Wie Stimme entsteht

© Dirk Deuters
Ambulanz für Musiker und Schauspieler in der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie


Paul Watzlawick beschrieb in seinem vierten Axiom der menschlichen Kommunikation, dass Kommunikation sich analoger und digitaler Modalitäten bediene. Damit meinte er Ende der 1960er Jahre naturgemäß nicht den Unterschied zwischen analogen und digitalen Medien, sondern Unterschiede in der Form der Informationsvermittlung: die (digitale) Vermittlung symbolischer Bedeutung durch das gesprochene Wort unter Verwendung von Symbolen wie Sprachen, Zeichen und Zahlen gegenüber der (analogen) stufenlosen Informationsvermittlung durch beispielsweise spontanen vokalen Ausdruck oder nonverbale Formen der Informationsvermittlung. Für beide Kommunikationsmodalitäten nutzt der lautsprachlich kommunizierende Mensch seine Stimme, weswegen ihrer eher simplen physikalischen Beschreibung als Klang und/oder Geräusch eine herausragende Bedeutung in der interpersonellen Interaktion gegenübersteht.


Zum Verständnis der Stimmbildung allerdings muss doch mit den physikalischen Grundlagen begonnen werden: Zur Erzeugung hörbaren Schalls müssen zwangsläufig Luftdruckschwankungen im hörbaren Frequenzbereich produziert werden. Letzterer liegt für den Menschen im Frequenzbereich von etwa 20 bis 20.000 Hertz. Im am besten wahrnehmbaren Frequenzbereich um 3500 Hertz können Luftdruckschwankungen zwischen 10-4 und 103 Mikrobar ­— hier wird bereits die Schmerzschwelle erreicht – wahrgenommen werden. Diese Luftdruckschwankungen erzeugen die Stimmlippen, die durch den Luftstrom der Ausatmung in Schwingung versetzt werden. Der so erzeugte Rohschall, der für eine digitale Kommunikation noch gänzlich ungeeignet wäre, wird in den Hohlräumen oberhalb der Stimmlippen, dem Vokaltrakt oder Ansatzrohr, durch Filterprozesse akustisch modifiziert, was — einfacher gesagt — dem Vorgang der Artikulation entspricht. Durch diese Modifikation des Rohschalls entstehen unterschiedliche Klänge, die als unterschiedliche Laute wahrgenommen werden und letztendlich als Sprache dienen, aber auch für die individuelle Charakteristik einer Stimme mitverantwortlich sind.

Kehlkopf dient vor allem dem Schutz vor Nahrung in der Luftröhre

Aber zurück zum Generator, dem Kehlkopf: Die phylogenetisch älteste Funktion des Kehlkopfes ist die der Trennung von Speise- und Luftweg und damit das lebenswichtige Verhindern eines Eindringens von Nahrung in die Luftwege. Die Wichtigkeit dieser schützenden Funktion spiegelt sich dann auch im Aufbau des Kehlkopfes wider. Es überwiegen Muskeln, die ihn verschließen und die Stimmlippen und die Taschenfalten bilden ein doppeltes Verschlussventil.
Im Unterschied zu anderen gelenkigen Strukturen besteht der Kehlkopf nicht aus verbundenen Knochen-, sondern aus Knorpelelementen: dem Schildknorpel, dem darunterliegenden Ringknorpel und den darauf positionierten beiden Stellknorpeln. Der Schildknorpel bildet den Adamsapfel und ist insbesondere bei Männern gut sichtbar. Zwischen Stell- und Schildknorpel spannen sich die Stimmlippen auf und können durch Muskeln bewegt werden.


So weit, so einfach. Ein Ton oder besser Klang entsteht dadurch noch nicht, denn dafür ist es notwendig, die Stimmlippen in Schwingung zu versetzen und damit durch das periodische Öffnen und Schließen des Luftweges die eingangs erwähnten Luftdruckschwankungen zu erzeugen. Nach dem Schließen der Stimmlippen muss der Luftstrom aus der Lunge einen etwas höheren Druck haben als derjenige, der die Stimmlippen gegeneinander drückt, damit sich die Stimmlippen öffnen. Durch die Öffnung der Stimmlippen entweicht Luft, der Luftdruck unterhalb der Stimmlippen nimmt wieder ab und die Stimmlippen verschließen sich wieder.

Je mehr Schwingungen pro Sekunde, desto höher der Ton

Genauer gesagt werden die Stimmlippen nicht im Ganzen geöffnet, sondern nur ein oberflächlicher Anteil aus Schleimhaut und Bindegewebe, Cover genannt, der sich gegenüber den tieferen Anteilen aus dem Stimmband und dem Stimmmuskel, Body genannt, verschieben kann. Dieses Öffnen und Schließen geschieht bei Männern beim Sprechen um die 110, bei Frauen um die 200 Mal pro Sekunde, was der mittleren Sprechstimmlage entspricht.


Beim Singen wiederum kann durch Anspannung und Entspannung verschiedener Muskeln, unter anderen des bekanntesten Muskels, des Musculus vocalis, die Spannung der Stimmlippen verändert und die Frequenz deutlich variiert werden. So lässt Mozart Osmins Stimmlippen beim großen D mit einer Frequenz von 70 Hertz und die der Königin der Nacht beim dreigestrichenen f zwanzigfach schneller mit 1400 Hertz schwingen.


Die Stimmgebung gehört zu den körperlichen Funktionen, über die man sich keine Gedanken macht, solange sie funktioniert. Umso mehr wird man im Falle einer gestörten Stimmbildung feststellen, wie oft man auf eine funktionierende Stimme angewiesen ist und wie schwierig die Einflussnahme auf sie sein kann. Wie auch bei anderen komplexen motorischen Bewegungen überlässt unser Gehirn es nicht allein unserer Willkür, das Zusammenspiel der einzelnen Muskeln zu koordinieren. Stimmstörungen (Dysphonien) können mit oder ohne sichtbare Veränderung an den an der Stimmbildung beteiligten Organen auftreten. Durch das fein aufeinander eingespielte Miteinander von Lunge und Atemwegen, Stimmlippen und Resonanzraum, peripherem und zentralen Nervensystem, Kehlkopf- und Gesamtmuskelspannung sowie akustischer und sensibler Wahrnehmung bei der Stimmgebung ist die Zahl der Faktoren, die dieses Gleichgewicht durcheinanderbringen können, groß.


So kann beispielsweise eine dauerhafte Fehlbelastung der Kehlkopfmuskulatur bei prädisponierenden anatomischen Voraussetzungen durchaus zu morphologischen Veränderungen wie Phonationsverdickungen (Stimmlippenknötchen) führen. Nicht vergessen werden dürfen auch psychische Einflüsse auf die Stimme, die die meisten zumindest in nicht-krankhafter Form schon einmal erlebt haben dürften, beispielsweise als leichte Stimmerhöhung und Lautstärkereduktion in Prüfungssituationen oder Lautstärkeerhöhung bei erregten Diskussionen.

Wie bleibt die Stimme gesund?

Aber auch Erkrankungen, die sich vermeintlich fernab von den stimmbildenden Organen abspielen, können Einfluss auf die Stimme haben. Genannt seien hier nur chronische Infekte der Nasennebenhöhlen, ein Magensäurerückfluss („Sodbrennen“), der die Rachen- und Kehlkopfschleimhäute schädigt, oder ein Schnarchen, das durch die unphysiologische Mundatmung zur Austrocknung der Stimmlippenschleimhaut führen kann. Die letzten beiden Punkte sind übrigens mit verantwortlich für die bekannten morgendlichen Stimmveränderungen nach feucht-fröhlichen Abenden.


Aber wie bleibt die Stimme gesund? Grundsätzlich sollte eine gesunde Stimme den normalen Alltag bewältigen können. Da jedoch die stimmlichen Anforderungen in einer redenden Dienstleistungsgesellschaft und damit die Bedeutung einer gesunden, belastbaren Stimme stetig ansteigen, tritt immer häufiger ein Missverhältnis zwischen stimmlicher Anforderung, „Material“ und Stimmtechnik auf. Daher gilt: treten unter Sprechbelastung Stimmklangveränderungen oder Missempfindungen auf, fragen Sie frühzeitig einen Phoniater Ihres Vertrauens. Und wenn Sie einen Stimmberuf ergreifen möchten oder ein Hobby betreiben, bei dem Sie häufig Ihre Stimme benutzen, gönnen Sie sich ein professionelles Stimmtraining – Ihre Stimme wird es Ihnen danken.

| Dirk Deuster

Dr. Dirk Deuster leitet die Musikerambulanz der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, die eine Diagnostik rund um die Themen Stimmfunktionsstörungen, Gehörschutz und Auftrittsangst für Berufs- und Hobbymusiker anbietet. Innerhalb des medizinischen Teams arbeiten Ärzte, Logopäden, Psychotherapeuten und Audiologen, die selbst eine professionelle Gesangsausbildung absolviert haben und aktiv musizieren. Dabei schaut das Team gern über den Tellerrand der eigenen Fachdisziplin hinaus. Die enge Zusammenarbeit mit Logopäden, Akustikern und der Austausch mit Stimmpädagogen, Bewegungstherapeuten und Psychotherapeuten stellen deshalb einen wesentlichen Teil des Behandlungsansatzes dar.

Die Musikerambulanz des UKM im Internet: go.wwu.de/pi7wy