen, ihre eigenen Fehler oder Unvollkommenheiten überzubewerten. Auch Menschen, die viel an sich selbst zweifeln, seien anfälliger dafür, das Syndrom zu entwickeln. Zudem könne auch das ständige Vergleichen mit anderen, scheinbar erfolgreiche(re)n Menschen es verstärken. Dabei müsse man jedoch beachten, "dass wir in den meisten Fällen von Anderen nur Ausschnitte aus ihrem Leben sehen und es sich hierbei um optimierte Ergebnisse handelt" (Stichwort Social Media). In einigen Fällen führen auch Erfolgserfahrungen dazu, dass sich eine Person wie ein:e Betrüger:in fühlt. Winke erklärt dazu: "Einige Menschen fühlen sich derart mit ihren Leistungen verbunden, dass die Angst stärker werden kann, im Falle eines Fehlers tief in der Anerkennung anderer zu fallen".

Nach Ansicht von Katja Bertsch, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist allgemein häufig eine hohe Ausprägung von Neurotizismus ein Grund für das Hochstapler-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine der sogenannten "Big Five" der Persönlichkeitseigenschaften (Modell der Persönlichkeitspsychologie nach Hans Jürgen Eysenck). Neurotische Menschen neigen verstärkt zu Unsicherheiten, Angst, Hemmungen und Nervosität.

Oft liegen die Wurzeln in der Kindheit

Auch soziale und kulturelle Einflüsse und vor allem die Erziehung tragen ihren Teil dazu bei, ob man das Impostor-Syndrom entwickelt.

Coachin Marion Lemper-Pychlau erzählt, dies könne schon früh beginnen: "Kinder, die viel kritisiert werden, Kinder, die wenig ermutigt und unterstützt werden, Kinder, die vielleicht auch geschlagen werden, die entwertet werden, aber auch Kinder, die ein sehr hoher Leistungsanspruch gerichtet ist", seien anfälliger dafür, später das Syndrom zu entwickeln. Glaubenssätze wie "Ich bin nur liebenswert und beachtenswert, wenn ich genug leiste" würden sich so schon früh festsetzen. Doch auch Kinder, die "über den grünen Klee gelobt werden", sind laut Lemper-Pychlau häufig betroffen. Denn sie würden nie einen gesunden Maßstab lernen, was entweder dazu führe, dass sie sich bei dem ganzen Lob irgendwann fragen, was sie denn wirklich können oder sich später im Berufsleben wundern, warum sie nicht so viel Positives hören wie sie es von früher gewohnt sind.

Neben dem sozialen Aspekt kann auch eine genetische Komponente ausschlaggebend sein. "Menschen werden mit einem unterschiedlichen Angstlevel geboren", sagt Lemper-Pychlau. Manche kleinen Kinder seien die Ruhe selbst, während andere sehr schnell nervös würden. Diese seien empfänglicher für die schlechten Dinge, die das Hochstapler-Syndrom begünstigen. "Aber man wird nicht mit dem Syndrom geboren".

Wann tritt das Imposter Syndrome meistens in Erscheinung?

Eva Asselmann ist Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der HMU Potsdam, Coachin und Autorin. In ihrem Buch "Easy Relax: Raus aus der Stressfalle in 20 Sekunden" (2023) beschäftigt sie sich damit, wie man Stress und (gefühlter) Überforderung am besten beikommen kann. Als Beispiel für Situationen, in denen das Impostor-Syndrom häufig entsteht, nennt sie Beförderungen. Nach positiven Karrieresprüngen, wenn man mit neuen Verantwortlichkeiten konfrontiert wird, frage man sich oft, ob das nicht eher Zufall war oder ob von außen mehr erwartet wird als man tatsächlich leisten kann. Auch am Anfang eines Studiums könne dies laut Asselmann auftreten. Angesichts unerwartet großer Lernberge würden sich manche Menschen denken "das schaffe ich nie". Dies könne dann schnell zu einer "self-fulfilling prophecy" (selbsterfüllende Prophezeiung) werden, da man sich automatisch mehr stresse.

Ein dritter Auslöser kann ein defizitorientiertes Arbeitsumfeld sein. Im Beruf könne es oft passieren, dass bei dem ständigen Drang nach Leistung "das Positive aus dem Blick verloren wird", so Asselmann. Marion Lemper-Pychlau pflichtet dem bei: "Das Hochstapler-Syndrom kann sich auch entwickeln, wenn man immer nur negatives Feedback bekommt statt ab und an auch Lob." Führungskräfte, die nach dem Motto "Nicht getadelt ist genug gelobt" praktizieren, kennen wir ja leider alle.

Auftreten kann das Imposter-Syndrom grundsätzlich in allen Berufsgruppen. Katja Bertsch von der LMU München beobachtet aber vor allem hohe Prävalenzen in sozialen und Pflege-Berufen. Auch Schüler:innen, Medizinstudierende, Ärzt:innen und Doktorand:innen seien häufig betroffen. Akademische Berufe im Allgemeinen böten oft Nährboden für das Syndrom - was auch damit zusammenhänge, dass hier hoher Leistungsdruck auf der einen und frustrierende Bedingungen auf der anderen Seite herrschen.

Ist das Imposter-Syndrome dann nicht viel eher Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems?

Stefanie Winke erläutert: "Das Imposter-Syndrom ist eine komplexe Mischung aus individuellen Gefühlen und sozialen, kulturellen sowie gesellschaftlichen Einflüssen. Es ist keine rein individuelle Angelegenheit, sondern ein Problem, das oft durch bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Dynamiken verstärkt wird." Besonders in Kulturen, in denen Leistungen und Erfolg stark im Vordergrund stehen - so etwa im angelsächsischen Amerika oder in Teilen Asiens -, könne das Syndrom häufiger auftreten. Wenn es gang und gebe sei, wenig über Probleme und Fehler zu sprechen, vermittele dies einen verzerrten Eindruck über uns und das Leben Anderer. So auch auf Social Media: Ein Blick in den Feed auf Instagram oder LinkedIn reicht, um sich im Vergleich zu Bekannten oder Fremden direkt ein Stück unzulänglicher zu fühlen. Je perfekter sich jede:r nach außen hin gibt, umso höher werde "der Druck, der auf allen laste, die unerreichbare Perfektion zu erreichen", sagt Winke.

Es sei wichtig zu verstehen, dass das Hochstapler-Syndrom ein irrationales Gefühl ist, das viele Menschen erleben. "Tatsächlich kann es als Aspekt des Menschseins in unserem Kulturkreis verstanden werden, in dem sich große Teile der Bevölkerung wieder erkennen."

Was können Folgen des Imposter-Syndromes sein?

Auch wenn das Impostor-Syndrom keine offiziell anerkannte Krankheit ist, kann es doch ernste Folgen haben. So führt es laut der Münchner Psychologin Winke zu Selbstzweifeln und Angst. Die genaue Ausprägung sei von Mensch zu Mensch jedoch verschieden: "Für manche bedeutet es eine hohe Anspannung vor einer besonderen Aufgabe und für andere ein täglicher Kampf den Alltag zu bewältigen." Es sei jedoch wichtig zu verstehen, dass das Impostor-Syndrom ein ernst zu nehmendes Problem sein kann, das erheblich auf die Lebensqualität einwirken kann. So könne laut Winke auch körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magenprobleme verursachen.

Coachin Lemper-Pychlau fügt hinzu, dass das Syndrom oft dafür sorge, dass man sich von vornherein nicht traut, Dinge anzugehen, zur Prokrastination neigt oder Herausforderungen gleich ganz aus dem Weg geht - denn Betroffene wollten ja unbedingt vermeiden, Fehler zu machen. "Es soll schon Fälle gegeben haben, wo Leute einen anspruchsvollen Job gekündigt haben, den sie bisher gut gemacht haben, weil sie einfach diese Belastung nicht mehr ertragen haben, ständig Angst zu haben, aufzufliegen." Eine andere Auswirkung sei laut Lemper-Pychlau, dass man übermäßig perfektionistisch wird: "Und wir wissen ja, was das an Kraft kostet." Das könne dann schnell auch noch zu einem anderen Nebeneffekt führen: Burnout.

Sind Frauen tatsächlich häufiger betroffen?

In seiner Geburtsstunde an der Georgia State University bezog sich der Begriff "Imposter Syndrome" ausschließlich auf "high achieving women" im akademischen Umfeld. Heutzutage herrscht Uneinigkeit über die Frage, ob vorwiegend Frauen davon betroffen sind. Nach Angaben von LMU-Professorin Bertsch werden durchaus höhere Prävalenzen bei Frauen gefunden, es sei aber kein ausschließlich weibliches Phänomen. Ähnlicher Ansicht sind auch die anderen Expertinnen. Einen Grund dafür, dass das Syndrom eher Frauen zugeschrieben wird, sieht die Psychologin Winke etwa in der weiblichen Sozialisation und Stereotypen in Geschlechterrollen.

Frauen würden oft dazu erzogen, bescheiden und zurückhaltend zu sein. Daher neigten sie eher dazu, "ihre eigenen Erfolge herunterzuspielen und Selbstzweifel zu haben, während Männer häufiger ermutigt werden, selbstbewusst und selbstsicher aufzutreten". Frauen könnten zudem das Gefühl haben, ihre Position oder Erfolge mehr rechtfertigen zu müssen als Männer. Auf der anderen Seite könnte diese Ungleichheit in gesellschaftlichen Erwartungen auch dazu führen, "dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen, besonders erfolgreich und kompetent zu sein, um als gleichwertig angesehen zu werden".

Ferner könnten die höheren Prävalenzen bei Frauen auch darauf zurückzuführen sein, dass sie sich eher Hilfe holen: "Man sieht ihnen das Hochstapler-Syndrom schneller an und sie sprechen auch bereitwilliger darüber", sagt Marion Lemper-Pychlau. Männer indes seien durch Geschlechter-Stereotypen oft so veranlagt, sich keine Schwächen einzugestehen. Die Dunkelziffer könnte bei ihnen also deutlich höher sein. "Das Gefühl, nicht den Anforderungen gerecht zu werden, ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt", resümiert Stefanie Winke.

Wie kann ich das Imposter Syndrome überwinden?

Da es sich bei dem Syndrom um keine klinische Diagnose handelt, gibt es laut LMU-Professorin Bertsch auch (bislang) kein genaues Behandlungskonzept. Prinzipiell könne man versuchen, seinen Zweifeln selbst Einhalt zu gebieten oder sich Unterstützung bei einem:r Coach:in holen. Aber: "Sollten die Folgen klinisch relevant sein, etwa Depression, Angst oder Suizidalität, sollte eine psychologische Psychotherapie aufgesucht werden", so Bertsch.

Im Folgenden finden Sie neun Tipps von unseren Expert:innen, wie Sie sich (sollten Sie nicht von ernsteren Folgen betroffen sein) selbst helfen können:

1. Sich das Syndrom eingestehen

Marion Lemper-Pychlau rät als Allererstes: "Hingucken und es sich selbst eingestehen und akzeptieren, dass es so ist". Da niemand mit dem Hochstapler-Syndrom geboren werde, dürfe man sich auch sagen, dass es durch die Sozialisation entstanden ist. Im ersten Schritt sei es wichtig zu erkennen: "Es ist nicht deine Schuld, wenn du dieses Problem hast." Und: "Ich bin nicht minderwertig, weil ich jetzt so mich so klein fühle."

2. Sich Anderen anvertrauen

Dann seit es laut Lemper-Pychlau auch entlastend, nach außen dazu zu stehen und mit vertrauten Menschen über die Probleme zu reden. Das hat nach Ansicht von Psychologin Stefanie Winke auch noch einen weiteren Vorteil: Oft werde man in solchen Gesprächen nämlich auch darin bestätigt, dass es Anderen genauso geht.

Generell rät sie ihren Patient:innen, sich auch Fremden oder weniger gut bekannten Personen gegenüber verletzlich zu zeigen. Wenn man zum Beispiel vor einem Vortrag aufgeregt ist, könne man versuchen, dies nicht vor Anderen zu verbergen, sondern das Gefühl klar benennen. "Es ist viel leichter, sich zu öffnen, als eine Fassade auf Krampf aufrecht zu erhalten", so Winke. Gleichzeitig mache man es damit auch Anderen leichter, sich verletzlich zu zeigen.

3. Bereit sein, etwas zu ändern

Ein dritter wichtiger Schritt auf dem Weg zur Selbsthilfe ist es nach Ansicht von Lemper-Pychlau, überhaupt die Motivation aufzubringen, sich zu sagen, das etwas geändert werden muss. Denn: "Es ist nicht ehrenhaft, sich ständig klein zu machen".

4. Selbstbeobachtung und Fakten sammeln

Indem man sich selbst genau beobachtet, kann man realisieren, in welchen Situationen genau einen die Selbstzweifel heimsuchen und in der Konsequenz besser darauf reagieren, erklärt Lemper-Pychlau weiter. In dem Zusammenhang könne man auch Fakten sammeln: "Ich habe jetzt den und den Erfolg errungen. Was hab ich denn dazu beigetragen? Hätte der Hausmeister das auch gekonnt? Was ist mein Anteil daran?" Betrachte man Sachverhalte so nüchtern, würde man die Wahrheit in der Regel erkennen.

5. Eigene Erfolge und Kompetenzen auflisten

Ihre Kund:innen fordert Lemper-Pychlau auch oft dazu auf, handschriftlich eine Liste mit Erfolgen anzulegen. Was hat man im Leben alles schon gut hingekriegt? "Das Problem bei Menschen mit schlechtem Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen ist, dass sie die Dinge sehr verzerrt wahrnehmen, dass sie geneigt sind, ihre Misserfolge alle immer im Kopf zu haben und jederzeit runterbeten zu können", erzählt die Coachin. Bei Erfolgen hingegen müssten diese Personen immer ein bisschen nachdenken. Stefanie Winke verfolgt mit ihrem "Erfolgstagebuch" eine ähnliche Herangehensweise. Hier könne man am Ende des Tages alles auflisten, was gut gelaufen ist, persönliche Fortschritte, Komplimente oder einfach nur Momente der Zufriedenheit.

Ebenso wie positive Dinge könne man aber auch negative aufschreiben. Psychologin Eva Asselmann lässt ihre Patient:innen in ihren Coaching-Sessions etwa festhalten, was genau ihre konkreten Impostor-Ängste sind und vor welchen Szenarien im Job sie sich fürchten. In einem zweiten Schritt werde dann geschaut, wie wahrscheinlich diese Situationen überhaupt sind und wie man, falls sie eintreten, damit umgehen könnte.

6. Sich auf die Gegenwart konzentrieren

Da beim Impostor-Syndrom die Gedanken vor allem um die Vergangenheit oder Zukunft kreisen, empfiehlt Stefanie Winke, das Gedankenkarussell bewusst zu stoppen und sich auf den Moment zu konzentrieren. Dabei seien Fragen wie "Wo bin ich gerade und mit wem?" oder "Was könnte ich in diesem Moment gebrauchen, um mich besser zu fühlen?" hilfreich. Manche Menschen würden auch einen festen "Grübelort" wie einen bestimmten Sessel haben, an dem es erlaubt ist, sich kritisch zu hinterfragen - aber auch nur da!

7. Kolleg:innen um Feedback bitten

Kolleg:innen, denen man ein gutes, ausgewogenes Urteil zutraut, könne man laut Marion Lemper-Pychlau auch mal um Feedback zu seinen Leistungen bitten. Ihnen gegenüber könne man ruhig ehrlich sagen "Ich bin nicht sicher, ob ich gut genug für diese Aufgabe bin, was denkst du, was ich beitragen könnte?"

8. Aufhören, sich ständig mit Anderen zu vergleichen

Besonders Vergleiche nach oben sind laut Marion Lemper-Pychlau falsch. Wenn man sich schon unbedingt vergleichen wolle, solle man es mit sich selbst tun. Oder sich Vorbilder suchen, bei denen man sich denke "Das hat der:die toll gemacht, das kann ich doch auch lernen".

9. Gegebenenfalls: berufliche Neuorientierung

Falls das Hochstapler-Syndrom durch ein negatives Arbeitsumfeld entsteht, in dem ständig hoher Druck herrscht und Fehler nicht toleriert werden, "reichen Gespräche mit Freund:innen oder Achtsamkeitsübungen möglicherweise nicht, um dauerhaft damit zurecht zu kommen", sagt Stefanie Winke. Passen die eigenen Bedürfnisse nicht zur Unternehmenskultur, sei es auch keine "Flucht", wenn man überlege, sich anderweitig zu orientieren.

Wie kann man als Außenstehende:r helfen?

Bekommt man als Elternteil, Freund:in, Arbeitskolleg:in oder Vorgesetzte:r mit, dass jemand vom Impostor-Syndrom betroffen ist, kann man in einem gewissen Rahmen die Person auch bei der Heilung unterstützen. Eva Asselmann, die Autorin und Psychologie-Professorin aus Potsdam, schlägt dafür etwa vor, gerade im Berufsumfeld verstärkt Positives hervorzuheben und den Druck rauszunehmen. Daneben könne man als Chef:in immer wieder darauf hinweisen, dass man bei Fragen oder Problemen immer ansprechbar ist oder für sein Unternehmen Coaching zum Thema Stress und Selbstwertgefühl anbieten.

Ob von außen eingegriffen werden kann, komme jedoch auch immer auf die einzelne Person und ihre Offenheit an, gibt Lemper-Pychlau zu bedenken: "Wenn Sie jemanden haben, der:die immer wie ein Erfolgsmensch wirkt, dann kriegen Sie ja als Chef:in überhaupt nicht mit, dass der:die innen drin zerfressen ist von Selbstzweifeln." Man könne jedoch auf gewisse Indizien achten. Äußere jemand etwa häufig Sätze wie "Das habe ich mal wieder nicht verstanden" oder sträube sich, neue Herausforderungen anzunehmen, die Sie ihm:r aber zutrauen, seien das Anhaltspunkte für das Syndrom. Bemerke man solche Dinge, könne man etwa darauf achten, der Person häufig Feedback zu geben oder sie - im positiven Sinne - auf etwa das Aufschieben einer Aufgabe ansprechen und ihr Bestätigung geben: "Du hast die Kompetenz, du hast es mehr als einmal bewiesen." Darüber hinaus rät Lemper-Pychlau, dem:r Angestellten seine Fehlzuordnungen aufzuzeigen und die Tatsachen vor Augen zu führen. So könne man etwa sagen: "Sie haben das und das gemacht, das war kein Zufall, hier haben Sie sich in der und der Form eingebracht".

Emma Watson, Natalie Portman, Tom Hanks: Diese Stars werden auch von Selbstzweifeln geplagt

Sollten Sie sich von nach der Lektüre des Artikels angesprochen fühlen (oder bereits wissen, dass Sie auch das Hochstapler-Syndrom haben), kann ich Ihnen als "Trost" wenigstens mitgeben, dass wir uns in prominenter Gesellschaft befinden. Denn auch große Hollywoodstars zum Beispiel sind nicht vor starken Selbstzweifeln gefeit. "Es ist fast so, als würde mein Gefühl der Unzulänglichkeit umso größer, je besser ich etwas mache. Ich denke mir dann immer: 'Jeden Moment wird jemand herausfinden, dass ich (...) nichts von dem verdiene, was ich erreicht habe'", sagte zum Beispiel Emma Watson 2013 dem "Rookie"-Magazin. Auch Kate Winslet kennt dieses Gefühl: "Manchmal wache ich morgens auf, bevor ich zu einem Shooting gehe, und ich denke, ich kann das nicht. Ich betrüge nur", äußerte sie 2009 gegenüber "The Mirror".

Natalie Portman schloss 2003 ihr Psychologie-Studium in Harvard ab. 2015 sagte sie in einer Rede vor Absolvent:innen: "Heute fühle ich mich sehr ähnlich wie damals, als ich 1999 als Neuling nach Harvard kam. Ich hatte das Gefühl, dass es einen Fehler gegeben hatte, dass ich nicht klug genug war, um hier zu sein, und dass ich jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffnete, beweisen musste, dass ich nicht nur eine dumme Schauspielerin war." Jodie Foster gewann 1989 ihren ersten Oscar für ihre Rolle in "Angeklagt" - und hielt das für einen Zufall. Sie habe gedacht, irgendwann würde jemand zu ihr nach Hause kommen, an die Tür klopfen und sagen: "Entschuldigung, wir wollten den Preis jemand anderem geben. Er gehört Meryl Streep". Die wiederum ebenfalls sehr oft mit sich hadert: "Du denkst 'warum sollte mich jemand in einem Film wiedersehen wollen? Und ich weiß sowieso nicht, wie man schauspielert, also warum mache ich das?'", erzählte die Schauspielikone 2002 in einem Interview mit "USA Weekend". Und auch Lupita Nyong'o, Michelle Pfeiffer, Tom Hanks und Tina Fey reihen sich in die Liste der prominenten "Imposters" ein.

Fazit: #believeinyourself?

Es ist absolut blauäugig und naiv, davon auszugehen, dass nur ein überschwänglich vorgetragenes Credo à la "Glauben Sie an sich selbst" ausreicht, gegen das Impostor-Syndrom anzugehen. Diese negativen Gedanken über sich selbst sind dafür viel zu tief im Inneren des Wesens verankert. Je nach Schwere des Syndroms kann auch nicht jede:r Betroffene alleine damit zurechtkommen und es hinter sich lassen. Aber wir können vielleicht zumindest ein Stück weit im Alltag darauf achten, was wir da gerade so über uns und unsere Leistungen denken. Sie wissen ja: Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.

Meine Zeit bei der VOGUE neigt sich ganz bedenklich dem Ende zu. Daher nehme ich mir jetzt und hier vor: Am letzten Tag, wenn ich die Tür zur Redaktion zuziehe, werde ich mir nicht denken: "Gottseidank, es hat keiner gemerkt, dass ich hier nichts zu suchen habe". Sondern: "Girl. Hast du gut gemacht. Absolut verdientes Praktikum".

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