10 | Rot sein, rotsehen

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»Rote Haare, rote Kleidung und eine rote Haut. Man könnte fast meinen, dass du auf die Farbe Rot stehst«, begrüßte mich River, der sich neben mich auf die Tribünen setzte. Er zog seine Jacke etwas enger um sich, denn obwohl die Morgensonne warm vom Himmel schien, würde es wohl noch ein wenig dauern, bis es etwas wärmer wurde.

»Du bist nicht witzig«, grummelte ich, ohne den Blick vom Spielfeld zu nehmen. Die Welt sah heute so schön aus, vor allem wenn sich die Farben so wunderbar in meiner Linse spiegelten. Das war nicht selten dafür, dass der Herbst langsam durch den Sommer zog, aber ich war dennoch jedes Mal überrascht und fasziniert, wenn ich es zu sehen bekam.

»Ich finde schon. Genau wie dein Sonnenbrand«, fügte er hinzu. Ja, ich hatte mir einen Sonnenbrand zugezogen. Ja, ich sah damit lächerlich aus. Und ja, rote Kleidung machte die Sache auch nicht weniger auffällig, aber heute Morgen war mir aufgefallen, dass ich absolut nichts hatte, was ich anziehen konnte, und dann hatte ich mich eben für die feuerroten Cargo-Hosen und ein weißes T-Shirt, das mit einem Erdbeeren-Muster bedruckt war, entscheiden müssen.

»Kannst du eigentlich nur gemein sein, wenn es so früh ist?«, wollte ich wissen und sah Bashs Bruder nun doch noch an. Es ärgerte mich, dass er sich über mich lustig machte, wo ich doch selbst wusste, wie lächerlich ich aussah. Ich konnte mich nicht einmal in der Schulmenge verstecken, denn wenn man mit so viel Rot geziert war, stach man immer heraus.

»Ja. Und du kannst anscheinend nur gut gelaunt sein«, entgegnete er gelassen und zündete sich eine Zigarette an. Ich rollte mit den Augen. »Oder hängt deine Laune etwa von meinem Bruder ab?«

Ich stockte ein wenig und runzelte die Stirn. »Was soll denn das bedeuten?«

»Absolut rein gar nichts.«

»Klang nicht danach.«

»Sehe ich so aus-«, setzte River an, doch ich winkte ab.

»Schon klar, nicht dein Problem.« Einige Sekunden lang war es still, dann stieß er wieder einen Seufzer aus. »Bist du wirklich schlecht drauf? Ich kann dich auch allein lassen, wenn du deine Ruhe brauchst. Wir können unsere Abmachung auch erst ab morgen geltend machen. Ich wollte dich nicht ärgern, es ist einfach-...« River machte eine ausladende Handbewegung, die ich nicht deuten konnte und zog dann einige Atemzüge lang an seiner Zigarette. Er sah aus, als wäre ihm die Sache ernst und das überraschte mich.

Also schüttelte ich den Kopf. »Nein, ist schon okay. Ehrlich. Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anfahren.«

»Kein Ding. Was läuft eigentlich zwischen Bash und dir?« Wieder hatte sich Neugier in seinen Ausdruck gebahnt und obwohl es erfrischend war, ihn so zu sehen, wurde ich etwas unruhig. Das Wochenende hatte mich von der Spur gebracht, denn ich war es mir eigentlich gewohnt, dass Bash mir keine Beachtung schenkte und dass ich unsichtbar für ihn war. Es war merkwürdig, dass er so viel mit mir geredet und tatsächlich Interesse daran gezeigt hatte, dass das Beachvolleyball-Spiel auch mir Spaß machte, obwohl ich eine Niete darin war.

»Nichts. Das weißt du doch, nicht wahr? Oder hast du den Brief schon vergessen?«, entgegnete ich trotzdem. Ich lief noch röter an, als ich ohnehin schon war. Je mehr Zeit verging, desto peinlicher wurde mir der Papierflieger, welchen ich Bash hatte geben wollen. Meine Gefühle hatten sich zwar nicht verändert, aber wenn er diesen gelesen hätte, würde er vermutlich nie mehr in meine Richtung blicken.

»Nein, habe ich nicht. Aber zufälligerweise habe ich gestern auch einen Spaziergang gemacht und eure kleine Gruppe am Strand ausgesehen. Ich weiß nicht, wie blind Bash sein muss, um nicht zu merken, dass du dich an ihn ranschmeißt.«

Ich schnaubte. Gott, ich hasste es, wenn er so vorwurfsvoll klang. Ich verstand es bis zu einem gewissen Grad – ja, meine Herangehensweise war nicht perfekt gewesen und ich hatte mich nicht annähernd so artikuliert, wenn ich noch einmal einen derartigen Brief geschrieben hätte. Aber es war theoretisch meine Sache. Mein Fehler. Ich hasste es, dass andere Leute sich immer in die Angelegenheiten anderer einmischten und die Fehler zu finden versuchten. Es war eine Sache, wenn man versuchte, konstruktiv zu sein, aber River war verbittert und er ließ es an mir heraus, was schmerzte. Denn ich hatte ihm nichts getan, was ihn auch nur annähernd hätte verletzen können.

Kiss Me On PaperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt