Wie Liane Lippert an ihrem Comeback arbeitet

Daniel Brickwedde

 · 16.04.2024

Ihr letztes Rennen bestritt Liane Lippert im Oktober. Danach musste sie aufgrund eines Ermüdungsbruch pausieren.
Foto: dpa / frontalvision
Diese Woche stehen die Ardennen-Klassiker an. Eigentlich das Terrain von Liane Lippert. Doch die Deutsche Meisterin muss weiter aussetzen. Ein Ermüdungsbruch im Winter warf sie unerwartet lange zurück. Zeitweise schien sogar die komplette Saison in Gefahr. Wann Lippert wieder Rennen fährt und welche Ziele sie 2024 noch verfolgt, gibt es hier zu lesen.

Joggen, so Liane Lippert, werde sie künftig erst einmal nicht mehr. Sie kann das inzwischen aber mit einem Schmunzeln sagen, schließlich haben sich die Dinge zuletzt deutlich ins Positive gewandelt. Vor einigen Wochen sah das noch anders aus. Im November wurde bei ihr eine Stressfraktur im Oberschenkelhalsknochen entdeckt, ein sogenannter Ermüdungsbruch. Wo dieser herkam, ist rückblickend nur schwierig zu filtern, diverse Faktoren können eine solche Fraktur hervorrufen. So sei sie zum Saisonende einige Mal auf die Hüfte gefallen, sagt Lippert, dadurch war der Knochen vermutlich schon beschädigt. “Ich bin dann in der Saisonpause lange kein Rad gefahren und bin viel Joggen gewesen, mehr als sonst. Da gibt es wahrscheinlich einen Zusammenhang, weil Joggen für Radprofis nicht so gesund ist”, sagt sie.



Lippert ist in der Sierra Nevada, während sie von all dem berichtet. Ein extra eingeschobenes Höhentrainingslager. “Es wird sonst schwierig, alles wieder aufzuholen”, sagt sie mit Blick auf die Saison. Die Ardennen-Klassiker, ihre Lieblingsrennen, kommen diese Woche noch zu früh. “Das ist mega schade”, sagt Lippert, “aber, wenn ich am Start stehe, möchte ich auch um das Podium kämpfen.” Im Vorjahr landete sie auf Platz zwei beim Fleche Wallonne. Die Zeit nutzt sie nun aber lieber zum Training. Ihr Comeback ist bei der Vuelta a Espana Ende April geplant.

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Ihr letztes Rennen bestritt Liane Lippert im Oktober.Foto: dpa / frontalvisionIhr letztes Rennen bestritt Liane Lippert im Oktober.

Denn was anfangs niemand ahnte: Der Ermüdungsbruch hat Lippert die komplette bisherige Saison gekostet. “Ich hatte noch nie eine Verletzung, das habe ich dann auch gemerkt, weil ich viel zu zuversichtlich war, mein Umfeld um mich herum allerdings auch”, so Lippert. Unter anderem bekam sie zu Beginn von Ärzten versichert: Keine Sorge, so ein Bruch verheile bei Sportlern schnell. “Kurze Pause” und “schnell wieder auf dem Rad”, so lauteten im Dezember die Prognosen für ihre Rückkehr. Die Krux für Lippert: Im Alltag benötigte sie Krücken, auf dem Rad war sie jedoch schmerzfrei. Also trainierte sie im normalen Umfang für die neue Saison. Rückblickend ein Fehler.

Zwischenzeitlich war die gesamte Saison für Liane Lippert in Gefahr

Der ganze Schlamassel offenbarte sich dann im Trainingslager mit ihrer Mannschaft Movistar im Januar. Dort ließ man ein neues MRT machen. “Das Ergebnis war schlecht, viel schlechter als das erste MRT. Mein Teamarzt sagte mir: Wenn ich jetzt nicht aufhöre, dann ist die gesamte Saison vorbei”, sagt Lippert. Im Ödem um den Bruch hatte sich viel Flüssigkeit gesammelt. Eine weitere Belastung war tabu, ein Zeitpunkt für die Rückkehr ins Training ungewiss.

“Am Anfang dachte ich, ich falle zwei Wochen aus, das beeinflusst meine Saison ja nicht. Dann fiel die Mallorca-Challenge aus, dann die Valencia-Rundfahrt, dann die Strade Bianche – es ging immer so weiter”, sagt Lippert und fügt an: “Ich wusste zwischenzeitlich nicht, ob ich überhaupt dieses Jahr noch fahren kann. Wenn das jetzt gar nicht mehr normal wird? Irgendwann war ich einfach froh, dass es anfing, besser zu werden.”

Ihren größten Erfolg feierte Liane Lippert 2023 mit dem Etappensieg bei der Tour de France.Foto: Getty Images / Alex BroadwayIhren größten Erfolg feierte Liane Lippert 2023 mit dem Etappensieg bei der Tour de France.

In der Vorsaison erlebte Lippert das bislang beste Jahr ihrer Karriere und entwickelte sich von einer Topfahrerin zu einer Siegfahrerin. Ihr Wechsel vom Team DSM, bei dem sie sechs Jahre fuhr, zu Movistar entpuppte sich absolut richtig. “Vom Training und den Werten bin ich nicht so viel besser, es ist sind eher die Fahrweise, das Team und das Umfeld. Ich fühle mich vom Kopf her einfach besser bei Movistar. Ich konnte selbst Rennen gewinnen, das Team vertraut und plant auch langfristig mit mir”, sagt sie.

Liane Lippert hat die Zwangspause für Spanisch genutzt

Der Höhepunkt war im Sommer der Etappensieg bei der Tour de France, auch ihr bislang letztes Rennen, Tre Valli Varesine, gewann sie – das war im Oktober 2023. Entsprechend hoch waren die eigenen Erwartungen und die Motivation, direkt in der neuen Saison daran anzuknüpfen. Stattdessen ist Lippert maximal ausgebremst worden; sie darf bislang nur zuschauen. “Im Januar war ich trotz des Bruchs und der Pause richtig gut drauf, hatte richtige gute Werte bei den Tests. Das ist dann schon frustrierend. Das Gute ist aber, dass der Knoten schon geplatzt ist und das Team weiß, dass ich das kann.”

Es ist die erste lange Zwangspause in ihrer Laufbahn, das erste Mal, dass sie nicht das tun durfte, was ansonsten selbstverständlich ist: Rad fahren. Das sei mitunter nicht leicht gewesen, so Lippert, irgendwann habe sie die Situation aber akzeptiert. Ablenkung fand sie vor allem zu Hause. “Ich habe zum Beispiel ein großes Bild Malen nach Zahlen gemacht”, sagt Lippert und lacht. Außerdem lernte sie viel Spanisch. Ihr neues Sprachniveau habe im Team alle überrascht. “Ich hatte nun Zeit für solche Sachen, konnte mal abschalten vom Radsport. Am Anfang habe ich die Rennen auch nicht verfolgt”, sagt Lippert.

Ende Februar stand das dritte MRT an. Dieses Mal mit guten Nachrichten für Lippert: Der Bruch war geheilt, das Ödem kaum mehr zu sehen. Sie durfte wieder trainieren, aber noch nicht mit Vollgas. Denn das Bein habe sich zunächst noch “komisch” angefühlt, die Balance fehlte noch auf dem Rad, so Lippert. Und mit der Vorgeschichte wollte sie ohnehin dieses Mal nichts überstürzen. Seit Mitte März befindet sie sich allerdings im Aufbautraining für die Saison. “Vor einem Monat bin ich das erste Mal wieder einen Sprint gefahren, ohne Schmerzen – das war einer der schönsten Momente im Training. Die ersten Intervalle zu fahren, das war klasse”, sagt Lippert.

Nachfolgerin von Annemiek van Vleuten? Liane Lippert stört sich daran

Wo sie leistungsmäßig steht, kann sie derweil nicht einschätzen. Immerhin habe sie den Großteil der Saisonvorbereitung verpasst. Nach der Vuelta stehen weitere Rennen in Spanien an, dazu ein weiteres Höhentrainingslager. Ab Sommer, so hofft Lippert, ist sie für die Saisonhöhepunkte mit Tour de France und Olympia dann wieder in Top-Verfassung.

Bei Movistar gilt Lippert nach dem Karriereende von Annemiek van Vleuten formal als Kapitänin. Als direkte Nachfolgerin der Niederländerin sieht sie sich jedoch nicht. Im Grunde stört es Lippert sogar, dass sie öffentlich oft mit van Vleuten verglichen wird, gerade in Spanien. Immerhin fördert das eine falsche Erwartungshaltung. Denn beide sind verschiedene Fahrertypen: Van Vleuten war die zuletzt beste und erfolgreichste Rundfahrerin im Frauenradsport, Lippert ist eher eine explosive Athletin mit Stärken bei den Klassikern – und Verbesserungspotenzial im Hochgebirge. “Ich bin eben die neue Leaderin, aber nicht die Nachfolgerin in dem Sinne, dass ich die gleichen Ergebnisse einfahren soll. Das ist in keinem Fall so. Ich mag es nicht wirklich, mir ihr verglichen zu werden”, sagt Lippert.

Bei Movistar beendete Annemiek van Vleuten Ende 2023 ihre Karriere.Foto: dpa / frontalvisionBei Movistar beendete Annemiek van Vleuten Ende 2023 ihre Karriere.

In Zukunft könne sie sich allerdings vorstellen, auch zur Klassementfahrerin zu reifen. “Das Team glaubt, dass ich das in mir drin habe”, sagt Lippert. Diese Saison sei der Plan gewesen, erste Schritte in diese Richtung auszuprobieren. Das steht nun aber erst einmal hinten an. “Langfristig kann ich mir das schon vorstellen, sofern ich nicht meinen Punch verliere – das ist mir wichtig. Ich will noch einen Ardennen-Klassiker gewinnen.”

So sehr die Zwangspause Lippert nun zurückgeworfen hat, zwei positive Dinge lassen sich dennoch ableiten. Zum einen hat sie in der Auszeit an ihrer Sitzposition gearbeitet, ist nach eigener Aussage nun effektiver auf dem Rad und sensibler für jede Veränderung. Zum anderen kommen die Ardennen dieses Jahr noch einmal wieder: Bei der Tour de France steht nach Start in den Niederlanden auf der 3. Etappe beispielsweise eine Ankunft in Lüttich an. “Das ist für mich optimal”, sagt Lippert. Und auch für Olympia macht sie sich auf dem Klassiker-Kurs einige Hoffnungen. Ihre Saison kann also noch eine positive Wende nehmen.

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