Charakteristik der Karte als diskontinuierlicher Text

Schüler während der Arbeit mit der Legende
© Sebastian Krüger

Aufgrund ihres diskontinuierlichen Charakters setzen das Lesen und Verstehen von Karten einen spezifischen Zugang voraus, der sich vom Verstehensprozess kontinuierlicher Texte, aber auch von demjenigen anderer diskontinuierlicher Texte wie z. B. Diagrammen, Tabellen etc. unterscheidet. Dies ist deshalb der Fall, weil in der Kartenauswertung in reduzierterem Maße auf Wege der alltäglichen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung zurückgegriffen werden kann, da die Bedeutungskonstruktion bei Karten nicht allein über ein Ähnlichkeitsprinzip, sondern auch durch die zusätzliche Berücksichtigung abstrakterer Symbole und Analogiebeziehungen erfolgt (vgl. Schnotz & Dutke 2004).

Um auf Basis einer kartenbezogenen Aufgabenstellung einen zielführenden Ablauf der Auswertung festzulegen, eine begründete Auswahl und Eingrenzung der in der Karte dargestellten Informationen zu treffen und diese bedeutungsgenierend zu verknüpfen sowie unter Hinzuziehung kartenexterner Informationen zu korrekten, interpretierenden Aussagen und Bewertungen zu gelangen, ist für Schülerinnen und Schüler eine konzeptgeleitete, strategiebasierte Analyse unerlässlich.

Als metakognitive Wissensbasis für Strategien des Planens, Überwachens und Regulierens des Auswertungsprozesses dient im Fachprojekt das Ludwigsburger Modell der Kartenauswertungskompetenz. Seiner Natur nach ein Kompetenzstrukturmodell, weist es gleichwohl eine Prozessstruktur aus vier aufeinander aufbauenden Schritten aus, welche als Fundament metakognitiver Strategien im Auswertungsprozess dient. Die Grundlagen des kartenbezogenen Textverstehens werden zunächst dem Modell folgend anhand der vier Einzelschritten (welche sich nochmals in eine Sub-Schrittigkeit unterteilen lassen) vorgestellt und erläutert.

Im Anschluss daran werden, ebenfalls entlang dieser Schrittigkeit, die Lernvoraussetzungen und Herausforderungen der Schülerinnen und Schüler im Auswertungsprozess konkretisiert. Ein exemplarischer Fokus wird dabei auf die Darstellung kognitiver strategischer Zugriffsweisen im Teilschritt des Dekodierens gelegt. Diese dienen im Rahmen der Kartenauswertung vor allem der Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen, der Reorganisation/Reduktion von Karteninhalten und dem nachhaltigen Memorieren bzw. der Integration neuer Informationen in Vorwissensinhalte.

Das Ludwigsburger Modell

Struktur der Kartenauswertungskompetenz (Ludwigsburger Modell)
Ludwigsburger Modell der Kartenauswertungskompetenz. Hemmer et al. 2012.
© Sebastian Krüger, verändert nach Hemmer et al. 2012

Der Vierschritt des Ludwigsburger Modells aus Dekodieren, Beschreiben, Erklären und Beurteilen (vgl. blaue Markierung) mitsamt dessen kleineren Teilschritten (vgl. grüne Markierung) ist derart zu verstehen, dass die einzelnen Schritte die jeweils vorgelagerten implizieren und rekursiv mit einbeziehen. So sind beispielsweise in den Operationen des Erklärens und Beurteilens auch immer wieder Schritte des Dekodierens und Beschreibens vonnöten.

  • Schritt 1a | Dekodieren der Symbole

    Das symbolische Dekodieren meint, in Abhängigkeit zur leitenden Fragestellung/Aufgabe, die Bedeutung ausgewählter Symbole und Kartenzeichen mit Hilfe der Legende zu dekodieren, d. h. mit Bedeutung zu füllen. Dazu muss von den Lernenden zunächst die Aufgabenstellung verstanden und auf die Karte bezogen werden. Dem sich anschließenden Such-, Orientierungs-, Lokalisierungs- und Eingrenzungsprozess bezüglich der betreffenden Zeichen/Signaturen in der Karte folgt die Nutzung der Legende zu ihrer Identifikation.

    Das symbolische Dekodieren umfasst also die Zuordnung einer begriffssprachlichen Bedeutung zu den einzelnen Kartenzeichen wie Punkten, Linien und Flächen anhand ihrer visuellen Eigenschaften (vgl. Winn 1994; Keates 1996). Diese Zeichen können in der Karte je nach Aussageabsicht kombiniert und sinnvoll variiert sein, um Aussagen über Ordnungen, Kategorien und/oder Differenzen treffen zu können (vgl. Freitag 1971).
    Das symbolische Dekodieren ist somit Ausgangspunkt jeder kartenbezogenen Deutung.
    Da die Kartenzeichen einerseits das breite Spektrum zwischen hoher Bildhaftigkeit (vgl. Koch 1998) und starker Abstraktion abdecken und andererseits in ihren quantitativen und qualitativen Merkmalen mangels einheitlicher Übereinkünfte in der Kartengestaltung oft willkürlichen Charakter aufweisen, kann ein kartenübergreifend gültiges Bedeutungs(vor)wissen über Kartenzeichen nur eingeschränkt aufgebaut werden. So kann das gleiche Kartenzeichen, die gleiche Farbe oder das gleiche Muster in unterschiedlichen Karten u. U. jeweils andere Bedeutungen aufweisen.

  • Schritt 1b | Dekodieren der Kartengeometrie

    Das geometrische Dekodieren umfasst die Auswertung derjenigen Informationen und Kartenzeichen, aus denen sich Informationen zum Verkleinerungsverhältnis der Karte gegenüber der Realität (Maßstab in Gestalt einer Leiste oder einer Verhältniszahl) und zur Gestalt von hohen und tiefen Geländeformen (Reliefverebnung durch z. B. Höhenlinien) ableiten lassen.

  • Schritt 1c | Dekodieren der Generalisierung

    Generalisierung beschreibt die Verfahren zur Reduzierung und Verallgemeinerung von kartographischen Informationen bzw. Kartenzeichen, oftmals in Abhängigkeit zum gewählten Maßstab der Karte (vgl. Bollmann 2002).
    Beispielsweise ist es bei kleinmaßstäblichen Karten wie etwa einem touristischen Stadtplan möglich, einzelne Gebäude in ihrem Grundriss darzustellen, während man mit wachsendem Maßstab diese Grundrisse zu größeren Flächenzeichen zusammenfasst oder, bei weiter wachsendem Maßstab, ganzen Städten nur noch Punktsignaturen zuweist. Die Generalisierung dient damit der Darstellbarkeit großer Informationsfülle auf Kosten der Kartendetails.

  • Schritt 2 | Beschreiben von Einzelphänomenen und Raumstrukturen

    Die zusammenhängende, geordnete und fachsprachliche Beschreibung von kartographischen Einzelelementen und Raumstrukturen bildet den zweiten Teilschritt. Hier sollen die aus dem Dekodierprozess gewonnenen Informationen mit Blick auf den zu beschreibenden Kartenteil zu eigenen kartenimmanenten, deskriptiven Aussagen im Sinne von Bedeutungen und Kenntnissen unter einem vorgegebenen Aspekt verknüpft werden. Dabei kommt dem Beschreibungsprozess in der Kartenauswertung ein eigener epistemischer Status zu, indem er die Wahrnehmung semantisch strukturiert (vgl. Janle 2009). Daher ist die fachsprachlich korrekte und kohärente Beschreibung ein anspruchsvoller und unverzichtbarer Zwischenschritt auf dem Weg zu übergeordneten Makrosprachhandlungen, die aus der Kartenwahrnehmung der Lernenden einen handhabbaren Karteninhalt machen.

  • Schritt 3 | Erklären mit kartenimmanenten und kartenexternen Informationen

    Das Erklären von einfachen oder multikausalen Zusammenhängen wird, übertragen auf die fachspezifische Kartenauswertung, in der Fachliteratur nicht wie das Dekodieren und Beschreiben dem Kartenlesen, sondern der Karteninterpretation zugeordnet und meint die Verknüpfung der zuvor kartenimmanent beschriebenen Kartenelemente und -strukturen mit spezifischen Vorwissensinhalten oder kartenexternen Informationen (z. B. der Karte zugeordnete, kontinuierliche Fachtexte), um das Dargestellte in Hinblick auf seine strukturelle, prozessuale oder funktionale Bedingtheit zu verstehen.
    Die vorangegangenen Schritte des Dekodierens und Beschreibens bilden die Basis für die Herleitung dieser logischen Verknüpfungen und Aussagen, die Zusammenhänge von in der Karte dargestellten Systemkomponenten und deren Genese sowie Auswirkungen im abgebildeten Raumgefüge bzw. Mensch-Umwelt-System zum Gegenstand haben.

  • Schritt 4 | Kartenimmanentes Beurteilen von Kartengraphik und Karteninhalt

    Als letzter Schritt findet eine sachimmanente Beurteilung der Karte statt, die zum einen die Karte in der Gesamtheit ihrer intendierten Aussage (Inhaltsebene) betreffen kann.
    Die Beurteilung, die unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven der Akteure und Kartennutzerinnen und Kartennutzer und oft unter Hinzuziehung externer Informationen geschieht, zielt zum einen auf die Auswirkungen der dargestellten Prozesse auf Mensch und Natur bzw. auf die Formulierung begründeter Prognosen für den dargestellten Teilraum.
    Zum anderen kann die Beurteilung ausgewählte grafische Aspekte betreffen, die in Hinblick auf ihre Korrektheit sowie die Eignung der gewählten Darstellungsmittel in Bezug auf das Darzustellende bzw. das ggf. vorhandene manipulatorische Potential der Karte beurteilt werden.
    Ziel ist damit der Nachvollzug der Perspektive der Kartenautorin bzw. des Kartenautors und der Angemessenheit der gewählten Darstellungsmittel.

Strategiebasierte Kartenauswertung in heterogenen Lerngruppen

Der strategische Zugriff auf Karten muss den Lernvoraussetzungen und Herausforderungen der Schülerinnen und Schüler im Auswertungsprozess Rechnung tragen. Die Identifikation dieser Voraussetzungen und Herausforderungen bildet die Basis der Ausschärfung von gezielten Unterstützungen und adaptiven Hilfen in der Unterrichtssequenz und wird im Folgenden entlang des Vierschritts aufgezeigt.

Beispielhaft werden hierbei im Teilschritt des symbolischen und geometrischen Dekdodierens kognitive strategische Zugriffsweisen auf Karten und dbzgl. Aufgabenstellungen skizziert. Da zum Kartenlesen im engeren Sinne nur die beiden ersten Auswertungsschritte Dekodieren und Beschreiben gezählt werden (vgl. Grafik des Ludwigsburger Modell, untere linke Klammer), wird ein exemplarischer Fokus gerade auf diese Strategien gelegt.

Lernvoraussetzungen und Herausforderungen im Auswertungsschritt des ...

  • ... symbolischen Dekodierens

    Bei inkorrekter symbolischer Dekodierung bzw. fehlerhafter Nutzung der Legende können unzulässige Übertragungen, Assoziationen und Analogiebildungen zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung wirksam werden, die den Prozess der Bedeutungskonstruktion von Grund auf verfälschen. Insgesamt weist die Empirie innerhalb dieses Teilschritts auf relativ wenige Schwierigkeiten der Lernenden hin. Treten sie dennoch auf, sind sie zum einen im Bereich der gezielten Eingrenzung und Auswahl von Kartenzeichen nach Auswertungszweck/Aufgabenstellung auf der Ebene von Kartenfeld und Kartenschicht verortet (vgl. Hüttermann 2001). Zum anderen liegen Schwierigkeiten in der Attribuierung bestimmter Kartenzeichen. So fällt die Entnahme semantischer und ortsbezogener Informationen (also das Treffen von Aussagen darüber, was und wo etwas in der Karte ist) generell leichter, als die Informationsentnahme aus Kartenzeichen, die prozessualen oder temporalen Gehalt aufweisen, also raum-zeitliche Prozesse oder Bewegungen im Raum repräsentieren (z. B. durch Pfeile dargestellte Migrationsbewegungen oder die sich überlagernde Darstellung verschiedener Zustände zu verschiedenen Zeitpunkten in einer Karte). Zudem können bei sprachlichen Kartenelementen (Ortsbezeichnungen, Abkürzungen etc.) fremdsprachliche oder nicht bekannte Wörter und Namen zu Verständnisproblemen führen (vgl. Sanford 1980; Diekmann-Boubaker 2010; Plepis 2013).

    Die symbolische Dekodierung bildet so die Basis jeder Kartenauswertung. Da Karten eine Fülle von Informationen offerieren, die in ihrer Dichte die Informationsfülle eines kontinuierlichen Textes gleicher Fläche weit übersteigen, muss die Auswertung einer Karte zielgerichtet bzw. aufgabengesteuert erfolgen, so dass in Bezug auf die Aufgabe wichtige von unwichtigen Informationen unterschieden werden können und  der Auswertungsprozess so geplant und gelenkt werden kann. Das Inbezugsetzen von konkreter Aufgabe (d. h. wie, warum, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel die Karte gelesen werden soll) und der Karte selbst stellt eine erste potentielle Hürde dar und kann, wie im Folgenden skizziert, strategisch unterstützt werden.

    Das genaue Lesen der Aufgabenstellung und die damit verbundene Identifikation relevanter Verweise (1) auf (einen) bestimmte(n) Bereich(e) bzw. Ausschnitt(e) der Karte und (2) auf bestimmte Signaturen und Kartenzeichen sind die Basis jeden Auswertungsprozesses.
    Die Lernenden müssen dabei u. a. ein genaues Augenmerk auf ...

    • die konkrete Fragestellung und den gewählten Operator,
    • begriffliche Entsprechungen zwischen dem Aufgabentext und bestimmten Kartenelementen (Begriffe aus Karte und Legende),
    • Signalwörter und -phrasen, die direkt auf ein kartographisches Element verweisen (z. B. "Bestimme die Entfernung..." - Verweis auf Maßstabsangaben, "Bestimme die Höhe..." - Verweis auf Angaben zu Höhe und Relief, wie z. B. Isohypsen),
    • Signalwörter und -phrasen, die auf einen bestimmten Kartenbereich oder auffällige Raumstrukturen verweisen (z. B. "...nördlich von...", "...südwestlich des Kilimandscharo...", "...am Rande der Siedlungsgebiete...")

    legen.
    Markierungen im Aufgabentext können dabei helfen, hier den Überblick zu bewahren.

    Ist der ausschlaggebende Kartenbereich identifiziert, kann es helfen, die grafisch-inhaltliche Komplexität der Karte zu reduzieren. Dazu kann die sog. Fenster-Strategie genutzt werden, welche im Analogen (ein in ein Blatt geschnittenes Fenster wird passend auf der Karte platziert) genauso eingesetzt werden kann, wie im Digitalen (Zoom in einen bestimmten Kartenabschnitt).

    Thematische Karten stellen oftmals Zusammenhänge zwischen mehreren Themengebieten her (im Fall der Kilimandscharo-Karte die Zusammenschau von Aspekten der Kultur- und Naturlandschaft). Diese Themengebiete sind wie thematische Lagen in der Karte übereinandergelegt und ergeben so einen Gesamteindruck. Um sich auf eine thematische Kategorie Lage zu fokussieren, ist es hilfreich, sich die Legende genau anzuschauen und sich mithilfe einer "mentalen Lupe" auf die Signaturen zu konzentrieren, auf die der Aufgabentext verweist. Einen deutlichen Vorteil bringen hier digitale Karten. Mit diesen ist es, eine entsprechende Aufbereitung vorausgesetzt, möglich, thematische Lagen auszublenden. Auf diese Weise kann die Karte, für die Bearbeitungsdauer bestimmter Teilaufgaben, tatsächlich in ihrer grafischen Informationsfülle reduziert werden.

    Grafik zur Fenstermethode
    Fenster-Strategie
    © Krüger
    Grafik zur Schichtenmethode
    Lupen-Strategie
    © Krüger

    Sind der Bereich der Karte und die ausschlaggebenden Kartenzeichen festgelegt, beginnt die eigentliche symbolische Dekodierung. Zur genauen Elaboration der lt. Aufgabenstellung relevanten symbolischen Kartenzeichen kann ein reorganisierender strategischer Zugriff hilfreich sein. Dazu können bspw. die betreffenden Symbole von den Lernenden in tabellarischer Form aufgelistet, mithilfe der Legende mit semantischem Gehalt/Bedeutung gefüllt und mit Fotos aus dem Realraum kombiniert werden. Auf diese Weise ergibt sich eine Art Glossar, das die Symbolebene mit möglicherweise neuen (Fach-)Begriffen und Analogien zu den realen Verhältnissen des in der Karte dargestellten Raumausschnitts in Verbindung setzt. Eine Integration neuer Informationen in Vorwisseninhalte gelingt so (durch Reorganisation/Transformation von Karteninhalten, wie z. B. auch durch Verschriftlichung, Versprachlichung, Mind-Maps, Tabellen, Pfeildiagramme) erfahrungsgemäß besonders nachhaltig.

  • ... geometrischen Dekodierens

    Eine große Anzahl empirischer Belege weist darauf hin, dass (nicht nur) Schülerinnen und Schüler hier innerhalb der Kartenauswertung besonders häufig Schwierigkeiten haben (vgl. Diekmann-Boubaker 2010; Hemmer et al. 2012).

    Im Falle des Maßstabs liegen die Probleme weniger im Grundverständnis der linearen Verkleinerung verortet als hauptsächlich im Prozesswissen über den Rechenweg (Dreisatz) und dem damit verknüpften weiten Zahlenraum, der bei der Nutzung der Verhältniszahl (die Maßstabsangabe in Form von z. B. 1:500.000) obligatorisch ist. So fällt Schülerinnen und Schülern, die gute Leistungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich zeigen, der Umgang mit dem Maßstab deutlich leichter als anderen. Eine reine Dekodierfähigkeit in Bezug auf den Maßstab bedeutet jedoch noch nicht, dass die Schülerinnen und Schüler die so gewonnenen Informationen auf die Realität rückbeziehen und so im Auswertungsprozess bzw. für die Beantwortung der Fragestellung fruchtbar machen können (vgl. Plepis 2013). Hier bedarf es oft Transfer- und Formulierungshilfen. Die betreffende Empirie weist dabei im Falle des Maßstabs nahezu keinen Zusammenhang zwischen Leistung im Umgang mit dem Maßstab und dem jeweiligen Alter aus, so dass gefolgert werden kann, dass einige Schülerinnen und Schüler das betreffende Prozesswissen bereits zu einem frühen Zeitpunkt aufbauen, dies anderen jedoch bis zum Ende der Schulzeit nicht gelingt (vgl. Diekmann-Boubaker 2010).

    Im Rahmen eines elaborativen strategischen Zugriffs hat sich hier, neben einer Einführung in die Natur der maßstäblichen Verkleinerung und die Bedeutung der Maßstabszahl das Einüben der zielführenden Rechenoperation bewährt (vgl. Grafik)

    Rechenschema zum Umgang mit dem Maßstab
    Anweisungen zum Trainieren maßstabsbezogener Rechenoperationen
    © Krüger

    Bei der Übertragung der realen Verhältnisse in die kartographische Darstellung spielt die doppelte Verebnung eine zentrale Rolle. Diese meint zum einen die zweidimensionale Darstellung der Kugelgestalt der Erde sowie das damit einhergehende mathematische Problem des nach Winkel- oder Flächentreue gewählten Projektionstypus. Hier treten optisch-kartographische Verzerrungseffekte auf (so erscheint auf winkeltreuen Weltkarten Grönland oftmals nahezu genauso groß wie der gesamte afrikanische Kontinent), die u. U. die mentale Repräsentation, insbesondere die der Landmassengrößen und deren Verteilung auf dem Globus, negativ beeinflussen können (vgl. Hüttermann 1998).


    Zum anderen ist die Verebnung des Reliefs der Erdoberfläche gemeint. Im Rahmen dieser Reliefverebnung bildet das mangelnde deklarative Wissen über die Charakteristika und Abbildungseigenschaften der Höhenlinien in ihrer Rolle als Kontinua (Kartenzeichen, die keine klar abgrenzbaren Darstellungsgegenstände abbilden, sondern durch Messwerte punktuell angegeben werden) die größte Herausforderung für die Lernenden (vgl. Eley 1993; Clark et al. 2008). Insbesondere die Interpretation der Frequenz der Höhenlinien, welche auf Basis einer gültigen Umwandlung des dreidimensionalen mentalen Geländemodells in die flächige Kartendarstellung (und vice versa) Auskunft über Flachheit und Steilheit des Geländes gibt, erscheint herausfordernd, sodass hier ein strategischer Zugriffs auf Basis einer Einweisung in die Eigenschaften (Aktivieren von Vorwissen) von  und den Umgang mit Höhenlinien erfolgen kann (vgl. Grafik).

    Genese von Höhenlinien
    Erster Schritt eines strategischen Zugriffs auf den Umgang mit den Höhenlinien
    © Fachprojekt Geographie
  • ... Dekodierens der Generalisierung

    Auf ähnlicher Grundlage basieren Schwierigkeiten im Dekodieren der Generalisierung. Generalisierung beschreibt dabei das Prinzip der dem (Folge-)Maßstab geschuldeten Verringerung der inhaltlichen und grafischen Komplexität bzw. Detailliertheit und der daraus resultierenden Verallgemeinerung und Vereinfachung der Karten im Vergleich zum Realraum. Hier gilt es sicherzustellen, dass die Lernenden sich ein Bewusstsein darüber verschaffen bzw. deklaratives Wissen darüber aufbauen, welche Auswirkungen der von der Kartenautorin bzw. von dem Kartenautor gewählte Kartentyp und Maßstab auf die Detailliertheit der Karte hat und in welchem Verhältnis dieser selektierende Abstraktionsgrad zu den realen Verhältnissen steht. Probleme der Schülerinnen und Schüler sind hier auf ähnlicher Ebene zu verorten wie bei der symbolischen Dekodierung, d. h. in der gültigen Analogiebildung zwischen den abstrahierenden Kartensignaturen und den realen Verhältnissen. Die Kartenzeichen müssen in ihrer Stellvertreterfunktion als komplexitätsreduziert und damit als notwendigerweise verzerrend verstanden werden (vgl. Kaminske 2012).

  • ... Beschreibens von Einzelphänomenen und Raumstrukturen

    Im Beschreiben sollen die aus dem Dekodierprozess gewonnenen Informationen mit Blick auf den zu beschreibenden Kartenteil zu eigenen kartenimmanenten, deskriptiven Aussagen verknüpft werden. Daher ist die fachsprachlich korrekte und kohärente Beschreibung ein anspruchsvoller und unverzichtbarer Zwischenschritt auf dem Weg zu übergeordneten Makrosprachhandlungen, die aus der Kartenwahrnehmung der Lernenden einen handhabbaren Karteninhalt machen. Durch die Einordnung des Beschreibens als Operator – im Sinne einer zusammenhängenden, geordneten und fachsprachlich angemessenen Wiedergabe von Materialaussagen und Kenntnissen unter einem vorgegebenen Aspekt – in den Anforderungsbereich 1 wird es in den Ansprüchen, die es in seiner Realisierung an die Schülerinnen und Schüler stellt, oftmals als wenig herausfordernd und sprachlich nur minder komplex eingestuft. Die Herausforderung besteht nach der Eingrenzung des zu beschreibenden Kartenfelds bzw. der zu beschreibenden Kartenschicht jedoch zum einen in der Auswahl einer an der Aufgabe und am Darstellungsziel ausgerichteten Beschreibungsdimension, z. B. Beschreibung einer Verortung, einer Verteilung, eines Vergleichs (eher der Beschreibung von Einzelelementen zuzuordnen) oder einer Abfolge, eines Verlaufs, einer Lagebeziehung (eher der Beschreibung von Raumstrukturen zuzuordnen). Zum anderen besteht sie in der Wahl einer Beschreibungsrichtung, d. h. eines sinnvollen Start- und Endpunkts bzw. der Wahl eines übergeordneten Ordnungsrasters, d. h. der Linearisierung des Diskontinuierlichen (vgl. Schmaucks 1998). Dafür ist ein fachlich geeigneter Wort- und Phraseologismenschatz nötig (z. B. Begriffe aus der Legende, Angaben der Himmelsrichtung, der Höhe oder Entfernung), um dem Kommunikationspartner die Bildung eines eigenen kohärenten mentalen Modells zu ermöglichen (vgl. Wardenga 2012). Schwierigkeiten sind hier also vor allen Dingen auf der (fach-)sprachlichen Ebene zu finden, dementsprechend werden auch die individuelle Textplanungs-, Verbalisierungs- und ggf. Schreibkompetenz respektive Formulierungsleistung (vgl. Antos 1982) tangiert. Daher fallen an dieser Stelle das Vorwissen und die Vorerfahrung in der beschreibenden Kartenauswertung besonders stark ins Gewicht.

  • ... Erklärens

    Die vorangegangenen Schritte des Dekodierens und Beschreibens bilden die Basis für die Herleitung logischer Verknüpfungen und Aussagen, die Zusammenhänge von in der Karte dargestellten Systemkomponenten und deren Genese sowie Auswirkungen im abgebildeten Raumgefüge bzw. Mensch-Umwelt-System zum Gegenstand haben.
    Diese Aussagen, z. B. zu Kausalitäten oder Genesebedingungen in Bezug auf das Dargestellte, können unter Einbeziehung von Vorwissensinhalten kartenimmanent getroffen werden oder unter Einbezug kartenexterner Informationen. Da der Schwierigkeitsgrad dabei stark von in der Karte bzw. in den kartenexternen Informationen dargestellten Inhalten abhängt, können an dieser Stelle nur allgemeingültige Aussagen zu Herausforderungen im Auswertungs- und Lernprozess getroffen werden. Diese betreffen die Notwendigkeit des Denkens und Verstehens in räumlichen Systemen und das dementsprechende gegenstandsbezogene Wissen sowie die Fähigkeit, dieses Wissen aus anderen Informationsquellen (im Fall der thematischen Schulbuchkarte meist zugeordnete Fachtexte, die synchron zur Karte vorliegen) zu konstruieren und auf die Karten zu beziehen (vgl. Lenz 2009). Dementsprechend fällt es vielen Lernenden oft schwer, in ihren jeweiligen Erklärungen über einfache Kausalzusammenhänge hinaus inhaltliche Verknüpfungen herzustellen. Sie fixieren sich vor allem auf die kartenimmanenten Informationen (und verbleiben daher oft auf deskriptivem Niveau), wobei es ihnen schwerfällt, die durch die Aufgabenstellung geforderte Reduktion und Selektion der dargestellten kartographischen Informationen auf wesentliche Faktoren zu vollziehen (vgl. Plepis 2013). Im Erklären sind also, zusätzlich zu den Kompetenzen der Kartenauswertung im eigentlichen Sinne, Prozesse und Strategien der Erschließung von anderweitigen diskontinuierlichen Begleitmaterialien (z. B. Diagramme und Tabellen) sowie kontinuierlichen Texten nötig.

  • ... Beurteilens

    Als letzter Schritt findet eine sachimmanente Beurteilung der Karte statt, die zum einen die Karte in der Gesamtheit ihrer intendierten Aussage (Inhaltsebene) betreffen kann. Die Beurteilung, die unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven der Akteure und Kartennutzerinnen und -nutzer und oft unter Hinzuziehung externer Informationen geschieht, zielt auf die Auswirkungen der dargestellten Prozesse auf Mensch und Natur bzw. auf die Formulierung begründeter Prognosen für den dargestellten Teilraum.
    Zum anderen kann die Beurteilung ausgewählte grafische Aspekte betreffen, die im Hinblick auf ihre Korrektheit sowie die Eignung der gewählten Darstellungsmittel in Bezug auf das Darzustellende bzw. das ggf. vorhandene manipulatorische Potential der Karte beurteilt werden. Ziel ist damit der Nachvollzug der Perspektive der Kartenautorin bzw. des Kartenautors und der Angemessenheit der gewählten Darstellungsmittel. Generell ist davon auszugehen, dass Schülerinnen und Schüler eher selten Gelegenheit bekommen, Karten auf diese kritische, multiperspektivische Weise zu bearbeiten. Dies untermauern empirische Belege bzgl. einer oftmals defizitären kartenbezogenen Argumentationskompetenz (vgl. Budke & Kuckuck 2017). Lernende sind demnach selten in der Lage, ihre Befunde und beurteilenden Aussagen sinnvoll argumentativ zu stützen (z. B. Plepis 2013). So greifen sie vermehrt auf eigene und allgemeine, daher ggf. fehlerhafte oder unpassende Bezugskategorien zurück, anstatt kartenimmanente Informationen bzw. Informationen beigegebener, externer Quellen herauszuarbeiten und fachbezogen zu nutzen.

Metakognitive und kognitive Strategien

Während der Vierschritt des Ludwigsburger Modells die metakognitive Wissensbasis bildet, den Auswertungsprozess zu planen, zu überwachen und zu regulieren, bilden kognitive strategischen Zugriffsweisen das Werkzeug, um innerhalb der einzelnen Auswertungsschritte u. a. neue Informationen in Vorwisseninhalte zu integrieren, Text- bzw. Karteninhalte neu zu organisieren/strukturieren und die so gewonnenen Informationen nachhaltig nutzbar zu machen.

Beispiele für kognitiv-strategische Unterstützung im Teilschritt des Dekodierens:

  • Inbezugsetzen von Aufgabenstellung und Karte durch Leitfragen
  • Eingrenzen auf einen bestimmten Kartenausschnitt durch die Fenster-Strategie
  • Eingrenzen auf eine bestimmte Kategorie von Kartenzeichen durch die Lupen-Strategie
  • Zuweisung einer Bedeutung zu den Kartenzeichen durch Reorganisation (Tabelle)
  • Umgang mit dem Maßstab durch eine gezielte Schritt-für-Schritt-Anleitung
  • Umgang mit den Höhenlinien durch eine gezielte Schritt-für-Schritt-Anleitung