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Meinung Technologischer Wandel

Die Elterngeneration soll sich zurückziehen

Daughter ignoring father to use cell phone Daughter ignoring father to use cell phone
Quelle: Getty Images
Die Kluft zwischen den Generationen ist so groß wie nie, meint unser Gastautor. Weil die Generation der Eltern sehr viel Veränderungsdruck ausgesetzt ist, ist sie in Beharrung erstarrt. Sie ist der technologischen Innovation nicht gewachsen.

Junge Menschen mögen die Generation ihrer Eltern schon immer als beharrend und fortschrittsfeindlich erlebt haben. Doch die Kluft zwischen den Generationen ist derzeit größer, als sie es je war und in Zukunft je sein wird.

Das hat ein paar einfache Gründe.

Einen davon hat der Historiker und Schriftsteller Phillipp Blom einmal so formuliert: „Man kann Technologie nicht gebrauchen, ohne durch sie verändert zu werden, und zwar bis ins Innerste, Intimste verändert zu werden.“

Die Technologie verändert uns, die junge Generation, für die ein Handy kein technisches Gerät mehr ist, sondern Teil unserer Identität, viel stärker als unsere Eltern. Sie verändert unsere Sprache, unsere Art, die Welt wahrzunehmen, unser Denken, unseren Umgang miteinander und unser Fühlen. Wir verhalten uns nicht nur anders als unsere Eltern, wir sind ein anderes Modell Mensch.

Ein Modell, das unsere Eltern nicht mehr verstehen. Denn sie benutzen zwar ihre Handys, bewegen sich in den sozialen Medien, diskutieren über die digitale Zukunft und fordern dafür vielleicht sogar dieses und jenes. Eine Digitalisierung der Schulen, mehr Risikokapital für digitale Start-ups. Aber das ist nur Fassade. In Wirklichkeit erkennen sie die Welt, in der wir bestehen müssen, nicht mehr.

Sie befindet sich für sie hinter Glas, das matter und matter geworden ist, bis sie kaum noch ihre Umrisse erkennen konnten. Sie sind fast alle zu einem Modell Mensch geworden, das auf viel tiefgreifendere Art veraltet ist, als sie selbst es befürchten.

Unsere Eltern sind die letzte Generation, die Stillstand als normal erlebte

Nehmen wir die Beschleunigung. Während unsere Eltern dagegen ankämpfen, haben wir uns ihr angepasst. Wir sind zu eine Art „Homo Tempo“ geworden und leben deshalb am liebsten so, dass wir in allen Bereichen, sei es Wohnen, Autofahren oder die Liebe, immer kommen und gehen können, immer flexibel und offen für alles sind. Selbst wenn wir irgendwo oder bei irgendjemandem lange bleiben, verbessert das unser Grundgefühl. Besitzen ist für uns etwas, das wir gerne Besitzgesellschaften überlassen – wir wollen uns damit nicht aufhalten.

Ein anderer Grund für die historisch derzeit einmalig große Kluft zwischen den Generationen liegt in der Chronologie der Evolution: Auf keine Generation war der Druck der Veränderung je so groß wie auf die unserer Eltern, weshalb wohl auch keine als logische Gegenreaktion so starke Beharrungskräfte entwickeln musste. Unsere Eltern sind die ein für alle Mal letzte Generation, die in ihrer Kindheit und Jugend den Stillstand noch als Normalität erlebt hat und die sich deshalb so sehr danach zurücksehnt.

Nie hat sich früher etwas für sie verändert, und wenn doch, hatten sie jede Menge Zeit, sich daran zu gewöhnen. Von der Ausstrahlung der ersten Fernsehbilder mit Ton bis zur Ausstrahlung des ersten Fernsehtestbildes in Farbe vergingen mehr als 30 Jahre. Vom ersten GSM-fähigen Handy bis zum ersten Smartphone waren es gut 20 Jahre. Solange sie leben, werden sich unsere Eltern deshalb immer dort am wohlsten fühlen, wo alles bleibt, wie es ist.

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Digitale Realität
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Wir werden vielleicht später auch über bestimmte Dinge sagen: Ach, erinnerst du dich? Erweiterte Realität. Blockchain. Oder die ersten Versuche zur Stimmungserkennung aus der Stimme. Das alles wird uns ein Lächeln abringen. Aber wir sind schon in einer dynamischen Welt aufgewachsen und werden uns immer am ehesten dort wohlfühlen, wo sich ständig alles ändert.

Klar, dass diese Kluft fatale Missverständnisse bewirkt. Zum Beispiel halten uns unsere Eltern gerne für demotiviert, leistungsfeindlich und politisch uninteressiert. Die Wahrheit ist, dass wir nur demotiviert sind, uns in ihrer Welt mit ihren Maßstäben messen zu lassen, dass wir keine Lust auf ihre Vorstellung von Leistung haben, die immer etwas mit Unterordnen und sinnlosen Regeln zu tun hat, und dass wir uns zwar für Politik, nicht aber für ihre Version davon interessieren.

Der Rückzug wehrt nicht lange

Bei unseren Eltern nach ihren Regeln mitzuspielen, macht für uns so viel Sinn, wie auf einem sinkenden Fischkutter unter strenger Aufsicht die Planken zu schrubben, statt auf dem modernen Schiff, das gerade für die Fahrt in ein spannendes Abenteuer ablegt, einen Platz unter Gleichgesinnten zu finden.

Uns bleiben in dieser Situation nicht viele Möglichkeiten.

Wir können die Alten meiden und uns in unsere Welt zurückziehen. Wenn sie dann zum Beispiel eines unserer sozialen Medien infiltrieren wie Facebook, ziehen wir weiter zum nächsten, bis sie nicht mehr nachkommen. Schließlich hat es schon immer den Spaß verdorben, wenn die Alten zu den Partys der Jungen gekommen sind, und die derzeitigen Alten haben auch noch das Problem, dass sie 40 für das neue 20 und 50 für das neue 30 halten.

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Doch die Strategie des Meidens funktioniert nicht. Es entstehen dabei nur digitale Elfenbeintürme voller junger Menschen, die Potenzial haben, deren Kreativität aber mangels Umsetzungsmöglichkeiten verkümmert. Denn über die Ressourcen an Geld, Einfluss und Kontakten, die High Potentials zu High Flyern machen, verfügen die Alten.

Wir können auf die Straße gehen, so wie im Rahmen der Fridays for Future. Doch auch diese Strategie ist fragwürdig. Denn unsere Eltern finden die Demos für das Klima bloß süß und ihre Anführer sympathisch. Sie laden sie in ihre Runden ein und präsentieren sie als neue Gesichter in ihren alten Medien. Die vermeintlich beschränkte junge Generation kann doch für etwas brennen, denken sie und hoffen, dass sie als Nächstes doch noch für ihre Sache brennt. Hinter Greta Thunberg stehen so also im Grunde auch wieder die Alten.

Unsere Eltern haben den Anschluss verloren

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Doch etwas müssen wir tun. Denn die Reaktion der Alten auf die Veränderung der Welt ist verhängnisvoll. Sie besteht darin, getrieben von Dystopien statt von Utopien zu bewahren, was sie kontrollieren können. Selbst wenn es das Klima zerstört. Selbst wenn es ein neues globales Gefüge des friedlichen Miteinanders verhindert. Selbst wenn es diesen Planeten um Jahrzehnte zurückwirft und womöglich unwiderruflich beschädigt.

Ich fordere die Generation unserer Eltern deshalb auf, sich zurückzuziehen oder ihren Rückzug jetzt vorzubereiten. Sie müssen ihre Positionen, welche auch immer das sind, jemandem von uns, also jemandem aus der jungen Generation, überlassen und selbst beratende Funktionen im Hintergrund einnehmen.

So wäre es angesichts dessen, was die digitale Revolution schon gebracht hat und was sie in Zukunft noch bringen wird, für sie selbst, für uns, für die Gesellschaft und für den ganzen Planeten am besten. Denn unsere Eltern haben den Anschluss an den technologischen Wandel, der alle Lebensbereiche durchdringt, verloren.

Sie sollten sich darauf besinnen, dass alles, was wir noch von ihnen brauchen, ihre Erfahrung ist. Die können sie einbringen. Denn es ist auch für uns wichtig zu wissen, woher wir kommen. Wer das weiß, kann fantasievoller über die Zukunft nachdenken.

Sie sollten sich auch auf etwas besinnen, das Daenerys Targaryen, eine der Hauptfiguren der Serie „Game of Thrones“, in deren letzter Staffel sagt und mit dem sie recht hat, obwohl sie sich am Ende als ziemliches Scheusal entpuppt: „Die Welt, die wir brauchen, werden nicht jene erbauen, die die Welt, die wir haben, stützen.“

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WamS

Vom Autor, geboren 1994, ist gerade erschienen „Die Welt, die ihr nicht mehr versteht – Inside digitale Revolution“. Vor einigen Jahren rief er das Start-up Challenge Austria ins Leben, das jungen Menschen das Unternehmertum näherbringt. Derzeit arbeitet er an der Entwicklung einer eigenen Universität.

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