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  3. Bundesanleihe: Warum so viele Anleger bei den niedrig verzinsten Schuldscheinen zugreifen

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Trotz 30 Prozent Verlust – Darum wollen alle die deutsche Anleihe

Finanz-Redakteur
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Am Ende bleibt vom Investment nur weniger übrig
Quelle: Getty Images/fStop
Der Bund hat wieder neue Schuldscheine herausgegeben. Die Nachfrage ist riesig. Dabei gibt es gerade einmal 1,1 Prozent Zinsen pro Jahr und auf lange Sicht droht sogar ein dickes Minusgeschäft. Es muss also einen anderen Grund geben.

Nur die Hälfte kam zum Zug. Die anderen Interessenten gingen leer aus, als der Staat vor einigen Tagen mal wieder neue Schuldscheine herausbegab. Rund doppelt so viel Geld wie benötigt hätte sich der Fiskus leihen können, so groß war die Nachfrage der Investoren nach den Bundesanleihen. 30 Jahre laufen diese und bringen 1,1 Prozent Zinsen pro Jahr.

1,1 Prozent – das klingt für die meisten geplagten Tagesgeldanleger zunächst mal gar nicht so schlecht. Die meisten davon müssen sich mit exakt null Prozent begnügen, allenfalls bei zeitlich begrenzten Lockangeboten gibt es noch etwas mehr. Doch wenn man genau nachrechnet, dann sind die 1,1 Prozent nichts anderes als ein riesiges Verlustgeschäft für die Anleger. Und es stellt sich die Frage: Warum machen sie das? Warum kaufen sie diese Papiere?

Die Verzinsung muss nämlich ins Verhältnis zur Inflationsrate gesetzt werden. Diese lag in Deutschland im August bei genau zwei Prozent. Dieser Wert entspricht fast dem Ziel der Europäischen Zentralbank, die eine Inflationsrate von unter zwei Prozent anstrebt. Realistischerweise muss ein Anleger also davon ausgehen, dass die Geldentwertung in den kommenden drei Jahrzehnten auch ungefähr in diesem Tempo voranschreitet.

Somit bleibt eine Lücke von mindestens 0,9 Prozentpunkten jährlich zwischen der Verzinsung der 30-jährigen Bundesanleihen und der Inflationsrate – Jahr für Jahr wird das investierte Geld also fast ein Prozent weniger wert. Und das über einen ziemlich langen Zeitraum. Was sich bemerkbar macht am Ende. Denn innerhalb von drei Jahrzehnten summiert sich diese Differenz zwischen erwarteter Inflation und Zinssatz grob gerechnet auf einen Verlust von fast 30 Prozent. Zumindest wenn die Preissteigerung in diesem Rahmen bleibt. Und zwar garantiert.

„Einer der besten Schuldner weltweit“

Dennoch reißen sich die Investoren geradezu um die Anlagepapiere. Und für Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel, gibt es dafür durchaus nachvollziehbare Gründe. „Offensichtlich gehen die Käufer lang laufender Bundesanleihen – in der Regel institutionelle Anleger – davon aus, dass das Zinsniveau auf den aktuell historisch niedrigen Niveaus verharren wird“, sagt er.

Warten bringt ihnen also nichts, und da diese Investoren stete Geldzuflüsse haben – beispielsweise aus den Beiträgen für Lebensversicherungen oder Pensionsfonds –, müssen sie das Geld irgendwie anlegen. Aktien wiederum scheiden für die meisten aus, entweder aufgrund von regulatorischen Beschränkungen oder weil sie das Risiko scheuen.

Und damit kommt auch der zweite Grund ins Spiel. „Der deutsche Staat ist nach wie vor einer der besten Schuldner weltweit“, sagt Mumm. Nur noch wenige Länder verfügen wie Deutschland über die Bonitätsnote AAA der großen Ratingagenturen – die bestmögliche Note. Pleite praktisch ausgeschlossen, bedeutet dies. Das lässt gerade auch viele Investoren aus dem Ausland zugreifen, denn in ihren jeweiligen Heimatländern sieht das oft wesentlich problematischer aus.

Bestes Beispiel dafür ist Italien. Seitdem dort die neue Regierung gebildet wurde, sind die Renditen für italienische Staatsanleihen deutlich gestiegen. Am Finanzmarkt wächst die Angst, dass Rom die Neuverschuldung deutlich ausweitet und der Schuldenberg des südeuropäischen Landes bald unbeherrschbar wird. Für Anleihen mit 30-jähriger Laufzeit gibt es dort folglich inzwischen wieder satte 3,5 Prozent – das ist weit mehr als die Inflationsrate.

Verlust bei Sparbüchern und Tagesgeldkonten

Dafür kaufen sich die Investoren aber eben das Risiko ein, dass sie in 30 Jahren vielleicht gar nichts mehr von ihrem investierten Geld zurückerhalten. Ein garantiertes Minus von 30 Prozent bei deutschen Anleihen steht somit einem Risiko eines Totalverlustes bei italienischen gegenüber – für viele ist da die Entscheidung offensichtlich klar.

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Und letztlich handeln die institutionellen Investoren damit nur genau so, wie es die privaten Anleger tun. Denn auch diese schaufeln ihr Erspartes weiter unermüdlich auf Sparbücher und Tagesgeldkonten, obwohl sie hier real, also nach Abzug der Inflation, deutliche Verluste erleiden.

Die Betreiber der Internetseite Tagesgeldvergleich.net haben ausgerechnet, wie hoch diese ungefähr sind. Basierend auf den Daten der Deutschen Bundesbank, kommen sie auf einen Kaufkraftverlust des in Zinsprodukten bei Banken angelegten Geldvermögens deutscher Sparer von 90 Milliarden Euro seit 2011. In jüngster Zeit hat sich dieser Trend sogar noch einmal deutlich verschärft. So habe der Verlust 2017 allein bei rund 32,3 Milliarden Euro gelegen, und für das erste Halbjahr 2018 summierte er sich auf 16,9 Milliarden.

Selbst wer in den vergangenen fünf Jahren sein Geld jederzeit bei einem der Top-fünf-Tagesgeldanbieter angelegt hatte, brachte es in diesem Zeitraum bei einer Anlage von 10.000 Euro gerade mal auf eine Rendite von 10,68 Euro nach Abzug der Inflation. Das ist zwar immerhin noch ein Plus, dieses beträgt jedoch gerade mal 0,1 Prozent. Und dazu hätte der Sparer diverse Male die Bank wechseln müssen, was wahrscheinlich mit Kosten verbunden gewesen wäre, die deutlich über zehn Euro gelegen hätten.

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Doch trotz dieser trostlosen Lage legen die Sparer immer weiteres Geld auf die verlustbringenden Tagesgeldkonten – ganz wie die institutionellen Anleger, die 30-jährige Bundesanleihen kaufen. Rund 100 Milliarden Euro schafften die Deutschen im vergangenen Jahr zusätzlich auf Sparbücher oder Tagesgeldkonten oder behielten das Geld gleich in bar. Der Anteil dieser Sparformen macht inzwischen rund 40 Prozent des Vermögens der Deutschen aus.

Die große Frage ist, ob die Anleger – ob privat oder institutionell – über kurz oder lang wieder mit höheren Zinsen rechnen können. Doch die Aussichten darauf sind trübe. Am 13. September hat die Europäische Zentralbank zwar bekräftigt, dass sie zum Jahresende die Anleihenkäufe einstellen will. Doch mit einer ersten Zinserhöhung ist frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres zu rechnen – und diese würde dann wohl den Einlagenzins betreffen.

Dieser gilt für Banken, die Geld bei der EZB parken. Er liegt derzeit bei -0,4 Prozent. Erst müsste er wieder positiv werden, dann würden wohl die Leitzinsen erhöht, und dann, viele Monate oder gar Jahre später, können auch Anleger wieder damit rechnen, echte Zinsen zu verdienen. Gute Aussichten sind das jedenfalls nicht.

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