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Umnutzung von Gebäuden

Den Wert des Bestehenden erkennen und pflegen

Bild: Westend61 via Getty Images

Leerstehende Gebäude werden oftmals abgebrochen oder einfach brach liegen gelassen, statt sie sinnvoll umzubauen und zu revitalisieren. Ist das noch vertretbar vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Mangel an bezahlbarem Wohnraum?

Die Erstellung von Gebäuden ist äußerst materialintensiv und bindet vielfältige Ressourcen bei der Herstellung der Baumaterialien und dem Gebäudebetrieb. Die Transformation hin zu nachhaltigem, bedarfs- und kreislaufgerechtem Planen und Bauen ist mehr denn je eine der Anforderungen unserer Zeit. Vor allem aus Gründen des Ressourcen- und Klimaschutzes, aber auch, um der Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum nachzukommen. Hierzu zählt der zukunftsgerichtete Umgang mit dem Gebäudebestand als Alternative zu Abbruch und Neubau, wie der Verein Baukultur Nordrhein-Westfalen e.V. (Baukultur NRW) mit seinem aktuellen Projekt des „UmBauLabors“ aufzeigt. An einem abbruchreifen Haus in Gelsenkirchen erprobt Baukultur NRW während der vierjährigen Projektlaufzeit, welche Ressourcen und was für ein Raumpotenzial in diesem Haus vorhanden ist. Wie kann das Haus möglichst ressourcenschonend kreislaufwirtschaftlich umgebaut und umgenutzt, beziehungsweise revitalisiert werden? Zur Beantwortung dieser Frage werden Menschen aus dem gesamten Lebenszyklus des Hauses und mit verschiedenen Betrachtungsebenen einbezogen: Diejenigen, die es besitzen, Fachleute aus Forschung und Praxis, Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Nachbarschaft.

Vom abbruchreifen Gebäude zum experimentellen Ort

Die Bergmannstraße 23 in Gelsenkirchen-Ückendorf: Ein mehrstöckiges Gebäude aus dem Jahr 1902 mit zwei Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss und drei Wohnetagen à zwei Wohnungen. Das Quartier ist nicht gerade das, was als gepflegte Wohnlage zu bezeichnen ist. Kleingewerbe, Leerstand und marode Bausubstanz prägen das Bild. Dass die Einwohnerzahlen in Gelsenkirchen seit den 1980er Jahren erheblich zurückgegangen sind, wird hier besonders augenfällig.

Eigentlich hätte das Gebäude mit der baujahrestypischen Stuckfassade abgebrochen werden sollen, doch jetzt wird es zum UmBauLabor. Als gemeinnütziger Verein, gefördert vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes stellt Baukultur NRW die Wertschätzung gegenüber dem Bestehenden in den Vordergrund. Dazu moderiert Baukultur NRW den Austausch zwischen Forschenden, Planenden und der Öffentlichkeit.

Vom abbruchreifen Gebäude zum experimentellen Ort

Leerstehende Gebäude sind nicht per se unattraktiv oder gar hoffnungslose Ruinen: Sie ermöglichen es vielmehr, dass durch kluges und weitblickendes Planen und Handeln vitale Quartiere und Orte entstehen, gleichzeitig Ressourcen umfangreich geschont und gewachsene Strukturen wiederbelebt werden. Doch es gilt „Umbau“ neu zu denken - so das Credo des UmBauLabors. „Das UmBauLabor ist ein Experimentierort, an dem wir die Themen nachhaltiges und ressourcenschonendes Umbauen austesten“, erklärt Lillith Kreiß. Sie ist bei Baukultur NRW die zuständige Projektleiterin. Als studierte Architektin hat sie ihre Interessenschwerpunkten auf Materialität, Ressourcen, Kreisläufe und den sozialen Faktor von Nachhaltigkeit gelegt. „Wir analysieren Ressourcen und Lebenszyklen von Materialien und Gebäuden und programmieren sie im Dialog mit allen Beteiligten neu“, fasst Kreiß zusammen. Praktisch bedeute dies, dass beispielsweise für neue Wohnformen Wände versetzt oder entnommen würden, ein Anbau geplant oder das Erdgeschoss nicht länger gewerblich genutzt würde. Es sei selbst denkbar, das gesamte Gebäude umzunutzen. „Dabei suchen wir auch Antworten auf Detailfragen, wie Elektrik ohne Kabel in den Wänden funktioniert oder wie Toiletten ohne Anschluss an das Wasser- beziehungsweise Abwassersystem gespült werden könnten“, so Kreiß weiter.

Kreislaufwirtschaft neu gedacht

Zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen gehören die Betrachtung der vorhandenen Wertstoffe genauso, wie Infrastruktur und Logistik, um bereits vorhandene Baumaterialien weiter zu nutzen oder wieder in den Kreislauf einbringen zu können: „Wir machen uns zum Beispiel für Baustoff- und Bauteilbörsen stark und wollen im Kleinen aufzeigen, dass aus Bauteilen, die wir herausnehmen und an eine andere (Um-)Baustelle weitergeben, etwas Neues entstehen kann. Das im Großen zu denken, ist enorm spannend,“ findet Kreiß. Die fehlende Möglichkeit zur Rezertifizierung von wiederzuverwendenden Bauteilen hemmt hier allerdings noch die praktische Umsetzung. Dabei steckt darin die große Chance, den Gebäudeumbau und die Kreislaufwirtschaft von ihrem bisher überwiegend ökologisch besetzten Image zu befreien und mit den entsprechenden, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen in einen neuen, marktfähigen Wirtschaftszweig zu überführen.

„Bauen ist nichts für Amateure“

Frank Jansen von der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik ist Teil des Begleitgremiums, das dem UmBauLabor beratend zur Seite steht und die verschiedenen Sichtweisen auf das Projekt vertritt. Jansen weiß: „Bauen ist nichts für Amateure!“ Er steht für die Ingenieurinnen und Ingenieure und hat die regulativen Randbedingungen im Blick, die für das Projekt relevant sind. Gerade im Hinblick auf die Zustandsbewertung, beispielsweise hinsichtlich der Standsicherheit oder der technischen Funktion, vor allem bezogen auf eine möglicherweise vorhandene Schadstoffkontaminationen, ist Fachexpertise gefordert. Hierzu geben entsprechende VDI-Richtlinien und andere anerkannte Regeln der Technik wertvolle Hinweise. Spannend wird auch, so Jansen, welche Lücken im Regelwerk im Rahmen des Projekts UmBauLabor aufgedeckt werden. Diese gilt es zu schließen, um der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen auch normativ verlässliche Grundlagen zur Verfügung stellen zu können.

Autorin: Alice Quack

Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. (FH) Frank Jansen
Geschäftsführer VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail: jansen_f@vdi.de

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