Gelsenkirchen. Den Präventionsrat beschäftigt erneut die Situation in der Neustadt. Zwischendurch läuft die Diskussion heiß. Manche Anwohner fühlen sich allein durch die Existenz der Straßenszene belästigt.

Es ist eine brisante Gemengelage, um die es hier geht. Menschen mit Problemen auf der einen Seite, Menschen, die diese Leute als Problem empfinden, auf der anderen. Keine Situation mit Alleinstellungsmerkmal, aber eine, die es auch in Gelsenkirchen zu lösen gilt. Im speziellen in der Neustadt, am Südeingang des Hauptbahnhofs.

Beliebter Treff einer Szene, von der sich Anwohner und Kaufmannschaft bedroht fühlen. Obwohl ihnen, wie beim Treffen des Präventionsrats am Donnerstagabend sehr schnell deutlich wird, nie jemand zu nahe getreten geschweige denn handgreiflich geworden ist. Im Gegenteil. Von guten Gesprächen, die sie und andere mit den Leuten geführt hätten, berichtet etwa Präventionsrats-Vorsitzende Silke Stecker ruhig und sachlich.

Sie müssen "ja irgendwo bleiben"

„Das sind ganz andere, die hier Probleme machen“, empört sich eine Anwohnerin, die es ganz entsetzlich findet, wie hier über diese Leute geredet wird. „Die sind substituiert, die würden keiner Fliege was zu Leide tun.“ Dennoch: Die Anwesenheit der Leute, die täglich ihre Methadon-Ration bekommen und sich dann am Bahnhof aufhalten, die stört Anwohner und Kaufleute. Weil es viele sind. Und nicht nur Gelsenkirchener. „Die Leute haben nach der Methadon-Beschaffung viel Zeit. Und zurück in die Szene wollen sie auch nicht“, merkt jemand an. Also, Treffpunkt Bahnhof.

Peter Horstmann, Psychiatriekoordinator der Stadt, sagt, warum nach seiner Einschätzung rund 100 Essener Bürger und etwa 50 Bottroper immer wieder nach GE kommen. „Es gibt in Essen mehr Methadon-Ambulanzen und weniger niedergelassene Ärzte, die Methadon-Patienten behandeln.“ Das sei in Gelsenkirchen genau umgekehrt. Man müsse den Menschen zugestehen, dass sie sich ihre Ärzte frei aussuchen können, wirbt jemand um Verständnis. Auch, „dass sie ja irgendwo bleiben müssen“, ist eigentlich allen beim gut besuchten Treffen im Philipp-Neri-Zentrum klar.

Die Situation entschärfen

Im Plenum sind neben zum Teil aufgebrachten Bewohnern so ziemlich alle Stellen vertreten, die sich des Problems annehmen: Polizei, Stadt, Streetworker, mobile Jugendarbeit. Suchtberaterin Munevera Ackermann, Leiterin des Kontaktzentrums, wirbt um Geduld, wenn die Diskussion hitzig wird und dabei die Wortwahl empörter Anwohner auch schon mal aus der Spur gerät. „Wir haben in Schalke vier Jahre gebraucht, um Ruhe rein zu bringen.“ Später wirft sie ein: „Sie werden es niemals hin kriegen, dass nirgends mehr einer steht. Aber wir versuchen, die Situation zu entschärfen.“ Aufgebracht sagt jemand: „Natürlich sind die Menschen arm dran. Aber, was glauben sie, wenn die am Preuteplatz stehen würden!“ Eine alte Dame bricht schließlich eine Lanze für den neuralgischen Punkt der Neustadt, wo sie und ihr Mann seit über fünf Jahrzehnten zu Hause sind. „Wir leben gerne hier.“

Über weite Strecken konzentriert sich die Diskussion in der Runde auf die Gruppe der Methadon-Substituierten. Dabei geht es beim Aufreger Bahnhofsszene um mehr als die Ersatzdroge für Abhängige. „Das Gesamtpaket der Probleme ist viel größer mit Jugendgruppen und Kriminalität“, ruft Silke Stecker in Erinnerung.Stadtteilkoordinator Uwe Gerwin bringt schließlich ins Gespräch, wie die Bewohner der Neustadt ihren Stadtteil positiv verändern könnten. „Wir müssen die Plätze bespielen und beleben.“ Hilfreich wären Stadtteilfeste, Familientreffen oder Flohmärkte.

540 Unterschriften auf einem Brief an den OB

In einem Brief, dem 540 Unterschriften von Bewohnern der Neustadt anhängen, fordert Präventionsrats-Vorsitzende Silke Stecker Oberbürgermeister Frank Baranowski dazu auf, die Missstände in Angriff zu nehmen „und eine Besserung der Situation noch vor Beginn der warmen Saison zu Ihrer Chefsache zu machen und sicher zu stellen, dass nachhaltig etwas passiert“. Mutige Vorschläge zur Teillösung der Probleme seien im Präventionsrat Neustadt gemacht worden. Wie Baranowski bekannt sein dürfte, heißt es in dem Schreiben, „ist die Sicherheit am Südausgang des Hauptbahnhofs und in der sich anschließenden Fußgängerzone bis über die Kreuzung Josefstraße hinaus gefährdet. Es handelt sich um überwiegend drei Gruppen, von denen sich Passanten, Anwohner und die Kaufmannschaft subjektiv bedroht fühlen.“

Stecker nennt Methadon-Substituierte, Substanz-Abhängige und Bettler, sowie immer häufiger hinzu kommende Jugendgruppen. Letztere würden nicht selten durch Gewalt und Kriminalität auffallen. Die CDU hatte zuletzt erneut für den Einsatz einer mobilen Polizeiwache geworben.