WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Gesundheit
  3. Ärzte: Götter in Weiß sind kränker als ihre Patienten

Gesundheit Ärzte

Die Götter in Weiß sind kränker als ihre Patienten

Es kann ihnen noch so schlecht gehen, den Ärzten – an Kollegen wenden sie sich nicht gerne mit ihren Problemen Es kann ihnen noch so schlecht gehen, den Ärzten – an Kollegen wenden sie sich nicht gerne mit ihren Problemen
Es kann ihnen noch so schlecht gehen, den Ärzten – an Kollegen wenden sie sich nicht gerne mit ihren Problemen
Quelle: Getty Images
Ärzte sind oft ungeimpft, unsportlich und leben ungesund. Zudem sind Mediziner häufig unglücklich verheiratet und psychisch angeschlagen. Nur merkt das keiner: weil sie sich gerne selbst behandeln.

Kranke Ärzte sind oft schwierige Patienten, sagt der Schweizer Allgemeinmediziner Bernhard Gurtner aus Wetzikon. „Es gibt unter uns Hypochonder, die bei geringsten Beschwerden auf sofortige und umfassende Abklärungen durch Topspezialisten drängen, und hartnäckige Verdränger, die eindeutige Symptome oder Befunde verleugnen und sich erst auf Druck der Angehörigen zu einer Konsultation bei einem Studienfreund bewegen lassen.“

Ganz ähnlich klingt das Eingeständnis seiner deutschen Kollegin Cornelia Tauber-Bachmann im Fachblatt „Medical Tribune“: „Wir Ärzte gehören in der Regel zu den schwierigsten Patienten überhaupt“, schreibt sie dort. „Entweder wissen wir alles besser und verwickeln unsere behandelnden Kollegen in wissenschaftlich spitzfindige Diskussionen, oder wir misstrauen ihnen grundsätzlich und behandeln uns lieber selbst.

Der liederliche Umgang der Mediziner mit ihrer eigenen Gesundheit wird auch durch Studien untermauert. So hat eine Umfrage der Universität Los Angeles bei nahezu 4000 Ärzten Erschreckendes ergeben. Jeder zweite Mediziner gab an, keinen Hausarzt zu haben.

Viele Ärzte sind ungeimpft und unsportlich

Mehr als die Hälfte der Ärzte besaßen keinen Impfschutz gegen Hepatitis und hatten sich auch gegen Grippe nicht impfen lassen. Jeder Fünfte betrieb keinen Sport oder andere körperliche Aktivitäten. Und die Hälfte der Ärztinnen unter den Befragten untersuchten ihre Brüste nicht regelmäßig monatlich.

Lesen Sie auch

Getreu dem Sprichwort „Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe“ lieferte auch eine Umfrage bei Schweizer Allgemeinmedizinern weitere Nachweise für den nachlässigen Umgang von Ärzten mit ihrer eigenen Gesundheit und für ihre Scheu, Zunftgenossen zu konsultieren. Die schriftliche Umfrage von Martin Schneider vom Universitätsspital Genf bei 1784 Schweizer Ärzten erbrachte etwa, dass jeder dritte Teilnehmer Mühe damit hatte, kollegiale Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Nur jeder fünfte Mediziner erklärte, einen Hausarzt zu haben, und beinahe jeder zweite hatte im vergangenen Jahr keinen Kollegen wegen eigener gesundheitlicher Probleme konsultiert. Von denen die es doch taten, kontaktierten 13 Prozent einen Hausarzt, acht Prozent einen Psychiater oder Psychologen und 28 Prozent einen anderen Arzt. 57 Prozent der Ärztinnen waren bei einem Gynäkologen gewesen.

90 Prozent der Ärztinnen und Ärzte behandelten sich hingegen einfach selbst. 65 Prozent von ihnen gaben sogar an, auch in den letzten sieben Tagen Medikamente genommen zu haben: 34 Prozent griffen zu Schmerzmitteln, 14 Prozent zu Beruhigungsmitteln und sechs Prozent zu Antidepressiva.

In einer anonymen Umfrage unter 790 Hausärzten in Rheinland-Pfalz kam heraus, dass psychische Probleme auch unter Ärzten weit verbreitet sind – und sie sich in einem solchen Fall häufig selbst therapieren. Fast jeder Vierte war demnach depressiv, fast jeder Zehnte räumte ein, irgendeine psychische Erkrankung zu haben. 17 Prozent der Ärzte gaben an, sich deshalb im Verlauf des letzten Jahres selbst mit Psychopharmaka behandelt zu haben.

Viele Ärzte arbeiten auch, wenn sie selbst krank sind

Der Hauptgrund, weshalb sich Mediziner nur ungern von Kollegen untersuchen lassen, liegt in ihrer felsenfesten Überzeugung: „Die wissen auch nicht mehr als ich.“ Sie sind ja selber Arzt und misstrauen ihren Kollegen. Sie wissen, dass überall nur mit Wasser gekocht wird. Das Eingeständnis, selbst Hilfe zu benötigen, könnte außerdem als Zeichen von Schwäche und Inkompetenz gewertet werden.

Anzeige

Häufig arbeiten Ärzte, auch wenn sie krank sind. Viele glauben, dass Patienten keinen kranken Arzt akzeptierten, sondern seine Kompetenz anzweifelten. Obwohl mittlerweile jeder wissen dürfte, dass Rauchen und zu viel Alkohol die Gesundheit ruinieren können, raucht nach einer Erhebung der Europäischen Union jeder vierte Arzt munter weiter.

In den USA sieht es besser aus, aber auch dort können drei Prozent der Mediziner nicht auf Zigaretten verzichten. Hausärzte rauchen etwas seltener, Chirurgen dafür deutlich häufiger. Die meisten Raucher findet man unter den Psychiatern. Viele Ärztinnen und Ärzte haben außerdem nachgewiesenermaßen ein Alkoholproblem.

Laut Schätzungen sind allein in Deutschland 8300 Ärzte alkoholabhängig. Schlüsselt man die Fachgebiete der trinkenden Ärzte auf, so führen die Chirurgen mit 18 Prozent, gefolgt von den praktischen Ärzten mit 13, Zahnärzten mit elf und Internisten mit zehn Prozent. Etwa die Hälfte der alkoholgefährdeten Ärzte ist in eigener Praxis tätig.

Psychiater durch Suizid gefährdet

Mit der seelischen Gesundheit vieler Ärzte steht es ebenfalls nicht gerade zum Besten: Mediziner werden öfter in psychiatrische Kliniken eingewiesen als Angehörige vergleichbarer Bevölkerungsgruppen. Auch die Suizidrate ist bei ihnen 2,5 Mal so hoch wie zum Beispiel bei Rechtsanwälten oder Architekten.

Für Ärztinnen werden besonders hohe Raten ermittelt. Unter den Ärzten, die durch die eigene Hand starben, finden sich auch weltberühmte Mediziner wie Hans Berger, der Erfinder des EEG, oder der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim. In der Umfrage unter Schweizer Allgemeinmedizinern bestätigten 43 Prozent der Ärzte, einen Kollegen persönlich gekannt zu haben, der Suizid verübt habe.

Ein Drittel hatte bereits selbst eine suizidale Phase durchgemacht, und fünf Prozent trugen sich aktuell mit Selbstmordgedanken. In der Suizidhäufigkeit gibt es allerdings deutliche Unterschiede unter den Spezialistengruppen: Besonders gefährdet sind Psychiater, Anästhesisten und überraschenderweise auch Augenärzte. Wesentlich seltener durch Selbstmord gefährdet sind Ärzte in den Fachbereichen Kinderheilkunde, Dermatologie, Chirurgie und Pathologie.

„Frauen von Ärzten sind Witwen mit Mann“

Auch die Ehen von Ärztinnen und Ärzten sind häufig beeinträchtigt – aufgrund von berufsbedingtem Zeitmangel und durch die typischen Belastungen der ärztlichen Tätigkeit. Viele Ärzte ertragen die ständige Konfrontation mit Schmerz und Leid ihrer Patienten nur dann, wenn sie sich einen Schutzpanzer aus nüchterner Distanz, Rationalität oder sogar Gefühlskälte zulegen.

Anzeige

Solche Persönlichkeitszüge mögen zwar die ärztliche Karriere begünstigen, auf Ehe und Partnerschaft indes wirken sie sich aber oft katastrophal aus. Der Basler Psychiater Paul Kielholz soll es mal so auf den Punkt gebracht haben: „Frauen von Ärzten sind Witwen mit Mann.“ Allerdings lassen sich Ärzte entgegen früheren Annahmen eher selten scheiden.

Laut einer aktuellen Studie aus Boston liegt die Gesamtscheidungsquote von Ärzten bei nur 24,3 Prozent, während sie bei nicht medizinischen Berufen 35 Prozent beträgt. Die Ehen amerikanischer Ärztinnen werden öfter geschieden als die ihrer männlichen Kollegen.

Mediziner haben also einen ungesunden Beruf. Es ist ein Beruf, der vielen von ihnen auch keinen Spaß mehr macht. Die vorgeblichen „Götter in Weiß“ fühlen sich oft als „Sklaven in Weiß“. Über 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte würden den Arztberuf nicht wieder wählen, wenn sie sich erneut entscheiden müssten. Nur jeder vierte Mediziner würde seinen Kindern raten, Medizin zu studieren.

Ärzte leben länger als ihre Patienten

Obwohl sie nur selten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, dürfen Ärzte heute mit einem langen Leben rechnen. So schreibt Medizinhistoriker Professor Robert Jütte in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“: „Journalisten, Psychologen und Chemiker haben eine deutlich geringere Lebenserwartung als Ärzte, Ingenieure oder gar Geistliche, wie eine groß angelegte Studie des Schweizer Bundesamts für Statistik nachwies.“

Für einen heute 60-jährigen Arzt in Deutschland beträgt die Lebenserwartung 83,9 Jahre, für eine gleichaltrige Ärztin 87,1 Jahre. Das bedeutet gegenüber die 70er-Jahre eine Steigerung um 3,4 Jahre beziehungsweise 2,2 Jahre.

Die Lebenserwartung von Medizinern liegt damit deutlich über der der Gesamtbevölkerung – sie liegt bei 79,5 Jahren für Männer und 83,7 Jahren für Frauen. Sie haben also gute Chancen, ihre Patienten zu überleben, trotz aller Widrigkeiten.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen