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Geschichte Wettlauf mit dem Tod

Erster Spaziergänger im All kämpfte ums Überleben

Am 18. März 1965 wagte der Russe Alexei Leonow den ersten Weltraumspaziergang. Erst viel später wurde klar: Was als Weltsensation verkauft wurde, war in Wahrheit ein Wettlauf mit dem Tod.
Am 18. März 1965 ließen die Sowjets erstmals eine Live-Schaltung ins All zu. Kosmonaut Alexei Leonow gab sich als neuer Stern. Dass er um sein Leben kämpfte, sah man nicht Am 18. März 1965 ließen die Sowjets erstmals eine Live-Schaltung ins All zu. Kosmonaut Alexei Leonow gab sich als neuer Stern. Dass er um sein Leben kämpfte, sah man nicht
Am 18. März 1965 ließen die Sowjets erstmals eine Live-Schaltung ins All zu. Kosmonaut Alexei Leonow gab sich als neuer Stern. Dass er um sein Leben kämpfte, sah man nicht
Quelle: Getty Images

Die Stimme aus dem All klang verzweifelt. „Ich schaffe es nicht“, drang es am 18. März 1965 aus den Lautsprechern der Bodenkontrolle in der Nähe von Moskau, „es geht nicht.“ Alexei Leonow, 31-jähriger Astronaut, kämpfte dort oben, in 400 Kilometer Höhe, um sein Leben. Er versuchte, durch die enge Luke ins Raumschiff zurückzukehren, das er 12 Minuten zuvor verlassen hatte. Doch der Einstieg in die „Woschod 2“-Kapsel war zu eng, viel enger als beim Ausstieg, den Leonow bequem hatte meistern können. Auch beim Training am Boden wenige Tage zuvor war alles planmäßig verlaufen.

Doch hier stand er nicht auf der Erde, Leonow schwebte im Orbit. Der erste Mensch überhaupt, der sich – knapp vier Jahre nach Beginn der bemannten Raumfahrt – aus seiner Sonde hinaus ins All getraut hatte, ins Nichts, allein, umgeben nur von seinem Anzug. Beim „Weltraumspaziergang“, wie man damals, in den 60er-Jahren, sagte. Nicht nur die Gravitation lag dort draußen nahe null, auch der Luftdruck. Doch jetzt ging es erst einmal um das Leben Leonows. Kam er nicht mehr ins Raumschiff zurück, war er verloren im All, „lost in space“.

Ob kopfüber oder mit den Beinen zuerst, „es geht nicht“, klagte er immer wieder in das Mikrofon. Sein Raumanzug war aufgeblasen, in der Linken hielt er auch noch eine unhandliche Kamera. Natürlich wollte er sie nicht aufgeben. Würde er sie ins All trudeln lassen, wären all die einmaligen Bilder verloren, von den Sternen, mit dem Raumschiff im Vordergrund. Die Mission von „Woschod 2“ war nicht nur wegen Leonows Weltraumspaziergang ein Novum in der sowjetischen Raumfahrt.

Alle vorherigen Missionen hatte die Sowjetführung bis zur glücklichen Rückkehr als Staatsgeheimnis behandelt. Nun war sie zum ersten Mal überhaupt vorab an die Weltöffentlichkeit gegangen, sendete im Radio sogar Live-Übertragungen aus dem Weltraum. Und dann das. „Es geht nicht.“ Die Radiostationen unterbrachen die Übertragung.

Sergei Koroljow (1907-1966), genialer Cheftechniker des sowjetischen Raumfahrtprogramms
Sergei Koroljow (1907-1966), genialer Cheftechniker des sowjetischen Raumfahrtprogramms
Quelle: picture-alliance / dpa

Da hatte Sergei Pawlowitsch Koroljow, der geniale Mastermind hinter dem sowjetischen Raumfahrtprogramm, offenbar seinen ersten großen Fehler gemacht. Einen Denkfehler, den eigentlich jeder, der über physikalisches Grundwissen verfügt, hätte vermeiden müssen. Doch Sergei Pawlowitsch war ein gehetzter Mann. Bisweilen fehlte ihm, der sechs Jahre im Gulag hatte arbeiten müssen, dessen Name und Gesicht außerhalb der Nomenklatura der sowjetischen Raumfahrt kein Mensch kennen durfte, die Zeit zum Nachdenken.

Kein ganzes Jahr später sollte er sterben, das Herz machte nicht mehr mit.

Es war die heiße Phase im Wettlauf zum Mond. Der Startschuss war im Oktober 1957 gefallen, mit der ersten Raumsonde, dem sowjetischen Sputnik 1. Die USA hatten die Herausforderung angenommen. Wernher von Braun, der mit seinem deutschen Team aufseiten der USA über ein Jahrzehnt auf der Reservebank warten musste, wurde wenig später in die Spur geschickt.

Doch die sowjetische Seite, mit dem verdeckt agierenden Koroljow, feierte auch nach dem Sputnik zunächst einen Etappensieg nach dem anderen, bis Mitte der 60er-Jahre: das erste Lebewesen im All (der Straßenhund Laika); die erste Sonde, die das Schwerefeld der Erde verließ; die erste Rakete, die auf dem Mond aufschlug; die ersten Fotos von der Rückseite des Mondes, der erste Astronaut im All, Juri Gagarin.

Koroljow begann seine Weltraum-Planungen wie Wernher von Braun nach dem Krieg, den er fast vollständig im Straflager verbringen musste, mit der Begründung, er habe mit Raketen ein Attentat auf Stalin verüben wollen. Kurz nach seiner Entlassung versuchte auch er, im besiegten Deutschland Ingenieure zu rekrutieren, die für Hitler die V2-Rakete entwickelt hatten.

Ein Himmelfahrtskommando nach dem anderen

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Auch er wurde zwar fündig, holte ein Team um Helmut Gröttrup in die Sowjetunion, doch man ließ die Deutschen nicht zur Entfaltung kommen, aus Angst vor zu großer Abhängigkeit. Und sowieso waren da die führenden Experten um von Braun längst in den USA.

Seit der zweiten Hälfte der 50er-Jahre war es vor allem Nikita Chruschtschow, der Koroljow zur Eile antrieb, zu einem Himmelfahrtskommando nach dem anderen. Der sowjetische Parteichef – ab 1958 auch Regierungschef – machte dem Leiter des Raumfahrtprogramms das Leben schwer bei der systematischen Entwicklung von Raketen und Raumschiffen für die Mondlandung. Immer wieder zwang er ihn zu neuen Rekordleistungen, die, wie man heute weiß, wenig zielführend waren und lediglich hohen symbolischen Wert hatten.

So war es auch, als Ende 1963 amerikanische Zeitungen vom anstehenden Gemini-Programm der Nasa berichteten, bei dem erstmals zwei Astronauten in einem Raumschiff fliegen sollten. Chruschtschow befahl ultimativ: Die sowjetische Raumfahrt habe umgehend eine Sonde für drei Kosmonauten zu konstruieren, „spätestens bis zum nächsten Jahrestag der Oktoberrevolution“.

Auch Koroljow hegte die Vision von Dreierkapseln, die für eine Mondlandung schließlich auch benötigt werden würden. Doch würden die erst nach drei oder vier Jahren einsatzbereit sein. Andererseits hatte er wenig Lust, strafversetzt zu werden, womöglich wieder in ein Lager. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als drei Männer in die alte, bewährte, aber einsitzige „Wostok“-Sonde zu pressen, ohne Schleudersitze, die bisher zur Landung gedient hatten. Auch ohne die voluminösen Raumanzüge, es durfte eben nichts schiefgehen.

Um das Neue herauszustellen, wurde das Raumschiff umbenannt, aus „Wostok“ wurde „Woschod“. Die drei Kosmonauten – und Koroljow – hatten Glück, alles verlief planmäßig bei ihrem Flug am 12. Oktober 1964, bis hin zur sehr harten Landung.

Keine Begeisterung für den Sternenhimmel

Der 13. Oktober, Tag der Rückkehr von „Woschod 1“, war zwar der letzte Tag von Chruschtschows Herrschaft. Am 14. übernahm Leonid Breschnew die Macht, der die Rekordjagd seines Vorgängers im All als ein weiteres Beispiel für dessen wachsende Willkürherrschaft anprangerte. Breschnew einigte sich mit Koroljow nun zwar schnell auf eine vernünftige, langsamere Gangart, und auch darauf, Roboter statt Kosmonauten auf den Mond zu schicken, die Spielregeln im „Space Race“ zu ändern.

Doch als dann wiederum in US-Zeitungen zu lesen war, dass die Nasa einen Weltraumspaziergang für den Juni 1965 plante, da fühlten sich die Verantwortlichen in Moskau und am Weltraumstartplatz in Baikonur doch wieder herausgefordert. Schnell war klar: Leonow sollte den Amerikanern zuvorkommen.

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Am 18. März 1965 startete „Woschod 2“, mit den beiden Kosmonauten Leonow und Pawel Beljajew. Einziger Betriebszweck: der Weltraumspaziergang und ein paar Fotos und Filme zu seiner Dokumentation. Im Orbit angekommen, stieg Leonow durch eine röhrenförmige Luftschleuse sofort aus, ohne Probleme. Die Außenbordkamera konnte er noch erfolgreich an der Außenhülle anbringen. Doch schon als er die Kamera, die an seiner Brust fixiert war, einschalten wollte, konnte er den Knopf an seinem Bein nicht mehr erreichen.

Sein Anzug hatte sich aufgebläht und versteift, durch den Sauerstoff innen und das völlige Vakuum außen. Koroljow hatte den Effekt offenbar nicht beachtet, zumindest unterschätzt. Leonow konnte sich nur unter großen Anstrengungen bewegen. Für das einzigartige Panorama, den Sternenhimmel, den so zuvor noch niemand gesehen hatte, konnte er sich nur wenig begeistern.

Als Koroljow wieder einsteigen wollte, wurden die Probleme massiv. Er passte nicht mehr durch die Luke. Auf keinen Fall würde er es mit den Füßen zuerst schaffen, was aber nötig war, um danach die Außenluke zu schließen, bevor Beljajew von innen die zweite Luke würde öffnen können. Wenn er aber mit dem Kopf zuerst einstieg, wie sollte er sich in der 1,20 Meter breiten Röhre umdrehen?

So glücklich schaute Alexei Leonow nur für die Kollegen aus der Propaganda-Abteilung
So glücklich schaute Alexei Leonow nur für die Kollegen aus der Propaganda-Abteilung
Quelle: picture-alliance / dpa

Vor wenigen Jahren erzählte Leonow, er habe eine Selbstmordpille dabeigehabt für den Fall, dass er es, aus irgendwelchen unvorhergesehenen Gründen, nicht mehr zurückschaffen würde, ein absoluter Einzelfall, wenn man allen übrigen Raumfahrern glauben darf. Aber Leonow brauchte sie nicht.

Die Ursache des Problems war ihm natürlich klar, und so wagte er es schließlich, an einem Schraubverschluss die nötige Menge Sauerstoff abzulassen. Was ihn nicht nur der Gefahr der Dekompression aussetzte wie ein zu schnell aufgestiegener Flaschentaucher. Es musste nun auch schnell gehen, sollte ihm nicht die Atemluft ausgehen. Es klappte, sogar die Rolle rückwärts in der so engen Luftschleuse. „Keine Ahnung, wie ich das fertig gebracht habe“, sagte er hinterher. Damit war das erste der großen Abenteuer der Mission Woschod 2 überstanden, das himmlische. Das irdische folgte am nächsten Tag.

Eigentlich sollte die Raumkapsel in der Steppe Kasachstans niedergehen, doch die automatische Steuerung versagte, Kommandant Beljajew musste das Bremsmanöver im Orbit und auch die anschließende Landung von Hand erledigen – es war das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt, eine erneute Pionierleistung.

Doch Beljajew konnte nicht einfach den Steuerknüppel in die Hand nehmen. Die Enge in der Sonde und die Anordnung der Sichtfenster zwangen ihn dazu, sich erst einmal abzuschnallen, sich zu orientieren, um dann die Steuerungsraketen zu bedienen, bei einer Geschwindigkeit von 28.000 Stundenkilometern – und schon war er 2000 Kilometer übers Ziel hinausgeschossen.

Die Ausläufer des Ural waren noch tief verschneit, als Leonow und Beljajew am 19. März 1965 gegen Mittag etwa 60 Kilometer nordwestlich der Stadt Berenski landeten, damals noch ein Gebiet weitläufiger Nadelwälder. Über Kurzwelle konnten sie dies an die Bodenstation morsen, und nach vier Stunden hatte sie ein Hubschrauber geortet. Doch er konnte in der dicht bewachsenen Taiga nicht landen. Zwei Nächte mussten beide in der Kälte ausharren, Wölfe heulten in der Nähe. Erfolglos versuchten sie, ein Feuer im Schnee anzuzünden.

Im Juni 1965 spazierte Edward White als erster Amerikaner durch den Weltraum. Sein Team wiederholte den Fehler Leonows nicht
Im Juni 1965 spazierte Edward White als erster Amerikaner durch den Weltraum. Sein Team wiederholte den Fehler Leonows nicht
Quelle: picture alliance / akg-images

Die Armee versorgte die beiden mit Lebensmitteln aus der Luft, auch bekamen sie Besuch von Fallschirmspringern auf Skiern. Doch erst als die angerückte Sowjetarmee eine gute Strecke entfernt einen Hubschrauberlandeplatz roden konnte und die Kosmonauten sich mit ebenfalls abgeworfenen Skiern dorthin durchgeschlagen hatten, war die Mission „Woschod 2“ beendet.

Es war der 21. März. Anschließend legte die Sowjetunion eine zweijährige Pause in der bemannten Raumfahrt ein, auf Befehl von Breschnew. Koroljow starb am 14. Januar 1966.

Bleibt noch nachzutragen, das auch ein Nasa-Astronaut, Edward White, tatsächlich im folgenden Juni einen Weltraumspaziergang durchführte. Ohne die Probleme, denen Leonow ausgesetzt war. Die Kapsel von Gemini 4 war vor Whites Ausstieg komplett dekomprimiert worden, beide Astronauten hatten ihre Raumanzüge angezogen. Innen und außen herrschten die selben Druckverhältnisse, so dass sich Whites Anzug draußen nicht aufblähte. Obwohl die Amerikaner keine Ahnung hatten, was Leonow widerfahren war, daraus nicht lernen konnten.

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