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Geschichte Gaulands umstrittener Satz

Was sind die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“?

Alexander Gaulands Satz zum Stolz „auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ sorgt für Empörung. Gibt es für Deutsche heute das Recht, darauf stolz zu sein? Die Analyse eines Halbsatzes, der von AfD-Anhängern bejubelt wurde.
Leitender Redakteur Geschichte
Alexander Gauland Alexander Gauland
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland verwendet mit seinem umstrittenen Satz ein klassisch rechtsextremistisches Argument
Quelle: dpa

Der Satz lässt den Atem stocken: „Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Alexander Gauland sagte diesen Satz am 2. September 2017 auf dem Kyffhäuser-Treffen der AfD-Gruppierung „Der Flügel“ in Nordthüringen, der wichtigsten Zusammenkunft der völkisch-neonazistischen Gruppierung der Rechtspopulisten.

Abseits der NPD sind solche Aussagen in der bundesdeutschen Politik bisher kaum dokumentiert. Der Spitzenkandidat und sehr wahrscheinlich künftige Fraktionsvorsitzende im Bundestag Gauland verwendet nämlich ein klassisch rechtsextremistisches Argument.

Für die Frage, ob Deutsche heute „das Recht“ hätten, auf die „Leistungen deutscher Soldaten“ im Ersten und im Zweiten Weltkrieg „stolz“ zu sein, spielt zunächst überhaupt keine Rolle, worauf Franzosen und Briten stolz sind. Aber selbst wenn man diesen schiefen Vergleich ziehen wollte (denn Vergleichsverbote sind Unsinn, im Gegensatz zu berechtigten Warnungen vor Gleichsetzungen), zeigt sich: Es ist ein reines Ablenkungsmanöver.

Denn „die Franzosen“ sind heute nicht stolz auf den Kriegsherrn und Eroberer, der Napoleon ohne Frage auch war, wenngleich letztlich erfolglos. Sondern auf den Reorganisator der Nation, der um 1800 die Wirren der Revolutionszeit beendete. Der mit dem Code civil das erste moderne bürgerliche Recht einführte und die ehemals feudalen Strukturen durch eine (mehr oder weniger) rationale Verwaltungsgliederung ersetzte.

Der britische Admiral Horatio Nelson wiederum war ein Held der Napoleonischen Kriege, der seine gesamte Dienstzeit auf Schiffen der Royal Navy verbrachte. Er dürfte zu den am wenigsten problematischen Vorbildern der Militärgeschichte gehören.

Gaulands Ablenkungsmanöver

Winston Churchill schließlich ist für Briten heute wichtig, weil der Kriegspremier (im Amt von Mai 1940 bis Juli 1945) durch seinen schieren Willen die aggressive und massenmörderische Dynamik des damaligen Hitler-Deutschlands in Schach hielt. Ohne Churchill wäre ein Triumph des Nationalsozialismus sogar wahrscheinlich gewesen – mit unabsehbaren, noch viel größeren Verbrechen als dem Holocaust und dem Vernichtungskrieg in Ost- und Südosteuropa.

Aber ohnehin handelt es sich bei den Verweisen auf Frankreich und Großbritannien nur um Ablenkungsmanöver. Denn eigentlich geht es Gauland in seiner komplett auf Video dokumentierten Rede um etwas anderes: um „die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.

Schon vor der besonders kritischen Stelle deutet er das an, wenn er auf die Affäre um ein zeitweise abgehängtes Foto des späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt als Wehrmachts-Soldat in der nach ihm benannten Universität der Bundeswehr verweist. Das war in der Tat eine ziemlich idiotische Aktion, die zu Recht rasch revidiert wurde.

Gauland empört mit Wehrmachts-Aussagen

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland empört mit Aussagen über die Geschichte Deutschlands und die Taten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Man solle stolz auf die Leistungen sein können.

Quelle: N24

Die entscheidende Frage ist jedoch: Können Deutsche heute „stolz“ sein auf „die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“? Es lohnt sich, diesen Halbsatz, der von den AfD-Anhängern beim Kyffhäuser-Treffen mit mehr als einer halben Minute Jubel und Rufen wie „Gauland! Gauland!“ quittiert wurde, genauer zu betrachten.

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Zunächst: „Stolz“. Unbestritten ist dieses Gefühl eine Grundemotion des Menschen. Es bedeutet Zufriedenheit mit Erreichtem und Hochachtung dafür. Jedoch erklärte der damalige Bundespräsident Johannes Rau 2001: „Man kann nicht stolz sein auf etwas, was man selber gar nicht zustande gebracht hat. ... Stolz ist man auf das, was man selber zuwege gebracht hat.“ Schon deshalb ist Gaulands Behauptung falsch, heutige Deutsche hätten ein „Recht“, darauf „stolz“ zu sein, was deutsche Soldaten vor rund 100 und vor rund 75 Jahren erreichten.

Doch diese bereits falsche Behauptung ist gar nicht das Hauptproblem. Denn was sind die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“? Sowohl 1914 wie 1939 waren deutsche Truppen, erst des kaiserlichen Heeres, dann der Wehrmacht, unbestritten die Angreifer. Der Erste Weltkrieg fand fast ausschließlich auf fremdem Territorium statt, der Zweite Weltkrieg zu rund 90 Prozent seiner Dauer. Beide Konflikte waren von deutscher Seite aus als Eroberungskriege konzipiert.

Für Spekulationen über „Präventivkrieg“ gibt es keinerlei Spielraum

Während es für den Ersten Weltkrieg durchaus Gründe gibt, die Verantwortung für die Eskalation zumindest auch beim Hauptgegner Frankreich zu suchen, so ist die Situation beim Zweiten Weltkrieg doch völlig eindeutig: Es handelte sich um eine reine Aggression Hitlers. Für irgendwelche Spekulationen über einen „Präventivkrieg“ oder Ähnliches gibt es keinerlei Spielraum.

Entsprechend steht es auch im seit 1982 geltenden Traditionserlass der Bundeswehr, der gegenwärtig gerade auf Initiative der amtierenden Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) überarbeitet wird: „Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.“

Die Wehrmacht als Organisation gehört ebenso wenig zur Tradition der Bundeswehr wie die Waffen-SS. Denn die Führung der Wehrmacht, also im Wesentlichen das höhere Offizierskorps, ermöglichte der nationalsozialistischen Staatsführung ihre grausamen Aggressionskriege. Polen wurde rund fünf Jahre lang besetzt und geplündert, jeder fünfte Pole wurde ermordet oder starb an den Folgen der Besatzungsherrschaft.

Im Zuge des deutsch-sowjetischen Krieges, von der Wehrmacht auf Weisung Hitlers am 22. Juni 1941 begonnen, um „Lebensraum im Osten“ zu erobern, kamen mehr als 25 Millionen Menschen ums Leben.

1941 – Das Unternehmen Barbarossa

Am 22. Juni 1941 brachen drei Millionen deutsche Soldaten auf, um "Lebensraum" zu erobern. Nach Hitlers Willen sollte der Russlandkrieg von Anfang an ein "anderer" Krieg, ein Vernichtungskrieg, sein.

Quelle: STUDIO_HH

In Jugoslawien waren es mehr als anderthalb Millionen, in Griechenland ungefähr jeder Zehnte. Soll man als heutiger Deutscher darauf etwa „stolz“ sein?

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Wie ist es nun mit individuellen Leistungen von Wehrmachtssoldaten? Je nachdem, wie man rechnet, gehörten 1939 bis 1945 zwischen 17 und 19 Millionen Männer (sowie wenige Frauen) zu den deutschen Streitkräften. Natürlich waren sie nicht alle Mörder, im Gegenteil: Die allermeisten von ihnen taten ihre Pflicht.

Die besten Forschungen dazu, begonnen infolge des Streits über die sogenannte Wehrmachtsausstellung vor rund zwei Jahrzehnten, ergaben relativ eindeutige Zahlen: Rund 250.000 deutsche Soldaten waren handgreiflich an Kriegsverbrechen und dem Holocaust beteiligt. Selbst wenn man diese Zahl verdoppelt, um mögliche Dunkelziffern einzubeziehen, bedeutet das: 95 Prozent der deutschen Soldaten waren eben keine Kriegsverbrecher – abgesehen von der allgemeinen Feststellung, dass sie in einem verbrecherischen Krieg kämpften, wofür sie aber nichts konnten.

Militärischer Widerstand soll heute Werte vermitteln

Natürlich gab es aber individuelle Leistungen von Soldaten, etwa von besonders erfolgreichen Jagdfliegern oder Panzerkommandeuren, die besonders viele Gegner abgeschossen haben. „Stolz“ sein kann man als Deutscher heute darauf aber nicht, denn erstens haben die Leistungen nichts zu tun mit der Gegenwart, und zweitens erfolgten sie eben in einem verbrecherischen Krieg.

Dagegen kann und soll der militärische Widerstand heute Werte vermitteln; so sagte es schon der erste Traditionserlass der Bundeswehr von 1965: „Zuletzt nur noch dem Gewissen verantwortlich, haben sich Soldaten im Widerstand gegen Unrecht und Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bis zur letzten Konsequenz bewährt.“ Stolz jedoch kann auch der militärische Widerstand gegen Hitler nicht begründen.

Noch ein Satz aus dem Traditionserlass von 1965 ist angesichts von Gaulands Brandrede zum „deutschen Stolz“ bemerkenswert: „Die Übersteigerung und Entartung des Nationalbewusstseins hat aber fälschlich die eigene Nation zum Maß aller Dinge gemacht. Solcher Nationalismus hat in unserem Jahrhundert die Welt in das Unglück zweier großer Kriege gestürzt.“

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