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Dauerhafter Lärm ist Körperverletzung

Unentwegt lärmen Autokolonnen, Flieger donnern über Häuser, Krach ist allgegenwärtig. Bei Kindern mindert er die Konzentrationsfähigkeit, bei Erwachsenen steigt das Risiko für Herzinfarkt. Viel zu zögerlich werde das Problem angegangen, sagen Experten Unentwegt lärmen Autokolonnen, Flieger donnern über Häuser, Krach ist allgegenwärtig. Bei Kindern mindert er die Konzentrationsfähigkeit, bei Erwachsenen steigt das Risiko für Herzinfarkt. Viel zu zögerlich werde das Problem angegangen, sagen Experten
Unentwegt lärmen Autokolonnen, Flieger donnern über Häuser, Krach ist allgegenwärtig. Bei Kindern mindert er die Konzentrationsfähigkeit, bei Erwachsenen steigt das Risiko für Herz...infarkt. Viel zu zögerlich werde das Problem angegangen, sagen Experten
Quelle: pa
Ob bei der Arbeit oder in der Freizeit: Lärm ist fast allgegenwärtig. Doch schon Bürolärm kann auf die Gesundheit schlagen, warnen Mediziner. Es drohen Bluthochdruck, Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Viele Menschen erleben die absolute Stille höchstens noch mit der Hilfe von Ohrstöpseln: Irgendwo klingelt fast immer ein Handy oder es dudelt Musik. Und über all das legt sich vielerorts das Brummen des nie endenden Straßenverkehrs. Zum „Tag des Lärms“ an diesem Mittwoch warnen Mediziner vor geräuschbedingten Gesundheitsschäden.

„Viele Menschen wissen nicht, dass dauerhafter Lärm nicht nur dem Gehör schadet, sondern auch immense Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System sowie das Schlafverhalten hat“, sagte die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN), Martina Wenker, in Hannover.

Bereits das Wohnen an einer Hauptverkehrsstraße erhöhe durch einen dauerhaft gesteigerten Blutdruck das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Das Gehör leide nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ab einem Schallpegel von 85 Dezibel, warnt die Ärztin.

An einer Hauptverkehrsstraße betrage der Pegel rund 80 Dezibel, ein Gespräch oder Musik bei Zimmerlautstärke lägen bei 60 Dezibel. Der Maximalpegel am MP3-Player belaufe sich auf 120 Dezibel und sei damit so laut wie ein Rockkonzert oder die Musik in einer Diskothek, so die Medizinerin.

Stresshormone wirken auf den ganzen Organismus

Während Lärm am Arbeitsplatz, Diskothekenbesuche oder Knallereignisse direkten Einfluss auf das Hörvermögen hätten, wirkten körperliche Stressreaktionen, die schon bei niedrigen Schallpegeln auftreten können, auf den gesamten Organismus.

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Grund dafür ist der Medizinerin zufolge, dass der menschliche Körper sich bei Lärm durch die Ausschüttung von Stresshormonen auf eine körperliche Auseinandersetzung vorbereite. Dieser unbewusste Prozess geschehe gerade nachts, da das Ohr selbst im Schlaf alle Geräusche registriere.

„Lärm kann Bluthochdruck verursachen und in der Folge Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen“, ergänzt Thomas Myck, Leiter des Fachgebiets Lärmminderung beim Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-Roßlau. Er schätzt schon einen Dauerpegel, der so laut ist wie eine normale Unterhaltung, als problematisch ein.

Auch wenn die Beschallung nicht zwangsläufig zu körperlichen Erkrankungen führen muss, kann sie auch der Psyche zusetzen: Konzentrationsprobleme, Gereiztheit und Nervosität können die Folge sein. Ob die Geräusche krank machen, hängt auch davon ab, wie Betroffene diese bewerten. „Laute Musik von meinem ungeliebten Nachbarn lässt den Blutdruck sicher höher steigen als die eigene Musik“, erklärt Myck.

Viele Deutsche von Straßenlärm belästigt

Vor allem Verkehrslärm empfinden viele Bundesbürger als sehr störend. Laut einer UBA-Umfrage fühlt sich mehr als die Hälfte vom Straßenlärm belästigt. Rund ein Fünftel der Befragten stört der Schienenverkehrslärm.

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Bei Straßenlärm sei das Problem, dass er allgegenwärtig ist, erläutert Michael Jäcker-Cüppers, Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm (ALD) der Deutschen Gesellschaft für Akustik (Dega), die den „Tag gegen Lärm“ in Deutschland initiiert hat.

Züge dagegen machen zwar nicht permanent Krach, können aber die Lautstärke eines Presslufthammers erreichen, wenn sie vorüberdonnern und jemand in Gleisnähe steht oder wohnt.

Wer an einer stark befahrenen Straße oder an einer Bahnstrecke wohnt, sollte daher das Schlafzimmer zum Hinterhof wählen, rät Jäcker-Cüppers. Wenn das nicht möglich ist, sollten die Bewohner in jedem Fall bei geschlossenem Fenster schlafen. In lauter Umgebung sollten Anwohner sich außerdem öfter Ruhephasen gönnen, etwa durch regelmäßige Pausen in leiser Umgebung.

Bürolärm als Stressfaktor bislang stark unterschätzt

Lärm gibt es nicht nur, wenn Flugzeuge starten oder Lastwagen vorbeidonnern. Auch ein erhöhter Schallpegel im Büro kann der Gesundheit zu schaffen machen. Seit Großraumbüros in Unternehmen immer beliebter werden, wächst das Problem.

„Ich halte die Höhe des Schadens und den Grad der Belästigung für unterschätzt“, sagt der Mediziner und Psychologe Markus Meis, der für das Hörzentrum der Universität Oldenburg forscht. Die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern könne durch Bürolärm um fünf bis zehn Prozent sinken. Größter Störenfried seien Gespräche von Kollegen.

Ein Büro ist beim Thema Lärm zwar nicht mit einem Stahlwerk zu vergleichen. Dort seien Mitarbeiter Lautstärken ausgesetzt, die ohne Gehörschutz zu Hörschäden führten, sagt Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte. Lärm im Büro habe aber eine andere Dimension: „Das wirkt sich auf das vegetative Nervensystem aus.“

Der Experte hat gemessen, wie die Leistungen des Arbeitsgedächtnisses am Schreibtisch nachlassen, wenn sich zwei Kollegen in unmittelbarer Nähe unterhalten. „Das sind bis zu zehn Prozent.“ Niemand könne sich wirksam gegen diese Störung schützen.

Immer Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit

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„Unser Gehirn richtet sich ganz automatisch auf Sprachverarbeitung aus.“ An Telefongeklingel könnten sich Menschen gewöhnen und das Geräusch sogar ausblenden. Bei Sprache funktioniere das nicht. Sie habe immer Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit – und damit auch die Leistungskraft.

Auch bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund geht der Physiker Georg Brockt von Einschränkungen durch Bürolärm aus. „In einem Großraumbüro ist es fast unmöglich, wissenschaftliche Texte zu schreiben oder komplexe Berechnungen anzustellen“, sagt er.

Er wolle solche Büros nicht verteufeln, weil sie im kommunikativen und sozialen Bereich sicher Pluspunkte brächten. „Aber akustisch sind sie nicht vorteilhaft“, betont Brockt. Und von den 12 bis 15 Millionen Büroarbeitsplätzen in Deutschland seien schon über die Hälfte keine Einzelbüros mehr – Tendenz steigend.

Dass der Schallpegel im Büro nicht über 55 Dezibel steigen soll, sei aus der Verordnung für Arbeitsstätten inzwischen gestrichen worden, berichtet Brockt. Ein Aufweichen der Vorgaben? Der Physiker Brockt ist im Zwiespalt. Technische Geräte wie Drucker und Computer seien viel leiser als früher. Und feste Grenzwerte machten die Sache nicht unbedingt einfacher – gerade weil Lärm so individuell verschieden empfunden werde.

Schon für unsere Vorfahren ein Warnsignal

Die Gründe für die menschliche Geräuschempfindlichkeit liegen weit zurück, erklärt UBA-Experte Myck. Schon für unsere frühen Vorfahren waren Geräusche ein Warnsignal: Wenn es irgendwo im Gebüsch raschelte, waren sie dank Stresshormonen sofort bereit zur Flucht vor wilden Tieren.

Auch heute funktionieren diese Mechanismen noch, mit dem Unterschied, dass Geräusche wie Autolärm keine Bedeutung haben. Der Körper reagiert dennoch darauf, indem er Stresshormone ausschüttet.

Da Flucht vor dem Lärm nicht immer möglich ist, müssen die Hormone irgendwie anders abgebaut werden – durch Sport etwa oder Entspannung. „Yoga und Autogenes Training sowie andere Entspannungsverfahren können helfen, die hohe Stressbelastung zum Beispiel bei Dauerlärm, zu senken“, erklärt Björn Husmann, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren (DG-E).

Yoga sei generell gut, um zu lernen, Stress gelassen zu begegnen. „Im Grunde fügt man dem Körper bei manchen Übungen leichte Schmerzen zu und lernt dann, damit meditativ umzugehen“, erklärt Husmann das Prinzip. Eine Übung für Anfänger könne sein, bei durchgestreckten Beinen mit den Händen die Fußspitzen zu berühren.

Entspannungstechniken vor Stressphasen einüben

„Wenn Sie nun bewusst in die Dehnung hineinatmen, um sich zu entspannen, lernen Sie auch, unangenehme Aspekte wie Dehnungsschmerz innerlich zu akzeptieren. Das lässt sich dann auch auf Lärm übertragen“, sagt der Diplom-Psychologe.

Auch Autogenes Training sei bei Stressbeschwerden nachweislich hilfreich, erklärt Husmann. Über bestimmte Vorstellungen wie innere Ruhe, Schwere oder Wärme der Glieder wird der körpereigene Entspannungsprozess angestoßen.

Regelmäßiges Üben trägt dazu bei, dass Körper und Geist insgesamt weniger anfällig für Stress sind und der betreffende Mensch auch gelassener mit Lärmbelastungen umgeht.

Entspannungstechniken sollten aber schon vor akuten Stressphasen eingeübt werden, rät Husmann. Dann seien sie am wirkungsvollsten. „Wer regelmäßig Yoga oder Autogenes Training macht, lässt störende Geräusche gar nicht so stark an sich heran.“ (www.tag-gegen-laerm.de)

Wer sich genau über eine Lärmbelästigung informieren will, kann dies laut Ärztekammer etwa mit der kostenlosen „LärmApp“ des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Sie ist sowohl für Apple- als auch für Android-Smartphones erhältlich.

dpa/KNA/oc

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