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Geschichte Hitlers „Braunhemden“

„Für die SA-Leute waren die SS-Mitglieder Verräter“

Anfangs trugen sie Windjacken, dann führten sie in Braunhemden den Krieg auf der Straße. Hitlers SA steht heute im Schatten der SS. Dabei kamen ihr wichtige Funktionen zu, wie eine neue Untersuchung zeigt.
Nazi Germany, SA (Sturmabteilung) troops with bicycles parading before Adolf Hitler at a rally in Dortmund, 1933. | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer. Nazi Germany, SA (Sturmabteilung) troops with bicycles parading before Adolf Hitler at a rally in Dortmund, 1933. | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Eine SA-Abteilung paradiert 1933 an Hitler vorbei
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Der Aufstieg des Nationalsozialismus ist eng mit der Geschichte ihrer Sturmabteilung (SA) verbunden. Entstanden aus Saalordnern der Deutschen Arbeiterpartei, die sich 1920 in NSDAP umbenannte, wurden die „Braunhemden“ zu einer paramilitärischen Truppe mit 2,9 Millionen Mitgliedern (1934). Der deutsche Historiker Daniel Siemens, der an der Universität von Newcastle upon Tyne lehrt, hat mit seinem Buch „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“ jetzt eine große Monografie über Hitlers Straßenkämpfer gegen die Weimarer Republik vorgelegt. Siemens zeigt, dass die SA auch nach 1933 eine wichtige Rolle im NS-Regime gespielt hat.

Frage: Herr Professor Siemens, angeblich kam die SA per Zufall an ihre braunen Hemden – es soll sich um einen Restposten aus Beständen der ehemaligen deutschen Kolonialtruppen gehandelt haben.

Daniel Siemens: Das stimmt. Anfangs war das Geld bei der SA knapp, sodass die Partei gerne zugriff, als der braune Stoff günstig zu erwerben war. Allerdings sollte man hinzufügen, dass die ersten SA-Männer noch gar keine braunen Hemden trugen, sondern Windjacken. Zu erkennen waren sie nur an den roten Armbinden mit Hakenkreuz. Das einheitliche Outfit konnte die Partei erst ab 1926 durchsetzen, doch selbst in den 30er-Jahren gab es noch Männer, die sich – oft aus Kostengründen – ihr Braunhemd selbst herstellten. Die NSDAP hatte inzwischen das Merchandising und den Verkauf von „echten“ Braunhemden zentralisiert. Man muss sich das Ganze in etwa so vorstellen wie heutzutage bei den Trikots der großen Fußballvereine. Die Hemden wurden günstig und in Masse produziert und dann für vergleichsweise teures Geld an die Anhängerschaft verkauft. Für die SA war das seinerzeit eine wichtige Einnahmequelle.

Nazi Germany, SA (Sturmabteilung) troops with bicycles parading before Adolf Hitler at a rally in Dortmund, 1933. | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Eine SA-Abteilung paradiert 1933 an Hitler vorbei
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Frage: Welche Aufgabe hatte die SA?

Siemens: Vor 1933 war die SA eine Art Werbetruppe für die NS-Bewegung, die ja im Parlament lange Zeit gar nicht vertreten war. Man nutzte die Gewalt der Straße, um auf sich aufmerksam zu machen. Zugleich war die SA wichtig, um durch gemeinsame Erlebnisse wie Aufmärsche, paramilitärische Lager und auch gewaltsame Überfälle Gemeinschaft zwischen den Nationalsozialisten zu stiften.

Frage: Das scheint bis zur sogenannten Machtergreifung 1933 leidlich funktioniert zu haben – wie ging es weiter?

Siemens: Die SA spielte eine zentrale Rolle, um das NS-Regime in der Frühphase des Dritten Reiches zu etablieren. Sie agierte neben und bald auch als Teil der regulären Polizei, verfolgte politische Gegner und Juden, nahm sie gefangen und misshandelte sie. Die SA führte auch die berüchtigten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte durch. Und es war die SA, die die ersten Konzentrationslager in Dachau und Oranienburg betrieb. Ungefähr 80.000 Menschen wurden im Verlauf des Jahres 1933 zeitweilig inhaftiert.

Ernst Röhm (M), Stabschef der SA (Sturmabteilung), in einer zeitgenössischen Aufnahme. Röhm hatte Anteil am Aufbau der NSdAP und der SA. Geboren am 28. November 1887, wurde er am 30. Juni oder 1. Juli 1934 in München unter dem Vorwand angeblicher Putschpläne ermordet. | Verwendung weltweit
Ernst Röhm (M.; 1887-1934), Stabschef der SA
Quelle: picture-alliance / dpa

Frage: Aber schon 1934, in der „Nacht der langen Messer“ wurden zahlreiche SA-Männer ermordet, allen voran der oberste Führer der Sturmabteilung, Ernst Röhm. Wie kam es dazu?

Siemens: Röhm wollte seit den 20er-Jahren die deutsche Gesellschaft umfassend militarisieren – und die SA zu einer Art Volksarmee ausbauen. Das war der Reichswehr logischerweise ein Dorn im Auge, aber auch manchen Nationalsozialisten, die wenig Sympathien für die Ziele und das Auftreten der SA hatten. Dieser Machtkampf spitzte sich im Frühjahr 1934 zu, weil Röhm begann, viele der zunehmend unzufriedenen Nazis hinter sich zu scharen. Im Raum stand der Ruf nach einer zweiten Revolution, die etwa die großen Konzerne verstaatlichen und die Macht der alten Eliten brechen sollte.

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Frage: Adolf Hitler ...

Siemens: ... wurde dadurch in einen Konflikt getrieben. Er stand vor der Frage: Sollte er den Forderungen seiner Anhänger auf der Straße nachgeben und sich mit diesen Eliten anlegen, oder war es ratsamer, die eben erst errungene politische Macht durch die Fortsetzung des Bündnisses mit dieser Elite zu konsolidieren? Er hat sich dann für Letzteres entschieden.

Frage: Spielte Röhms Homosexualität irgendeine Rolle in dem Konflikt?

Siemens: Röhm wurde im Frühjahr 1932 durch einen ehemaligen Nazi, der sich inzwischen der SPD angeschlossen hatte, geoutet. Das führte unter anderem zu einer blutigen Prügelei im Reichstag. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hatte Röhm einen schweren Stand bei vielen homophoben Nationalsozialisten, wurde aber von Hitler und anderen NS-Größen geschützt. Die NSDAP sei „kein Internat für höhere Töchter, sondern eine Kampforganisation“, so Hitler. Auf Röhms Organisationstalent wollte er nicht verzichten. Erst nach den Morden vom 30. Juni 1934 griff die Propaganda das Thema Homosexualität auf und stellte die Morde offiziell als dringend überfällige „Säuberungsaktion“ dar – und kam damit bei vielen Deutschen durch.

Frage: Für die SA bedeutete das eine Zäsur.

Siemens: In der Tat schwand in den folgenden Monaten bei vielen überzeugten SA-Männern die Bereitschaft, sich weiter für die Organisation zu engagieren.

Frage: War dies das Ende der SA?

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Siemens: Es gab eine Phase der Unsicherheit und Frustration, die allerdings bald überwunden wurde. Bereits 1936/37 zeigte sich, wie die SA neue Aufgaben suchte und auch fand, vor allem im Zusammenhang mit der Expansion des „Dritten Reichs“ Richtung Osten und Südosten. Durch Röhms Ermordung mögen viele altgediente Mitglieder verprellt worden sein, aber es fanden sich genügend andere Männer, die neu in die SA eintraten. Bei Kriegsausbruch 1939 zählte die SA ungefähr eine Million Mitglieder und damit zweieinhalb Mal so viele wie Anfang 1933.

Frage: Wie lässt sich das Verhältnis zwischen SA und SS beschreiben?

Siemens: Bis 1934 war die SS eine Unterabteilung der SA, danach wurde die SS unter ihrem Führer Heinrich Himmler unabhängig. Der neue Führer der SA wurde Viktor Lutze, eine eher farblose Figur. Die SA hatte unter ihm keinen Zugang mehr zu den allerengsten Zirkeln der Macht. Hochrangige SA-Führer hassten die SS, und das blieb so bis 1945.

Kristallnacht or 'Crystal Night', also referred to as the Night of Broken Glass, was a pogrom against Jews throughout Nazi Germany and Austria that took place on 9?10 November 1938, carried out by SA (Sturmabteilung or Brownshirts) paramilitary forces and German civilians. German authorities looked on without intervening. The name Kristallnacht comes from the shards of broken glass that littered the streets after Jewish-owned stores, buildings, and synagogues had their windows smashed. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
SA-Männer während der antijüdischen Pogrome im November 1938
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Frage: Warum?

Siemens: Niemand hatte vergessen, dass die SS 1934 auf ihre Kameraden geschossen hat. Mancher altgediente SA-Führer war selber nur um Haaresbreite der Exekution entgangen. Für die SA-Leute waren die SS-Mitglieder Verräter. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten viele ehemalige SA-Männer dies für die Legende, nach der die SA für das „Gute“ im Nationalsozialismus stand und keine Verantwortung für die Verbrechen des Regimes nach 1934 hatte, vor allem den Holocaust und die Ermordung von Millionen Zivilisten und Kriegsgefangenen. Es kam ihnen auch zugute, dass die SA als Organisation im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1946 vom Vorwurf freigesprochen wurde, zum Angriffskrieg beigetragen zu haben. Die meisten SA-Mitglieder wurden außerdem 1939/40 in die Wehrmacht eingezogen. Nach dem Krieg behaupteten sie, unpolitisch gewesen zu sein und nur ihre Pflicht als Soldat getan zu haben.

Frage: Nahm ihnen das die Gesellschaft ab?

Siemens: In den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg waren viele Deutsche wenig an einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit interessiert. Zudem sollte man nicht vergessen, dass sich die SA trotz der Mordaktion gegen Röhm im Verlauf der 30er-Jahre erfolgreich im kleinbürgerlichen und bürgerlichen Milieu etablierte, etwa bei den Reit- und Schießvereinen. Diese Netzwerke existierten auch nach 1945. Man redete in der Dorfkneipe nicht mehr über die SA. Aber nach ein paar Bier sang man dann doch deren Lieder. Gerade in Dörfern und Kleinstädten wusste jeder, was der andere seinerzeit getan und gesagt hatte. Dass das weitgehend reibungslos funktionierte, deutet übrigens auch darauf hin, dass das Klischee, wonach die SA ab 1934 gar nichts mehr zu sagen gehabt habe, falsch ist.

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Frage: Gab es Berührungspunkte zwischen der SA und den Kirchen?

Siemens: Durchaus, insbesondere bei national gesinnten Protestanten. Denen hat sich die SA als Miliz präsentiert, die für ein christliches Deutschland kämpfte und damit gegen die bolschewistische, „gottlose“ Bedrohung aus dem Osten. Angesichts der starken politischen Gewalt auf allen Seiten, so die Argumentation, sei ein militantes Christentum unabdingbar. „Wir brauchen Männer, die bereit sind, für ihren Glauben zu kämpfen“, hieß es etwa im sogenannten SA-Katechismus aus dem Jahr 1934. Einige Geistliche, etwa der Hamburger Landesbischof Franz Tügel, zeigten sich auch öffentlich in der braunen SA-Uniform.

Frage: Manche Beobachter sprechen mit Blick auf das Erstarken von Populisten in Deutschland von Verhältnissen wie in Weimar vor 1933. Ist da was dran?

Siemens: Was gegenwärtig in Deutschland und vielen Ländern Europas passiert, hat mit der politischen Gewalt in der Zwischenkriegszeit so gut wie nichts zu tun. Trotzdem kann man aus der Zeit etwas lernen. Zum Beispiel, dass es ein Irrtum ist anzunehmen, dass es eine bestimmte Form von gewalttätiger und „hässlicher“ Politik niemals von der Straße in die Parlamente oder sogar zur Regierungsmacht schaffen werde. Das zeigt das Beispiel der SA.

Frage: Daraus folgt?

Siemens: Wenn eine politische Bewegung die Lage als so dramatisch schildert, dass Gewalt als Lösung akzeptabel oder gar unausweichlich scheint, dann finden sich auch genug Menschen, die diese Gewalt ausüben. Die extreme Rechte der Gegenwart arbeitet bereits recht erfolgreich daran, die Grenzen des legitim Sagbaren zu verschieben. Wer die Geschichte der SA kennt, kann eine solche Taktik schneller erkennen und ihr hoffentlich auch entgegentreten.

Daniel Siemens: „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“. (A. d. Engl. v. Karl Heinz Siber. Siedler, München. 592 S., 36,00 Euro)

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KNA/bas

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