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Warum “Petra Kelly – rätselhafter Tod einer Friedensikone” die spannendste Doku des Herbsts ist

Mit ihrem unermüdlichen Kampf für Frieden und den Klimaschutz war Petra Kelly die Grünen-Politikikone der Achtziger Jahre. 1992 starb sie einen rätselhaften Tod. Eine dreiteilige Doku beleuchtet nun ihre Geschichte. Autorin Anna Grün erklärt, warum diese aktueller ist denn je.
Petra Kelly bei einer Friedensdemo
Gaby SOMMER/Getty Images

Diese spannende Dokumentationsserie über Petra Kelly müssen Sie sich anschauen

Fridays for Future, die globale Klimakrise, Außenministerin Annalena Baerbock – all diese Themen/Personen sind verbunden mit einer Frau, die als Grüne, Feministin, Anti-Atom- und Friedensaktivistin schon in den Achtzigerjahren den Grundstein für heutige Klimabewegungen legte, die weltweit berühmt wurde und dann tragisch endete: Petra Kelly.

Die Sky-Doku „Petra Kelly – Der rätselhafte Tod einer Friedensikone“ wirft in drei Folgen einen eindringlichen Blick auf das Leben und Wirken dieser besonderen Frau. Mithilfe von Weggefährt:innen, Familienangehörigen und aktuellen Protagonist:innen beleuchtet die Reihe das politische und persönliche Leben von Petra Kelly und ihrem Mann Gert Bastian sowie die rätselhaften Umstände ihres Todes.

Petra Kelly und Gerd Bastian, 1983

Régis BOSSU/Getty Images

Petra Kelly und Gert Bastian waren das prominenteste und umstrittenste Politikpaar der Achtzigerjahre. 1992 wurden sie erschossen in ihrem Bonner Reihenhaus gefunden, erst Wochen nach ihrem Tod, der sich am 1. Oktober 2022 zum 30sten Mal jährt.

Als Autorin und Produzentin der Doku-Reihe hat sich Anna Grün tief in Petra Kellys Geschichte eingearbeitet. Wir sprachen mit ihr über ihr eindrucksvolles Leben, den mysteriösen Tod und darüber, warum Kelly und ihre ikonische Geschichte so wenig bekannt sind.

Autorin und Produzentin Anna Grün über "Petra Kelly – rätselhafter Tod einer Friedensikone“

Anna Grün ist Executive Producerin bei der Medienproduktionsfirma doc.station 

VOGUE: Wann ist die Idee entstanden, sich gerade dieser Geschichte anzunehmen?

Anna Grün: Tatsächlich bin ich vor ein paar Jahren schon mal über Petra Kelly gestolpert, als eine Biografie über sie herauskam. Ich fand sie sofort cool und dachte: Über diese Frau muss man mal was machen. Aber dann kam es nicht dazu. Ich glaube, es war zu früh; damals fehlte mir die Vision, wo so ein Porträt im Fernsehen hinpassen würde. Es gab damals noch keine Streamer und keinen richtigen Platz für eine solche Dokureihe, und so ist dieses Buch in Vergessenheit geraten. Letztes Jahr bin ich dann im Zuge einer True-Crime-Recherche wieder auf die Story mit ihrem sehr tragischen, dramatischen Ende gestoßen. Kurz darauf entwickelte ich die Idee, das war vor ziemlich genau einem Jahr. Und dann haben wir das für eine dreiteilige Doku alles ziemlich schnell realisiert. Im Prinzip war Petra Kelly eine Aktivistin im Geiste von “Fridays for Future” vor 40 Jahren. Das hat mich total fasziniert. Der True-Crime-Aspekt wurde plötzlich fast zur Nebensache, weil die ganze Geschichte durch die beiden globalen Themen Klima und Krieg so eine Aktualität bekommen hat.

Ich bin 39 Jahre alt und gebe zu, ich kannte Petra Kelly nicht. Und das ging auch vielen Freund:innen und Kolleg:innen so. Dabei ist sie eine der bemerkenswertesten Politikerinnen des 20. Jahrhunderts. Warum ist ihre Geschichte so unbekannt?

Ich wundere mich bis heute, dass das noch niemand aufgegriffen hat. Ich bin von diesem
Kriminalfall ausgegangen, habe mich eingelesen und dachte: Wahnsinn, wieso hat niemand diese Frau auf dem Schirm? Die Geschichte ist ein blinder Fleck. Dabei ist Petra Kellys Arbeit auf vielen Ebenen aktueller denn je. 

Petra Kelly
Wer war Petra Kelly? Bilder aus dem bewegten Leben der Friedens- und Umweltikone
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Sie haben Ende Februar 2022 mit den Dreharbeiten gestartet. Wie war es, als der Krieg in der Ukraine ausbrach? 

Zu Beginn des Projekts lag dessen Aktualität in der globalen aktivistischen Klimapolitik. Während wir die Filme dann recherchierten, spitzte sich der Ukrainekonflikt über den Jahreswechsel und dann im Januar immer mehr zu. Meine Projektkollegin und Mit-Producerin Ulrike Schwertner und ich hatten die ersten Interviewtermine tatsächlich für den 24. Februar angesetzt. Wir wollten in aller Herrgottsfrühe nach Köln aufbrechen und wachten beide mit der Nachricht auf, dass der Angriff auf die Ukraine begonnen hat. Wir waren völlig von der Rolle und wussten nicht, ob wir überhaupt losfahren sollten. Und dann dachten wir: Ja, natürlich fahren wir los. Jetzt erst recht. Hätte Petra Kelly gewusst, wie aktuell ihre Arbeit noch mal werden sollte, dann hätte sie das gewollt, dachten wir. Das ist ohnehin einer der dramatischsten Aspekte: Die Frau ist in dem Glauben gestorben, dass das, was sie aktivistisch und mit dem größten Herzblut angestrebt hat, all ihre politische Arbeit, niemanden mehr interessiert. Anfang der Neunzigerjahre war Umweltpolitik nicht wirklich präsent. Es ging um Einheit, um blühende Landschaften. Kohl war Einheitskanzler, die Grünen waren nicht mehr im Bundestag. Petra Kelly spielte in der Partei keine große Rolle mehr, wurde sogar abgewatscht. Und das galt eben auch für ihre pazifistische Politik. Mir das vor Augen zu führen, hat mich in dem Moment nochmal besonders betroffen gemacht.

Beim Einzug der Grünen in den Bundestag am 29.03.1983 in Bonn (v.l.): General a.D. Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf

Karin Hill/dpa

Welchen Einfluss hatte diese Brisanz der Situation auf die Interviews und damit auf das Endergebnis? 

Großen Einfluss! Kellys Weggefährte und Freund Konstantin Wecker zum Beispiel, der die Grünen gerade am Anfang sehr aktiv unterstützt hat, hatte unseren Interviewtermin eigentlich aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen. Die Sache war ihm aber solch eine Herzensangelegenheit, dass er sich mehr oder weniger zu uns hingeschleppt hat. Und das hat man auch gespürt. Es war ihm ein echtes Anliegen, darüber zu sprechen – besonders vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts. Und auch an vielen anderen Stellen spielte die aktuelle Situation eine Rolle.

Sie befragen hauptsächlich Zeitzeug:innen von Petra Kelly, aber auch jüngere Menschen wie Aminata Touré, die 1992 geboren ist – dem Jahr, als Petra Kelly starb. Nach welchen Kriterien haben Sie die Interviewten ausgewählt? 

Einerseits haben wir geschaut, wer Petra Kellys engen Weggefährt:innen waren, weil die uns
erzählen konnten, wie das damals alles wirklich war. Vor dem Hintergrund der neuen Aktualität haben wir dann aber auch geschaut, wer ihre Arbeit als Klimaaktivistin beurteilen kann. Kelly hat damals schon globale Umweltpolitik gemacht, ist nach Australien gereist, um sich Uranminen anzusehen, die Quelle der Atomkraft – das war Pionierinnenarbeit.

Das war in den Achtzigern – also auch medial in einer komplett anderen Welt.

Genau. Deshalb war es mir auch so wichtig mit jüngeren Menschen wie Carla Reemstma, der Klimaschutzaktivistin, Mitorganisatorin und Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland, zu reden. Mich interessierte der heutige Blick auf die Frau, die damals schon versucht hat, die Dinge so zu machen, wie Fridays for Future jetzt – nur eben mit ganz anderen Mitteln. Petra Kelly hat ohne Social Media einen Protest im Hofgarten mit hunderttausenden Menschen organisiert.

Aminata Tourés Perspektive hat mich interessiert, weil ich finde, dass sie eine sehr besondere Politikerin ist. Sie versucht, zugänglich zu sein, ihre Arbeitswoche auf Social Media transparent darzustellen und mit Follower:innen in den Dialog zu gehen. Austausch war auch Petra Kelly sehr wichtig. Sie hat damals Wäschekörbe voller Post beantwortet – teils auch von ihrem privaten Geld. Ihre Politik sollte nicht elitär sein.

Sie haben am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, dass sie die Petra-Kelly-Story ursprünglich wegen des ungeklärten Todes spannend fanden, also als True-Crime-Fall. Hand aufs Herz: Haben Sie am Anfang gedacht, Sie könnten den Fall lösen?

Wir sind total offen an den Fall rangegangen, haben zunächst alles zusammengetragen, was es gibt und versucht, nachzuvollziehen, welche Fährten wie verfolgt wurden. Ohne jetzt zu viel zu spoilern, sage ich nur eines: Es fiel uns irgendwann immer schwerer zu glauben, dass es ein einvernehmlicher Selbstmord war.

Ich würde gerne noch einmal darauf eingehen, dass Petra Kelly und ihre Geschichte so wahnsinnig unbekannt sind. Besonders bei den unter 45-Jährigen. Wie erklären Sie sich das?

Ich zitiere an dieser Stelle Aminata Touré: “Geschichtsschreibung ist auch immer noch männlich geprägt". Und das spielt sicher die größte Rolle. Aber es gibt verschiedene Faktoren, die dafür sorgen, dass Petra Kellys Geschichte nicht unbedingt gern erzählt wurde. Die Grünen sind zum Beispiel auch grundsätzlich keine Partei, die groß darin ist, Erinnerungskultur zu leben. Und das wollten sie – hinsichtlich des Endes – in diesem Fall vielleicht auch gar nicht. Ein weiter Aspekt ist, dass Kelly eine aktivistische Politikerin war und dadurch anstrengend und kantig und nicht zu Kompromissen bereit. Also in ihrer Zeit nicht unbedingt die beliebteste.

Petra Kelly vor dem Berliner Fernsehturm

United Archives/Getty Images

Was würde passieren, wenn man Petra Kelly nähme und in die heutigen Grünen setzen würde? 

Interessant! Genau das haben wir unsere Interviewpartner:innen auch gefragt und es gab die
unterschiedlichsten Auslegungen. Anton Hofreiter [Grünen-Politiker, seit 2005 im Bundestag] zum Beispiel sagte, Petra Kelly wäre dieses böse Erwachen im Ukrainekonflikt nicht passiert, weil sie immer den Dialog gesucht, die Leute ernst genommen hat und daher schon früher reagiert hätte. Diesen Gedanken fand ich wahnsinnig spannend. Ich denke, was man ganz sicher behaupten kann ist, dass sie eine wichtige und tolle Stimme gewesen wäre in der heutigen, sehr angespannten und besonderen Zeit.

Würden Sie Petra Kelly als Ikone bezeichnen? 

Ich denke, was sie zu einer Ikone macht, ist, dass sie aus so einer tiefen inneren Überzeugung heraus gearbeitet hat und zu ihren Positionen, auch wenn diese manchmal radikal waren, stand. Für Haltungen und Überzeugungen einzustehen – das ist etwas, das bleibt.

Der Trailer zur Doku um Petra Kelly

„Petra Kelly – rätselhafter Tod einer Friedensikone“ läuft seit 1. Oktober 2022 auf Sky Crime (mit Sky Q und auf dem Streamingdienst WOW abrufbar).

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