Bayreuth. Hans Neuenfels' Lohengrin fasziniert in Bayreuth das Publikum. Der Grüne Hügel feiert den Tenor Klaus Florian Vogt in der Titelrolle. Und ein begeistertes Publikum lässt sich die Inszenierung von Hans Neuenfels nicht niederbrüllen.

Die „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neuenfels spielt Bayreuth dahin, wo die Festspiele hingehören: in die Welt-Liga des Theaters. Im dritten Jahr erweist sich das Rattenrennen um die Macht im Lande Brabant als spannender denn je. Neuenfels und sein genialer Bühnenbildner Reinhard von der Thannen stellen mit ihrer Regie-Arbeit eine sehr komplexe Deutung zur Diskussion, die einerseits augenzwinkernd Wagners Erlösungs-Oper mit reichlich Humor anreichert, andererseits aber erschütternd aktuell ist.

Der „Lohengrin“ zeigt auch, dass man den Stab nicht voreilig über eine Bayreuther Produktion brechen sollte. Im ersten Jahr von Kritik und Publikum gleichermaßen in Grund und Boden verrissen, avancieren die Ratten inzwischen zum Besuchermagneten auf dem Grünen Hügel. Und die meisten Rezensenten haben ihr Urteil revidiert.

Annette Dasch und Klaus Florian Vogt als Sänger-Traumpaar

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Mit Annette Dasch als Elsa und Klaus Florian Vogt in der Titelrolle hat der Grüne Hügel sein Sänger-Traumpaar. Klaus Florian Vogt, dessen internationale Karriere eben mit dem Lohengrin (in Köln) begann, hat sich stimmlich unglaublich entwickelt. Sein Tenor besticht mit unvergleichlich edlem, hellen Timbre, die Stimme sitzt, und Vogt ist technisch so gut, dass er sie ganz in den Dienst der Emotionen stellen kann.

Aber die Stimme ist reicher geworden, voller, verfügt jetzt über mehr Farben, vor allem in den dunklen Regionen. Vogt ist nicht mehr der Strahlemann unter den Wagner-Helden, als Lohengrin ist er darstellerisch und vor allem stimmlich ein komplizierter Charakter, ein Heiland, der selbst erlösungsbedürftig ist und mit Gewalt nach Liebe sucht, die ihm unter den Händen zerbricht. Kein Wunder, dass der Beifall für den Tenor gar nicht aufhören wollte.

Hans Neuenfels schafft im Lohengrin eine Laborsituation

Annette Dasch ist eine Elsa mit einer höchst erotischen Mischung aus Unschuld und Leidenschaft im Sopran, ein schwer traumatisiertes Mädchen, das keine Chance erhält, aus seinen Phantasien und Ängsten heraus zur Frau zu wachsen. Hans Neuenfels stellt die beiden in eine Laborsituation. Man weiß nicht, wie die Geschichte ausgehen würde, wenn das Paar die Beziehung tatsächlich auf einer körperlichen Ebene realisieren könnte. So begegnen sich zwei tief verletzte und gestörte Persönlichkeiten, die von den Umständen zu einem Experiment gezwungen werden, das den Ausbruch aus ihrer Lage verheißt, an dem sie aber nicht unvorhersehbar scheitern.

Susan Maclean, die dunkel-glühende Ortrud, und Thomas J. Mayer, der als Telramund ein Schläger mit hinderlichem Gewissen ist, sind das Gegenpaar in der Versuchsanordnung. Sie fallen in ihrer Machtgier nicht aus der Rolle, aber sie versagen ebenfalls. Dafür gibt es im zweiten Akt ein prophetisches Bild: eine schwarze, umgestürzte Kutsche, vor der ein Pferdekadaver liegt.

Ist das jetzt Tim Burton oder Fritz Murnau?

Jüngere Besucher denken dabei an die Ikonographie des Filmregisseurs Tim Burton, ältere an Fritz Murnau. Nur Hans Neuenfels weiß, wer Recht hat. Andris Nelsons dirigiert das Festspielorchester mit viel Verve, aber erstaunlicherweise bei dieser Premiere ohne jedes Raffinement.

Neuenfels' Regiekonzept würde nicht funktionieren, hätte er nicht den besten Chor der Welt zur Verfügung. Der Festspielchor übernimmt die Hauptrolle in der Inszenierung. So ist es von Richard Wagner gewollt, und entsprechend werktreu setzt Neuenfels das um. Wir sehen brave Bürgerinnen und Bürger, die im Inneren Ratten sind, die als Masse bereit sind, jedem Heil zuzurufen, der ihnen die Erlösung verspricht, und denselben dann ans Kreuz zu schlagen, wenn öffentlich Meinung gegen ihn gemacht wird.

Am Ende fallen alle Masken, die Ratten werden zu Uniformierten, die bereitwillig einem neuen neuen Führer von Brabant huldigen.

Teile des Publikums hassen Hans Neuenfels inniglich

Neuenfels gelingt das Kunststück, eine Inszenierung zu schaffen, die gleichzeitig politisch und zutiefst menschlich ist, die aufrüttelt und bewegt, die einem aber auch den Spiegel vorhält. Dafür hassen ihn Teile des Publikums inniglich. Gottseidank haben inzwischen die Buh-Rufe auf offener Szene an den musikalisch herzberührenden Stellen aufgehört. Dafür entbrennt beim Schlussapplaus eine regelrechte Schlacht im Saal, wenn der Regisseur vor den Vorhang tritt.

Ein Wagnerianer zeigte sogar demonstrativ mit dem Daumen nach unten, als Neuenfels sich verbeugte. So verhängte der römische Kaiser Nero das Todesurteil über Gladiatoren. Das ist eine Geste von derart verräterischer Geisteshaltung, dass man sie eigentlich in die Inszenierung einbauen müsste. Gleichwohl lässt sich die Mehrheit ihre Begeisterung für diesen „Lohengrin“ nicht kaputt brüllen. Und auch das ist ein Erlebnis, das man nur in Bayreuth haben kann.