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Kultur Einbalsamierung

Der bizarre Totenkult um die ewig Mächtigen

Lenin, Evita Perón, Hugo Chávez: Das Einbalsamieren verstorbener Machthaber hat Tradition. Die Botschaft: Große Macht vergeht nicht. Oder: Nicht einmal der Tod kann diesen Menschen etwas anhaben.

Noch als Leiche wandelt Hugo Chávez in großen Spuren – die Liste der mumifizierten Autokraten ist zwar nicht lang, dafür aber gruselig. Lenins, Stalins und Maos Ukasse hatten Millionen Menschenleben gekostet, danach musste auch noch das Gedächtnis der Überlebenden imprägniert werden.

Wobei Stalin schnell wieder aus seinem Mausoleum verschwand und im Falle Maos eine Panzerglasscheibe vom Glassarg trennt, sodass keiner weiß, ob wirklich der ganze Körper ausgestopft wurde.

Transparent ist hier lediglich die Unsicherheit der zahlreichen Besucher – eine Fortführung der totalitären Praxis. Nordkorea aber gebührt der erste Preis: Der 1994 verstorbene Kim Il-sung amtiert in der Verfassung als „der ewige Präsident“ – das Land wird somit nominell von einer Leiche regiert.

Gemessen an solcher Tradition, ist die geplante Mumifizierung des Genossen Chávez eher ein, nun ja, Appendix – auch wenn das gleichgeschaltete Fernsehen in Caracas den Glassarg ebenfalls aus einem Winkel aufnahm, in welchem zwar die Tränen der Vorbeidefilierenden zu sehen waren, jedoch nicht der unter einer Baskenmütze steckende massige Comandante.

Bei aller Pietät: Dieser sich im letzten Moment so scheu gebende Mix aus Exhibitionismus und Voyeurismus erinnert an frühe Pornos, in denen über die Geschlechtswerkzeuge der Beteiligten permanent ein heller Fleck huschte – als Travestie der Dezenz.

Der Präsident im Ätna seines Volkes

Wobei fairerweise daran erinnert sein soll, dass Hugo Chávez immerhin frei gewählt und wiedergewählt worden war und sich das Auf- und Abtauchen populistischer Caudillos spiegelbildlich zum niedrigen Bildungsstand einer Bevölkerung verhält, die von einer feudalistischen Wirtschaftsoligarchie bis heute schamlos ausgepresst wird.

Darüber hinaus könnte sich der Bau des geplanten Chávez-Mausoleums aufgrund geklauten Marmors und Betons eine ziemliche Zeit hinziehen, ehe danach, einmal vollendet, dem feierfreudigen Volk im umliegenden Areal vor allem Brot und Spiele, Würstchen und Rum geboten werden.

Weshalb auch nicht? Schon José Caspar Rodriguez de Francia, diktatorischer Gründungspräsident von Paraguay, wollte dadurch weiterleben, dass er sich in „den Ätna seines Volkes“ stürzte und dort sozusagen als Dauer-Lava floss und blubberte. So steht es zumindest in Augusto Roa Bastos‘ „Ich, der Allmächtige“, einem Meisterwerk des lateinamerikanischen „Diktatorenromans“.

Sage keiner, derlei wäre nur Erfindung, um ein „Stereotyp“ zu bedienen. Nachdem Eva Duarte de Perón, genannt Evita, 1952 an Gebärmutterkrebs gestorben war, wurde sie für damals sagenhafte 100.000 Dollar mumifiziert und in einem Geheimraum der regimetreuen Gewerkschaft gelagert.

Evitas Mumie auf Reisen

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Als Perón drei Jahre später stürzte, begann die Odyssee der Leiche, welche wiederum nur mit den Wanderbewegungen von Che Guevaras gemartertem Leichnam zu vergleichen ist, der von Bolivien (wo die ikonisch gewordene Fotografie entstand) nach Kuba führte.

Evitas Mumie wurde kreuz und quer durch Buenos Aires gekarrt; einer ihrer Beschützer erschoss dabei sogar versehentlich die eigene, schwangere Gattin, da er des Nachts einen Sargräuber rumoren zu hören glaubte.

Ein anderer, noch leidenschaftlicherer Offizier wurde wegen „nekrophiler Perversion“ bestraft, ehe die Sache vorerst zur Ruhe kam, quasi im Schutz der Alliteration: Unter dem Pseudonym Maria Maggi de Magistris wurde Madame schließlich beigesetzt – in Mailand.

Ihre Nachfolgerin in Peróns Gunst, Isabelita, holte sie 1974 wieder heim – kurz vor dem Putsch der Militärs. Eine postmortale Latino-Burleske, in deren ewigem Drehbuch ja vielleicht auch für Hugo Chávez eine Rolle frei wäre.

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