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Zweiter Weltkrieg Judenverfolgung

Ihre Beliebtheit rettete Inge Meysel das Leben

Den Nazis galt die Schauspielerin als „Halbjüdin“ und durfte deshalb ab 1935 nicht mehr auftreten. Inge Meysel schlug sich durch, oftmals mit Hilfe von Bewunderern. Jetzt erinnert Berlin daran.

Das Bundesverdienstkreuz mit einem kecken Spruch ablehnen. Oder als Diät-Tipp sechs Eier und eine Flasche Rotwein am Tag empfehlen. Vielleicht auch einen Reporter bei sich daheim einfach mal im Eva-Kostüm empfangen. Derlei traute sich im deutschen Fernsehen nur eine: Inge Meysel.

Für ihre schnodderige Art und ihr loses Mundwerk war die Schauspielerin mindestens so bekannt wie für ihre Rollen; manchmal übertrieb sie es sogar. Warum? „Als die Nazi-Zeit vorüber war, habe ich mir vorgenommen, mir nie wieder so etwas bieten zu lassen. So habe ich eine Abwehr in mir hochgezüchtet, damit mich niemand mehr so verletzen kann, wie es im Tausendjährigen Reich passiert ist.“

Als „Mutter der Nation“ hat die Meysel bis zu ihrem Tod 2004 deutsche Fernsehgeschichte geschrieben. Serien wie „Gertrud Stranitzki“ und „Die Unverbesserlichen“ machten die kecke Blonde berühmt. Als Tochter eines jüdischen Kaufmanns aber hatte sie im Dritten Reich um ihre Familie und ihre Schauspielkarriere fürchten müssen.

Berufsverbot und Untertauchen

Wie sehr die Erfahrungen, die sie in dieser Zeit machte, ihre starke Persönlichkeit geprägt haben, die ewige Rebellin in ihr und die schroffe Art, ließ sie eher selten durchblicken. Aber klar ist: Diskriminierung und Rassismus, Berufsverbot und das Untertauchen in der Zeit des Dritten Reichs haben sie stark unter Druck gesetzt.

An diesen Teil von Inge Meysels Leben erinnert jetzt eine Gedenktafel, die das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. und der Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten Tim Renner in der Heylstraße 29 in Berlin-Schöneberg enthüllt haben. Bis 1999 bewohnte Meysel dort die Wohnung, in die ihr Vater in der Nazi-Zeit zwangsweise eingewiesen worden war.

Inge Meysel war 1910 als Tochter eines jüdischen Tabak-Grossisten aus Berlin und einer nichtjüdischen Dänin in Berlin geboren worden. Nach Nazi-Verständnis war sie also „Halbjüdin“ oder auch „Mischling“ nach den Nürnberger Gesetzen.

Glückliche Kindheit

Ihre Kindheit verlebte sie zum Großteil in Hamburg; sie war geprägt vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs und vom Kriegsdienst des Vaters, der „zu 80 Prozent invalid“ mit nur noch einem Arm von der Front heimkehrte. Trotzdem schilderte die stets lebensfrohe Meysel ihre Kindheit als glückliche, erfüllte Zeit.

Ihre Eltern ließen ihr, untypisch für die Zeit, eine antiautoritäre Erziehung angedeihen – was ihnen bei Inge nicht immer leicht viel: So meldete sie sich mit der gefälschten Unterschrift ihres Vaters von der Schule ab. Sie nahm Schauspielunterricht und hatte bereits mit zwanzig ihr erstes festes Engagement in Zwickau.

Der Erfolg gab ihr recht: 1932 stand sie in der Hauptrolle der Komödie „Fräulein Frau“ im Renaissance-Theater auf der Bühne und hatte damit den Sprung zurück nach Berlin geschafft. Das Schicksal spielte ihr gute Karten zu: Sie wurde vom Direktor des Leipziger Schauspielhauses abgeworben, ihre Karriere kam in Fahrt.

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In Leipzig traf sie ihre große Liebe: Helmuth Rudolph, genannt „Hell“ war der Bonvivant des Hauses. Sie schwärmte ein Leben lang von ihm. Doch das Liebesglück blieb nicht lange vollkommen. Denn fast zur gleichen Zeit brach der dunkelste Abschnitt der deutschen Geschichte an.

Verschanzt in der Wohnung

Zu Beginn der NS-Herrschaft ließ sich die aufgeweckte, selbstbewusste Frau von den Schikanen der NSDAP noch nicht sonderlich beängstigen. Doch Schritt für Schritt beschnitt das Nazi-Regime die Rechte der Juden in Deutschland. Schon kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 drängte der Direktor des Leipziger Theaters Inge und Hell zum Umzug in die Freie Reichsstadt Danzig, organisierte ihnen sogar ein Engagement. Die Arbeit dort und später in Dresden ging noch eine Weile lang gut – im August 1935 aber folgte für Inge dann das Auftrittsverbot.

So verschanzte sich die kommunikative und lebenslustige junge Frau in einer Wohnung eines Dresdner Vorortes, während Rudolph auf Bühnen in Dresden und Hamburg Erfolge feierte. Inge verbrachte ihre eigentlich „besten Jahre“ isoliert und von Depressionen belastet. Sie nannte diese Zeit später ihre „gestohlenen Jahre“.

Mit den zunehmenden Repressionen seit den Novemberpogromen 1938 quälte Meysel zusätzlich die Sorge um ihre Familie. Die Eltern wurden Stück für Stück ihres Besitzes beraubt. Der Bruder Harry, ausgezeichneter Frontsoldat, wurde aus der Wehrmacht ausgeschlossen und musste Zwangsarbeit leisten, als seine Abstammung bekannt wurde.

Mit falschen Papieren

Sowohl er als auch sie selbst überlebten „im Auge des Sturms“, so bezeichnete sie es in ihrer Autobiografie. Harry konnte aufgrund seines „arischen“ Aussehens unbemerkt in einem Hotel arbeiten, und Inge schlug sich, vermittelt von einer Bewundererin, bis kurz vor Kriegsende mit falschen Papieren als technische Zeichnerin durch. Der Vater überlebte versteckt bei Freunden.

Inge Meysel war stets bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatte. Ihre Beliebtheit und ihr Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung, glückliche Zufälle und Begebenheiten hatten ihr den Alltag in der Diktatur erheblich erleichtert – womöglich retteten sie ihr sogar das Leben.

Zwischen zwei hohen Altbaufenstern mit Blick in ein grünes Vorgärtchen ist nun eine Gedenktafel an der Außenmauer ihres langjährigen Zuhauses angebracht. Geehrt wird Inge Meysel ausdrücklich für ihr gesellschaftliches Engagement, für das sie sich „nicht zuletzt durch ihr resolutes Auftreten und ihre direkte Art“ Gehör verschaffte.

Während der Laudatio von Staatssekretär Tim Renner enthüllt sich die verhangene Tafel durch einen Windstoß wie von selbst. Die Anwesenden sind begeistert: Das hätte der Inge gerade so gepasst.

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