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Scholl-Latour: "Gaddafi ist gewieft, nicht irre"

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Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour © dpa

München - Ist Muammar al-Gaddafi wirklich irre? Die tz sprach mit Peter Scholl-Latour, der den Diktator schon in den Siebzigern kennengelernt hat. Der Nahost-Experte und Bestsellerautor analysiert den Libyen-Krieg.

Ist Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi wirklich irre – oder zieht er nur eine Show ab?

Peter Scholl-Latour, Nahost-Experte und Bestsellerautor: Ich habe Gaddafi schon in den 70er-Jahren in Tripolis kennengelernt. Damals wirkte er durchaus klug und nicht unsympathisch. Sein psychischer und physischer Niedergang hat erst später eingesetzt. Aber man würde ihn unterschätzen, wenn man ihn einfach zum „Irren“ abstempelt: Er leidet zwar wie die meisten Diktatoren unter Verfolgungswahn, aber er geht durchaus rational und gewieft vor, wenn er etwa einen Waffenstillstand vorschlägt, den er nicht einhält. Seine Taktik wäre ja beinahe geglückt: Schließlich stand er kurz davor, Bengasi zu erobern. Damit wäre dann der Aufstand gegen ihn zusammengebrochen.

Für wie ernst halten Sie Drohungen, er könnte Passagierflugzeuge über dem Mittelmeer abschießen lassen?

Scholl-Latour: Das ist orientalisches Geschwätz. Mit seiner maroden Luftwaffe wird er niemanden abschießen.

Und könnte er wieder Terroristen losschicken, wie er es 1986 beim Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin getan hat?

Scholl-Latour: Eine Bombe können Sie immer hinten ins Flugzeug reinschieben…

Wer steckt hinter den Aufständischen in Bengasi?

Scholl-Latour: Das ist eine ganz zersplitterte Koalition. Da ist die religiöse Bruderschaft der Senussi, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts recht erfolgreich gegen die Italiener gekämpft haben. Ansonsten sind es verschiedene Stämme. Ein Anführer ist da nicht zu erkennen.

Gibt es Stämme, die noch zu Gaddafi stehen?

Scholl-Latour: Natürlich Gaddafis eigener, aber der ist relativ klein. Aber man kann Stämme auch kaufen. So hat er die kriegerischen Tuareg auf seine Seite gezogen. Die Aufständischen wären jedenfalls mit Gaddafi nicht fertig geworden!

Blutige Proteste in Libyen

Heißt das, dass der Westen doch noch Bodentruppen zur Unterstützung schicken muss?

Scholl-Latour: Ich bin überzeugt davon, dass die längst da sind! Briten, Franzosen und Amerikaner haben sicher kleine Einheiten ins Land geschickt, die Ziele für die Lenkwaffen und Luftangriffe markieren. Das erlaubt das UN-Mandat auch. Nur Besatzungstruppen sind ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Ausweitung des UN-Mandats an diesem Punkt wird am Veto Chinas und Russlands scheitern.

Warum wollen die Franzosen den Krieg so unbedingt?

Scholl-Latour: Die Franzosen sind eine Mittelmeermacht. Die Deutschen meinen immer, unser Schicksal entscheidet sich am Hindukusch. Für uns ist aber auch viel wichtiger, was im nahe gelegenen Mittelmeerraum vor sich geht!

Wird Gaddafi diesen Krieg überstehen?

Scholl-Latour: Das liegt am Westen. Wenn Gaddafi diesen Krieg übersteht, wäre es eine Katastrophe. Dann würden alle die, die in Tunesien, Ägypten usw. unter dem Druck der Bevölkerung einen Reformkurs eingeschlagen haben, das Rad wieder zurückdrehen.

Gibt es unter seinen verbliebenen fünf Söhnen einen, der beim Volk so beliebt ist, dass er die Nachfolge Gaddafis übernehmen könnte?

Scholl-Latour: Saif al-Islam ist der klügste und energischste der Söhne. Er würde die Diktatur mit etwas mehr Klugheit fortführen.

Wäre es richtig, Gaddafi gezielt zu töten?

Scholl-Latour: Ich hätte nichts dagegen.

Interview: Klaus Rimpel

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