In meinem Philosophiestudium haben mir so einige Vorstellungen den Kopf gewaschen. Aber dieser Mindfuck hat mich nachhaltig betroffen gemacht und ich will mich hier und jetzt dafür einsetzen, dass er sich verbreitet. Wie ein Virus. Fasten your seatbelts!
Theoretisch kann mir, kann dir, kann uns allen in der Zukunft alles Erdenkliche zustoßen. Du könntest den Partner deines Lebens finden, ein WELTplus-Abo abschließen, einen Flugzeugabsturz überleben – es gibt einen nimmervollen Beutel an Möglichkeiten. Hier ein paar Weitere für dich:
Gehe in dich. Was davon glaubst du, könnte dir passieren?
Der verstorbene Philosoph Richard Taylor war Fatalist. Solche Leute glauben, alles, was geschieht, sei unvermeidlich. Denn alles ist schon vorherbestimmt. Ich glaub das eigentlich nicht. Aber er entwarf ein Gedankenexperiment, das zeigt:
Irgendwann glaubst auch du an Vorherbestimmung.
Und zwar geht es so: Ein Dozent namens Osmo findet ein Buch mit dem Titel "Die Geschichte von Osmo". Spricht ihn an, der Titel. Als er die ersten Kapitel durchblättert, stellt er fest, dass darin Schritt für Schritt seine ersten Lebensjahre beschrieben werden: Es regnete an seinem Geburtstag, seine Frau hat ihm das Falsche geschenkt und so weiter... Ohne Lücken, ohne Fehler - Kruzifix!
Je mehr Osmo in dem Buch liest, desto mehr begreift er, dass dieses Buch exakt seine Vergangenheit beschreibt. Doch es steht auch seine Zukunft darin.
Osmo denkt sich, "na gut, vielleicht wurde ich ja all die Jahre gestalkt und deswegen steht mein bisheriges Leben in diesem verstörenden Schmöker. Aber die Kapitel, die von meiner Zukunft handeln, können ja nur geraten sein". Dann stockt ihm der Atem:
Er liest in dem Werk auch, dass er in drei Jahren mit einem Flugzeug in Fort Wayne abstürzen wird.
Drei Jahre später fliegt Osmo nach St. Paul. Der Pilot kündigt an, dass der Flug nach Fort Wayne umgeleitet wird. Aber dort hat ihm das Buch auch das Ende der "Geschichte von Osmo" vorhergesagt. Aus Angst vor dem Tod will er es kidnappen und woanders landen lassen - was zum Absturz beiträgt. Hier noch mal das Ganze in bewegten Bildern:
Die Moral von der Geschicht'...
Zu Beginn denkt unser Protagonist wie wahrscheinlich jeder von uns und glaubt nicht an die Unfehlbarkeit der "Geschichte von Osmo". Wie sollte jedes Detail unseres Lebens auch schon vor uns ausgebreitet liegen; und wir spulen nur das Programm ab?
Doch für Osmo bewahrheiten sich immer mehr Sätze. Und irgendwann wird er zum Fatalisten. Du auch?
Sicherlich kannst du irgendwie Osmos Sinneswandel nachvollziehen. Und genau das will Richard Taylor.
Doch warum sollte das auch für dich gelten?
Jede Aussage über deine Zukunft kann entweder wahr oder falsch sein, es gibt kein dazwischen. Die Aussage „du wirst in drei Jahren bei einem Flugzeugabsturz sterben“ ist entweder wahr oder falsch. Laut dem Fatalisten bewahrheitet sie sich auch nicht erst in drei Jahren. Sondern wenn es an der Zeit ist, merken wir erst, ob sie wahr ist.
Es gibt eine Menge an wahren Aussagen über die Zukunft - nur WIR wissen, aus welchen Aussagen sie besteht.
Metaphysics at its best. Fest steht: Mit diesem Gedankenexperiment kann jeder nachempfinden, wie tragisch es wäre, wüssten wir, das alles vorherbestimmt ist und wie unsere Rolle dabei aussieht.
Dr. Michael Gutmann ist Philosoph und ordnet die fatalistische Fiktion für uns ein.
Er führt eine philosophische Praxis in Berlin. Das heißt, er hilft Menschen durch Sinn, Verstand und Vernunft dabei, ihren oftmals schwierigen Weg im Leben zu gehen. Der Fachmann meint, nicht alles sei vorherbestimmt, aber manche Punkte im Leben schon. Wir können unser Leben seines Erachtens nach also durchaus beeinflussen.
Manche »Punkte« beeinflussen wir; manche »Punkte« nicht.
Und von unserem Einfluss sollten wir auch Gebrauch machen. Dr. Gutmann empfiehlt, unsere Zeit auf diesem Planeten bestmöglich zu gestalten. Und nicht das Zepter aus der Hand zu geben, wie es ein Fatalist eventuell denken könnte.
Okay, manchmal ist es schon befreiend, die Verantwortung abzugeben.
Du kannst zum Beispiel ganz ruhig im Flugzeug sitzen bleiben und bei einem drohenden Absturz sagen: Was passieren wird, wird passieren. Erinnert an Brad Pitt in „Fightclub“...
In Massenbewegungen (Völkern, Religionsgruppen) aber öffnet ein Fatalismus die Tür zu jeglichem Unrechtssystem.
Mit so einem Unrechtssystem meint der Philosoph vielleicht auch den Hinduismus. Hinduisten glauben daran, dass jedem Menschen jeweils ein Leben in einer bestimmten Kaste vorherbestimmt ist. Und so akzeptieren sie auch die „Vorherbestimmung“ mancher Mitmenschen als “Unberührbare“. Für viele der Millionen von Unberührbaren heißt das, ein Leben in Verachtung zu führen, im Bodensatz der Gesellschaft. Die fatale Seite solch eines Fatalismus‘.
Bewiesen hat Richard Taylor für mich den Fatalismus noch nicht.
Denn die Prämisse, dass es so ein Buch gibt, ist doch ziemlich schwer verdaulich. Oder? Und es ist auch fraglich, ob wir unser Leben wie ein Fatalist führen sollten. Ist aber kein Grund, die Kotztüten unter den Sitzen hervorzuholen. Die Ansschnallgurte kannst du zumindest wieder lösen.