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Kultur Wohnungsleerstand

Wenn Stadtplaner historische Viertel niederreißen

Abgerissene Häuserzeile in Duisburg Abgerissene Häuserzeile in Duisburg
So sieht der Rückbau in Duisburg aus: ein Straßenzug in Bruckhausen
Quelle: Dankwart Guratzsch
Ein Stadtmassaker nach dem anderen: Im Ruhrgebiet werden ganze Stadtviertel zertrümmert, von stolzen Gründerzeithäusern bleibt nur Schutt übrig. Vor allem in Duisburg versagen Stadtplaner.

Im Ruhrgebiet geht die Stadtpest um, und Duisburg steht dabei in vorderster Linie. Alles das, was Chronisten über die "Geißel Gottes" im Mittelalter überliefert haben, ist hier an den Gebäuden des einst schmucken Stadtteils Bruckhausen abzulesen: Beulen, schwärende Wunden, Kraftlosigkeit, Fieberwahn.

Den Fieberwahn tragen die Bagger in das Gebiet, Straße um Straße reißen sie die stuckverzierten Gründerzeithäuser nieder, mit denen einmal das Bürgertum des Reviers voller Stolz seine Ankunft in der "Gesellschaft" anmeldete. Heute ist hier das Kopftuch das häufigste Kleidungsstück, wird der Stadtteil zu 80 Prozent von Migranten bewohnt. Ein Klein-Morgenland mit zwei Moscheen.

Grau raus, Grün rein

Plakat "Baggert und ja nicht an"
Mieter machen gegen den Häuserabriss Stimmung
Quelle: Dankwart Guratzsch

Im Stadthaus sitzen Stadtentwicklungsdezernent Carsten Tum und Geschäftsführer Heinz Maschke vor grün und rot eingefärbten Stadtplänen und zucken mit den Schultern. Tum, erst wenige Tage im Amt, könnte die Verantwortung auf seinen Vorgänger schieben, den 16 Jahre amtierenden Planungsdezernenten Jürgen Dressler, SPD-Urgestein. Doch er tut es nicht.

Auch Maschke beteuert mit trotzigem Kopfnicken: "Nein, nein, wir sind schon verantwortlich." Er führt die EG DU (Entwicklungsgesellschaft Duisburg), welche die schmutzige Arbeit macht: Dächer und Fenster einschlagen, die Mauern aufreißen, die Dielen durchstoßen und die Fassaden zum Einsturz bringen.

Was die beiden eint, das ist die Überzeugung, in Wahrheit ein gutes Werk zu tun: Grau raus, Grün rein. Ist das nicht die Philosophie einer neuen, besseren Zeit? Wo einst von jenseits der Kaiser-Wilhelm-Straße die Maschinen kreischten, wo die 2003 geschlossene Kokerei ihren Kohlenstaub in die Straßen blies und wo die Fassaden jetzt mit Blechschürzen und Brettern vor den Fenstern auf die Zertrümmerungsmaschine warten, hier soll Tabula rasa gemacht werden und ein Park entstehen.

Duisburg auf der Abbruchkarte

Damit der Lärm des Durchgangsverkehrs nicht in die übrig bleibenden Häuserzeilen der vierten und fünften Reihe dringt, ist geplant, das Geländeniveau aufwendig zu erhöhen und mit Spundwänden gegen die Straße abzustützen. Aus der Prachtstraße wird ein Kanal. Städtebau 2012.

Es ist die alte, schlimme Philosophie der Flächensanierung, der bis in die Siebzigerjahre hinein so viele wertvolle Stadtquartiere in Deutschland geopfert wurden. Im schrumpfenden Ruhrgebiet lebt sie heute wieder auf.

Tum und Maschke entrollen ein Schreckenspanorama: Duisburgs Bevölkerungszahl, seit 1975 von 650.000 auf 490.000 abgeschmolzen, sackt bis 2030 um weitere neun Prozent ab. Von einst 50.000 Arbeitsplätzen bei Thyssen Krupp sind noch 15.000 geblieben. 15.000 bis 20.000 Wohnungen stehen leer. Eine Stadt auf der Abbruchkante.

Plattenbauten in
Viele Wohnungen sind in Duisburg leer
Quelle: Dankwart Guratzsch

120 Häuser müssen weg

Tum und Maschke nennen den 2007 beschlossenen, 2011 gegen eine Normenkontrollklage erfolgreich verteidigten Stadtabbruch ein "Pilotprojekt" und sind überzeugt, dass noch viele andere Städte dem Beispiel folgen werden. Was die Herren zur Begründung anführen, scheint auf einen Automatismus zu deuten. In Bruckhausen liege der Leerstand bei 40 Prozent, deshalb müssten 120 Häuser weg.

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Workshops, die Ansiedlung von Studenten, die Episode eines Szenestadtteils – nichts habe die Menschen halten können. Duisburg drücken zweieinhalb Milliarden Euro Schulden – da habe man dankbar nach dem Strohhalm der Förderprogramme "Soziale Stadt" und "Stadtumbau West" gegriffen.

Katrin Gems, Immobilienmaklerin aus Essen und Gründerin der Geschichtswerkstatt DU-Nord, erzählt eine andere Geschichte. Die Frau mit der Kamera, im Nachbarstadtteil Beeck geboren, promoviert über den Duisburger Norden und kennt die Intimgeschichte des Stadtteils wie den Inhalt ihrer Umhängetasche. "Die wissen doch alle nichts über die bürgerliche Geschichte des Ruhrgebiets, die überhaupt noch nicht aufgearbeitet ist – jetzt macht man sie platt", klagt sie.

Ein Kiez im Ausverkauf

Gems geht seit 2008 mit dem Fotoapparat durch Bruckhausen und kennt fast jeden Bewohner und seine ganz persönliche Geschichte. Sie hat mit angesehen, wie aus dem "Schwarzen Diamanten", der Gaststätte am Eck zur Dieselstraße, plötzlich Flammen schlugen und wie ein Hausdach nach dem anderen auf mysteriöse Weise Einschlaglöcher bekam, obwohl die Gebäude bewohnt waren und vielfach noch sind.

Als Erste zogen die Deutschen weg, jetzt gibt auch ein türkischer Ladenbesitzer nach dem anderen und selbst die Schneiderei auf. Ein Kiez im Ausverkauf, die evangelische Notkirche und die katholische Rumpfkirche (errichtet von Heinrich Bölls Onkel Aloys) auf verlorenem Posten, der Kulturbunker mit den türkischen Kindern auf den Spielplätzen eine Insel, um die das Wasser steigt.

Bruckhausens Niedergang steht in grellem Kontrast zur Hochblüte des Stadtteils vor hundert Jahren. Einst das Quartier mit dem zweitgrößten integrierten Stahlwerk der Welt, mit den größten Hochöfen Europas – heute ein mutwillig zerklüftetes Wohngebiet mit Restlaufzeit.

"Das ist unverständlich und dumm"

Auch wenn Thyssen Krupp Steel Europe noch immer produziert, auch wenn sich die Fabrikgebäude dieser deutschen Super-Schmiede jenseits der Kaiser-Wilhelm-Straße auch jetzt noch wie rote und graue Gebirge in den blassblauen Ruhr-Himmel recken – die rußgeschwärzten Backsteinvillen der einstigen Fabrikherren dämmern nach der Räumung im Koma rettungslos vor sich hin.

"Was treibt die Stadt Duisburg um, in Bruckhausen wieder das alte Konzept von 1975 zu verfolgen? Das ist unverständlich und dumm", grollt aus dem fernen Bayern Karl Ganser, der große alte Mann des Ruhrgebietsumbaus, und seine Anspielung gilt dem Europäischen Denkmalschutzjahr, das die Städtebauer vor 37 Jahren europaweit ein neues Denken gelehrt hatte.

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Will man wieder dahinter zurück? Der einstige Geschäftsführer der legendären IBA Emscherpark, der aus einer sterbenden Industrieregion ein Stadtumbaumodell von europaweiter Ausstrahlung machte, sieht nicht nur sein Werk, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der Region in Gefahr.

Duisburg soll ans Wasser

Jetzt melden sich von überallher die Heroen von gestern, um dem Stadtmassaker von Bruckhausen noch in letzter Minute eine Wendung zu geben. Nicht das Ob des Stadtumbaus, sondern das Wie ist strittig. Christoph Zöpel, der frühere Landesbauminister, Roland Günter, der Werkbundchef, sie stellen bohrende Fragen an das Rathaus der Ruhrhafenstadt, das seit der Abwahl des Oberbürgermeisters führungslos ist. Warum intakte Stadtteile abreißen, wo es so viele städtebauliche Missstände in der Fläche gibt?

Man träumt von der "Re-Urbanisierung", von einer attraktiven Innenstadt, vom Weiterbau des Duisburger Vorzeigeprojekts Innenhafen, von einer "Stadt der kurzen Wege". Wer an Rhein und Ruhr überleben will, muss auf die Nachbarn schielen und auf An- und Abwerbung von Bewohnern setzen.

Ein neuer "Flächennutzungsplan 2027" ist in Arbeit, er soll Duisburg ans Wasser bringen. Mit barrierefreien Neubauwohnungen gegen die Abwanderung ankämpfen, kleinteilig und neubürgerlich wie in Holland bauen, zum Beispiel auf dem alten Gleisgelände im Südzipfel von Bissingheim – das sind Perspektiven, die laut Tum Magnetwirkung bis ins feine Düsseldorf entfalten könnten. Und ein Factory outlet Center soll her! 800 neue Arbeitsplätze für die Stadt mit den nach Gelsenkirchen höchsten Arbeitslosenzahlen des Reviers.

"Baggert uns ja nicht an!"

Angst vor dem Flächensterben kleiner Geschäfte? Wir doch nicht, tönt es trotzig von der anderen Seite des Tisches. Doch ein bisschen kopflos wirkt auch das. Nun schlägt den Machern von Duisburg auch am vorgesehenen Standort in Marxloh der Volkszorn entgegen. Ihr seid ja nicht recht bei Troste, entrüstet sich der Werkbundchef in Eisenheim, die zum Abriss freigegebene Siedlung im nüchternen Sechzigerjahrestil mit Ziegelfassaden und Parkgrün ist eine Schöpfung des Taut-Bruders Max! Und ganz nebenbei, so wäre zu ergänzen, ist sie noch voll bewohnt.

In den gardinengeschmückten Fenstern und an den Bäumen hängen grüne Papierwimpel: "Baggert uns ja nicht an!" Stadtabriss, das hat man schon in den neuen Bundesländern, in Chemnitz, Wittenberge, Weißenfels gelernt, will mit Fingerspitzengefühl gemanagt werden, denn hier geht es um die hochheilige Identität. Und deshalb kommt das Thema Bruckhausen für den Wahlkampf gerade recht.

"Brauchen wir wieder ein Ministerium für Stadtentwicklung? Wie können Anstöße für ein Programm Stadtentwicklung für Nordrhein-Westfalen aussehen?", fragt der immer noch kampfeslustige Roland Günter, der mit seinem Widerstand gegen den Abriss von Werksiedlungen schon frühere Regierungen seines Bundeslandes zittern gemacht hatte. Nun lädt er mit Frau Gems für den 25. April ins Werkbundhaus Eisenheim in Oberhausen ein. Am Schluss seines Aufrufes macht sich der 76-Jährige selber Mut: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

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