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«Der Natur ist das schnurzegal»

Bislang zählt dieser Winter zu den wärmsten seit mehr als 150 Jahren ? und auch der Föhn wütete in den vergangenen Wochen aussergewöhnlich stark und oft. Die «Liewo» hat sich nun die Frage gestellt, ob solch extreme Witterungsverhältnisse Auswirkungen auf die Natur und ihre Bewohner haben.

Was sich ansonsten als hervor­ragendes Small-Talk-Thema eignet, schreibt derzeit Schlagzeilen: das Wetter. Seit Wochen beschäftigen die milden Temperaturen und der häufige Föhn nicht nur die Einwohner des Rheintals, sondern auch die Zeitungen in ganz Mitteleuropa. «Die Natur steht kopf» oder «Ein gefährlich warmer Winter» titeln sie und verkünden fast täglich eine neue Hiobsbotschaft. So soll die aktuelle Wetterlage beispielsweise dazu beitragen, dass Igel scharenweise verhungern, Pflanzen und Vögel beim nächsten Kälteeinbruch in Massen sterben und eine Zeckenplage von biblischem Ausmass bevorsteht. Doch ganz so schlimm wird es wohl doch nicht werden, schliesslich sind sich alle Experten, mit denen die «Liewo» gesprochen hat, einig: Die Natur kommt ganz gut mit solchen einmaligen extremen Wetterbedingungen klar.

Ohne nachhaltige Auswirkungen

So meint Norman Nigsch, Leiter der Abteilung Wald und Landschaft beim Amt für Umwelt: «Milde Winter hat es immer wieder gegeben, ohne dass das für unsere Pflanzenwelt nachhaltige Auswirkungen gehabt hätte.» Überhaupt würden Pflanzen in der Regel sehr gut mit aussergewöhnlichen Witterungs­bedingungen zurechtkommen. Und auch was die momentan häufigen Föhnwinde betrifft, sieht Nigsch keine unmittelbaren Gefahren für die Pflanzenwelt. «Zwar kann ein starker Föhnsturm zu Windbrüchen führen, die aus wirtschaftlicher Sicht ein beträchtliches Ausmass annehmen, ansonsten stellt der Föhn für die hiesige Pflanzenwelt kein Problem dar.» Kritisch könnte es erst werden, wenn auf die bisher sehr milden Perioden eine Kältewelle folgen würde. Sogenannte Spätfröste könnten frostempfindliche Arten arg in Bedrängnis bringen und durchaus zum Absterben eines ganzen Bestandes führen. Doch so schlimm, wie sich das anhört, ist das Ganze nicht: «Das Absterben von Bäumen und Sträuchern ist nur nach menschlichem Ermessen ein Schaden. Der Natur ist das schnurzegal. Oft ist es sogar so, dass ein Bestand  gestärkt aus einem Ereignis mit grossen Verlusten hervorgeht.»

Igelpopulation wird überleben

Ähnlich unproblematisch schätzt auch Wolfgang Kersting, Wildhüter beim Amt für Umwelt, die aktuelle Wetterlage ein: «Vielen Wildtieren kommt der milde Winter eher zugute, da auch schwächere Tiere die kalte Jahreszeit überleben». Zwar bestehe bei Winterschläfern wie Igel und Siebenschläfer durchaus die Gefahr, dass diese aufgrund der milden Temperaturen zu früh erwachen und wegen Nahrungsmangel verenden. «Das jedoch betrifft nicht die ganze Population, sondern einzelne, schwächere Tiere», erklärt Kersting. Ähnlich wie in der Pflanzenwelt könnte erst ein massiver Kälteeinbruch zu einem Problem werden, und zwar dann, wenn die Jungtiere bereits auf der Welt sind. Diese könnten sich nämlich nicht ausreichend gegen Nässe und Kälte schützen und seien in einem solchen Fall gefährdet. «Aber damit kommt die Natur gut zurecht», ist sich Kersting sicher. Und auch vom Föhn lassen sich die Wildtiere nicht aus der Ruhe bringen: Ähnlich wie die Menschen suchen sie windgeschützte Orte auf.

Vögeln ist es «vögeliwohl»

Und wie sieht es bei den Vögeln aus? «Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die frühlingshaften Wetterbedingungen keine direkten negativen Auswirkungen auf die Vögel in der Region haben. Vielmehr erspart ihnen der warme Winter einen Wohnortwechsel, da genug Futter vorhanden ist», gibt Georg Willi vom Ornithologischen Verein Auskunft und stösst somit ins gleiche Horn wie die anderen «Liewo»-Experten. Zwar könne es sein, dass bestimmte Vogelarten von einem milden Winter stärker profitieren und andere Arten somit beispielsweise bei der Brutplatzbesetzung das Nachsehen haben, aber das sei nun mal der Lauf der Natur. Einzig die Tatsache, dass die Vögel dieses Jahr aussergewöhnlich früh in Balzstimmung kommen, könnte für diese Nachteile haben: «Bei einem überraschenden Einbruch von Kälte könnten bereits brütende Vögel ihre Brut verlieren», erklärt Willi. «Doch auch dieser Verlust hält sich in Grenzen, da die betroffenen Vögel dies mit einer zweiten Brut kompensieren könnten.» Auch in Bezug auf den Föhn hätten Vögel nach Auskunft von Willi praktisch keine Probleme ? wie Mensch und Tier harren sie an windgeschützten Orten aus.

Keine Insektenplage in Sicht

Was die mögliche Zecken- oder Mückenplage betrifft, die demnächst auf die Bewohner der Rheintals zukommen soll, kann Biologe Holger Frick vom Amt für Umwelt Entwarnung geben: «Eine Plage ist eher nicht zu erwarten.» Die Gründe hierfür sieht Frick in den gegenläufigen Effekten, die ein milder Winter für Insekten mit sich bringt. Einerseits würden zwar weniger Individuen durch Kälte sterben, andererseits seien warme Winter oft auch feucht, womit das Risiko von Pilzinfektionen und Parasitenbefall steige. «Im Endeffekt lässt sich sagen, dass die meisten Insektenarten mit diesen Bedingungen recht gut klarkommen und sich die verschiedenen positiven und negativen Effekte eines milden Winters  mehr oder weniger aufheben.»

Die Natur kennt keinen Kalender

Pflanzen, Wildtiere, Vögel und Insekten: Sie lassen sich offensichtlich durch einen einmalig extremen Winter nicht aus der Ruhe bringen. Anders als die Menschen kennt die Natur nämlich keinen Kalender ? sie weiss auch so, was gerade von ihr verlangt wird. Es gibt also keinen Grund zur Sorge, wenn ein Winter einmal überdurchschnittlich warm ausfällt oder der Föhn einmal etwas stärker bläst. Anders sähe dies wohl aus, wenn die befürchtete Klimaerwärmung mehr solche milden Winter mit sich bringen würde. In einem solchen Fall könnte die Natur durchaus aus dem Gleichgewicht geraten. Doch das ist vielleicht ein Thema für eine andere «Liewo»-Ausgabe. (sb)

 
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