Untersuchung von Roggenmehlen im Jahr 2009 auf den Gehalt an Mutterkornalkaloide

Sylvia Neef, Caren Kühn, Susanne Maier, Renate Schnaufer

 

Zusammenfassung

Im Jahr 2009 wurden 45 Roggenvollkornmehle auf ihren Gehalt an Mutterkornalkaloiden untersucht. In 5 Proben (entspr. 11%) war der Richtwert von 1000 µg/kg überschritten. Bei diesen Mehlen ist offensichtlich eine entsprechende mühlentechnische Reinigung unterblieben.
Wenngleich lediglich 6 der untersuchten Proben aus ökologischem Anbau stammten, so fällt doch die deutlich geringere mittlere Belastung im Vergleich zu den Proben aus konventionellem Anbau auf.
Da die Rückstandssituation insgesamt noch unbefriedigend ist werden die Untersuchungen im nächsten Jahr fortgeführt.

 

Foto: Ähren mit Mutterkornbesatz.

 

Einführung

Bei Mutterkorn handelt es sich um die Sklerotien (Überdauerungsform) eines parasitären Pilzes, der hauptsächlich Roggen, aber auch andere Getreidesorten und Gräser befällt. Mutterkörner enthalten als wichtigste Inhaltsstoffe die sog. Mutterkornalkaloide (Ergotalkaloide), von denen heute über 30 bekannt sind. Es handelt sich hierbei um Derivate der Lysergsäure (Amid- und Peptidtyp; z.B. Ergometrin, Ergotamin) oder der Clavine (z.B. Agroclavin).

Die Strukturformeln einiger Lysergsäurederivate sind nachfolgend aufgeführt:

 

Grafik: chemische Formeln von Mutterkornalkaloiden.

 

Aufgrund der Lysergsäure/Iso-Lysergsäure-Isomerie, die reversibel ist, treten bei den Lysergsäureabkömmlingen (die Namen enden auf -in) die isomeren Formen auf (die Namen enden auf -inin), die allerdings keine oder nur eine geringe pharmakologische Wirkung aufweisen.

 

Den Menschen im Mittelalter war die schädliche Wirkung des Mutterkorns, das damals in Roggen bis zu 30% auftrat, nicht bekannt. So kam es, dass gerade in Notzeiten die Alkaloid-Vergiftung seuchenartig grassierte.

Man nannte sie Antoniusfeuer, Heiliges Feuer oder Branntseuche. Die erkrankten Menschen wurden „toll“, d.h. vor brennendem Schmerz und Krämpfen irrsinnig. Es kam zum blutlosen Verlust der Extremitäten, was schon Pieter Bruegel auf seinem Gemälde „die Bettler“ eindrucksvoll dokumentierte, und häufig zu Fehlgeburten bei Mensch und Tier.

 

Heute weiß man, dass die im Mittelalter für eine Gottesstrafe gehaltenen Symptome auf die gefäßverengende Wirkung der im Mutterkorn enthaltenen Alkaloide zurückzuführen ist. Diese Inhaltsstoffe wirken ebenfalls auf die glatte Muskulatur und können daher Gebärmutterkontraktionen auslösen.

In der Literatur (s. Literaturverzeichnis) werden Getreideprodukte die mit 1% Mutterkorn kontaminiert sind als toxisch, und ab 7% als lebensgefährlich.

Bei einer akuten Vergiftung werden Symptome wie Durstgefühl, Leibschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Kopfschmerzen, Parästhesien(anomale Körperempfindung, z.B. Kribbeln, Taub- oder Pelzigsein der Haut), Krämpfe und Tod durch zentrale Atemlähmung oder Kreislaufversagen aufgeführt.

 

Die chronische Toxizität äußert sich durch die bereits beschriebenen brennenden Schmerzen, Gefäßspasmen (Durchblutungsstörungen, die zum Absterben von Zellen führen können), Nekrosen (Absterben von Zellen am lebenden Organismus), und Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, sowie schmerzhafte Muskelkontraktionen und Psychosen. Aufgrund ihrer wehenauslösenden Wirkung und da sie auch in die Muttermilch übergehen, bergen hohe Mutterkorngehalte in Nahrungsmitteln ein besonderes Risiko für Schwangere, ungeborene Kinder und Säuglinge.

 

In feuchten Jahren kommt es verstärkt zum Befall von Getreide mit Mutterkorn.

Sklerotien, die im Laufe des Sommers auf die Erde gefallen sind, überdauern den Winter und können im Frühjahr sogar aus verschimmelten und zerbrochenen Teilen Fruchtkörper bilden. Die von ihnen ausgestoßenen Sporen, werden vom Wind mitgetragen und infizieren so benachbarte Getreidefelder und Wiesen. Der Pilz überwuchert den Fruchtknoten des Getreides und zehrt ihn schließlich auf. Anstatt eines gesunden Korns bilden sich dann die länglichen, dunkelvioletten bis schwarzen Sklerotien.

Dank der modernen industriellen Mühlentechnik ist es heute möglich, das Getreide weitestgehend von Mutterkorn zu reinigen. Hier kommen z.B. Siebe oder Farbscanner zum Einsatz, die die Sklerotien aufgrund ihrer Größe abtrennen oder dunkle Körner aussortieren. Auch eine Trennung über die Dichte ist möglich (Windsichtung).

Bei Mehlen, die mit zu hohen Mutterkorn-Gehalten im Handel auftauchen, ist eine solche Reinigung offensichtlich unterblieben. Eine Reihe von landwirtschaftlichen Maßnahmen wie z.B. Beimischung von Populationsroggen zu Hybrid-Roggen (5 bis 10 %), Anbau von Sorten mit einer besonders hohen Pollenausschüttung, Mähen der Feldränder vor der Gräserblüte können die Entstehung und Verbreitung von Mutterkorn verringern.

 

Infokasten

Zur Entstehung des Namens Mutterkorn, gibt es verschiedene Theorien.

Zum einen die des mythologischen Ursprungs: Man sagte sich, wenn der Wind übers Land streicht und die Ähren sich wiegen, fahre die Kornmutter übers Feld. Ihr seien die schwarzen Körner heilig und so wurden die Körner Kornmutterkorn genannt, was sich zu Mutterkorn verkürzte (je nach Landstrich auch Kornmume, Mehlmutter oder Stiefmutterkorn).

Aufgrund seiner Wirkung auf den Uterus wurde es jedoch auch in der Frauenheilkunde als Abtreibungs- und Wehenmittel oder zur Blutungsstillung nach der Geburt eingesetzt, was ebenfalls den Namen geprägt haben könnte.

 

Höchstmengen für den Gesamtmutterkornalkaloidgehalt existieren bislang nicht, entsprechende EU-weite Regelungen sind jedoch vorgesehen. Allerdings wird im Rahmen der „Guten landwirtschaftlichen Praxis“ weiterhin ein Gehalt an Mutterkorn von maximal 0,05 % gefordert. (basierend auf der Verordnung (EG) Nr. 824/2000 für Interventionsgetreide). Der Gesamtalkaloidgehalt im Mutterkorn variiert abhängig von der Herkunft zwischen 0,01 und 0,5 %. Für zentraleuropäisches Mutterkorn wird der mittlere Gesamtalkaloidgehalt mit 0,2 % angesetzt. Somit ergibt sich bei einem Besatz mit 0,05 % Mutterkornsklerotien ein tolerierbarer Gesamtalkaloidgehalt von 1000 µg/kg.
In seiner Stellungnahme vom 22.01.2004 („Mutterkornalkaloide in Roggenmehl“) geht des Bundesinstitut für Risikobewertung BfR davon aus, dass der Verzehr von Mehlen mit einem Mutterkornalkaloidgehalt ab 2300 µg/kg unerwünschte Wirkungen haben kann und rät daher aus Vorsorgegründen dringend von dem Verzehr dieser Mehle ab. Dies gilt insbesondere für Schwangere bzw. ungeborene Kinder und gestillte Säuglinge.

 

Ergebnisse

In 2009 wurden 45 Proben Roggenvollkornmehl, -schrot bzw. Mehle hoher Typenzahl auf die Summe der Mutterkornalkaloide Ergometrin, Ergotamin, Ergosin, Ergokryptin, Ergocristin, Ergocornin und ihrer isomeren Inin-Formen untersucht.

 

Die Ergebnisse der Untersuchung sind in der folgenden Tabelle dargestellt:

 Anzahl Anzahl Proben < Nachweisgrenze
(entspr. 15 µg/kg)
Mittelwert aus Proben > Nachweisgrenze [µg/kg]Höchster ermittelter Gehalt [µg/kg]Anzahl Proben
> 1000 µg/kg
Alle Roggenproben45242224115
Proben aus
konventionellem Anbau
39248024115
Proben aus
Öko-Anbau
6063160-

 

Von den 45 untersuchten Roggenproben stammten 39 aus konventionellem Anbau.
Hier überschritten 5 Proben den Wert von 1000 µg/kg für gute landwirtschaftliche Praxis; eine dieser Proben wurde aufgrund der toxikologischen Einordnung und Bewertung des BfR (s.o.) beanstandet, bei den anderen 4 Proben wurden die Hersteller auf ihre Sorgfaltspflicht hingewiesen.

 

Wenngleich die 6 untersuchten Proben aus ökologischem Anbau aufgrund der geringen Probenzahl hinsichtlich Repräsentativität nicht mit den Daten aus konventionellem Anbau verglichen werden können, so fällt doch der geringe Mittelwert und Maximalwert bei dieser Anbaumethode ins Auge.

 

 

Literatur

Wolff, J.; Ocker, H.-D.; Zwingelberg, H. (1983) Bestimmung von Mutterkornalkaloiden in Getreide und Mahlprodukten durch HPLC

 

Wolff, J.; Neudecker, C.; Klug, C.; Weber, R. (1988) Chemische und toxikologische Untersuchungen über Mutterkorn in Mehl und Brot. Ernährungswissensch. 27, 1-22

 

Baumann, U.; Hunziker, H.; Zimmerli, B. (1985) Mutterkornalkaloide in schweizerischen Getreideprodukten. Mitt. Gebiete Lebensm. Hyg. 76, 609-630

 

Schoch, U.; Schlatter, Ch. (1985) Gesundheitsrisiken durch Mutterkorn in Getreide. Mitt. Gebiete Lebensm. Hyg. 76, 631-644

 

Usleber, E. (2001) Forschungsvorhaben „Belastung des Verbrauchers und der Lebensmittel mit Mutterkornalkaloiden“. Bericht FB 2-1048-149507 an das BMVEL vom 24.08.2001

 

Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Stellungnahme vom 22. Januar 2004 „Mutterkornalkaloide in Roggenmehl“ (http://www.bfr.bund.de/cm/208/mutterkornalkaloide_in_roggenmehl.pdf)

 

Müller, C. et al: A basic toll for risk assessment: A new method for the analysis of ergot alkaloids in rye and selected rye products. Mol. Nutr. Food Res. 2009, 53, 500 - 507.

 

 

Artikel erstmals erschienen am 10.12.2009