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Kultur Michael Triegel

"Ich male den Papst. Mehr Tabubruch geht nicht"

Stv. Ressortleiter Meinung
Maler Michael Triegel glaubt nicht mehr an die Avantgarde. Ein Gespräch über Lasurtechniken, die DDR, den Glauben – und die Haut Benedikts XVI.

"So sieht der Papst sich gern", schrieb eine Kritikerin über das Porträt von Benedikt XVI., das der Leipziger Maler Michael Triegel im Auftrag des Bistums Regensburg schuf. Da hat sie sich wohl von der altmeisterlichen Perfektion des Bildes blenden lassen. Wer genauer hinschaut, entdeckt ein durchaus ambivalentes Bildnis. Im Vatikan löste es keineswegs Begeisterung aus, wie Triegel erzählt.

Rainer Haubrich traf den 42-jährigen Maler, den manche für einen "Kunst-Reaktionär" und andere für einen Meister seines Faches halten, in dessen Altbauwohnung in Leipzig-Plagwitz. Das Gespräch hätte, passend zur Jahreszeit, auf dem Pferdeschlitten stattfinden können, der das Wohnzimmer dominiert - ein Erbstück des verstorbenen DDR-Malers Werner Tübke. Aber der Hausherr bittet an den Biedermeiertisch.

Welt Online: Sie kommen gerade aus Florenz, wo Sie sich die große Ausstellung mit Werken Ihres Idols Agnolo Bronzino angesehen haben. Was fasziniert Sie an seinen Bildern?

Michael Triegel: Seine Porträts sind einfach großartig. Sie haben diese fast maskenhafte Glätte und Eleganz, die Bronzino aber durch kleine Abweichungen immer wieder belebt – besonders durch die Augenstellung. Mich fasziniert, wie sich die Manieristen in einer Zeit großer Umbrüche und Krisen ihre ganz eigene Welt schaffen, eine übersteigerte Kunstwelt, eine Welt des Intellekts, des Geistes oder des Glaubens. Nicht als Flucht, sondern als Kommentar.

Welt Online: Viele können nicht nachvollziehen, warum Künstler wie Sie heute genau so malen wollen.

Triegel: Ich suche mir das ja nicht aus. Ich muss diese Bilder machen, die sind in mir drin. Das klingt jetzt so nach 19. Jahrhundert oder wie Lieschen Müller sich Kunst vorstellt – aber so ist es. Wem es nicht gefällt, der soll sich was anderes angucken, wir sind ein freies Land.

Welt Online: Mit zeitgenössischer Kunst können Sie gar nichts anfangen?

Triegel: Na ja, die ist zum Glück vielfältig. Aber der Kunstzirkus kreist doch nur noch um sich selbst. Es gibt einen Inner Circle von Kuratoren, Künstlern und Kritikern, die den Markt und die Diskurse beherrschen. Dem möchte ich entfliehen. Die moderne Kunst ist an einem Endpunkt angelangt. Das damals so revolutionäre "Schwarze Quadrat" von Malewitsch ist jetzt hundert Jahre alt. Ich träume nicht von schwarzen Quadraten, sondern von Figuren, von Konstellationen zwischen Personen. Im Park Bomarzo bei Rom steht auf einem Stein: "Solo per toccar il cuore" – nur um das Herz zu berühren. Das traut man sich ja kaum zu sagen, weil das unter Kitschverdacht steht, aber ich glaube, darum muss es gehen.

Welt Online: Für Sie war die Moderne ein Irrweg?

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Triegel: Die Moderne in ihrem Beginn war notwendig. Das späte 19. Jahrhundert entsprach auch nicht meinen Idealen von Kunst. Dass die beginnende Moderne gegen die damalige Salonmalerei angetreten ist und auch gegen die etablierten Institutionen, das war richtig. Das Verrückte ist nur: Heute wird immer noch dieser Avantgarde-Begriff bemüht. Dabei hat der sich doch längst totgelaufen. Diejenigen, die heute glauben, sie seien Avantgarde, deren Sachen hängen doch als erstes im Museum. Avantgarde heißt für mich etwas anderes, nämlich: das Überraschende, das nicht die Erwartungen der Institutionen bedient.

Welt Online: Nach dieser Lesart wären Sie Avantgarde.

Triegel: Ja. Und das rede ich mir in letzter Zeit auch manchmal ein. Nur weil man sich uralter Formen bedient, heißt das doch nicht, dass man die Zeit damals toll fand oder dass früher alles besser war. Auch die Renaissance hat die Antike als Steinbruch benutzt, trotzdem entstand daraus etwas Neues. So ist es bei mir auch. Ich male altmeisterlich, mit zwanzig Lasuren, ich nehme Auftragswerke an und male auch noch den Papst – mehr Tabubrüche gehen nicht. Mein Papst-Gemälde provoziert offenbar mehr als ein ausgelutschtes Kondom auf der Matratze.

Welt Online: Haben Sie im Studium alle altmeisterlichen Techniken gelernt?

Triegel: Einiges musste ich mir selbst aneignen, gerade was Lasur betrifft. Aber die Grundlagen der Mischtechnik haben sich seit van Eyck nicht verändert. Wie man sie verbindet, ist bei jedem Maler anders. Aber ich bin kein Technikfetischist. Ein russischer Besucher sagte mir neulich, dass bei van Eyck drei Tropfen Lavendelöl im Malmittel waren. Das ist mir völlig egal. Es muss vor allem praktikabel sein.

Welt Online: Malen Sie impulsiv? Oder eher, wie Richard Strauss komponierte: nach einem festen täglichen Zeitplan?

Triegel: Doch eher wie Strauss. Mich stört dieses Künstlerklischee des 19. Jahrhunderts, das noch immer verbreitet ist: Ohr abschneiden und Absinth trinken und im Rausch schöpferisch sein. Bei Thomas Mann oder Goethe oder Dürer war es auch nicht so. Wenn ich eine Lasur drüberziehe an einer Stelle, wo das Rot leuchten soll, als ob es brennt, dann muss es eben erst mal trocknen, bevor ich weitermachen kann. Man sitzt doch nicht vor einer leeren Leinwand und wartet, ob was passiert. Es "passiert" ja woanders: auf Spaziergängen, auf Reisen, in Träumen. Da kommt die Bildidee.

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Welt Online: Wie hat der junge Michael Triegel aus Erfurt die altmeisterliche Malerei entdeckt?

Triegel: Vieles kommt sicherlich aus meiner Jugend in der DDR. Ich habe mich mit vielen Dingen beschäftigt, die in der Schule nicht opportun waren. Ich war zwar nicht in einer Kirche und auch nicht bei denen, die auf die Straße gingen. Aber ich schuf mir meine eigene Welt, las Nietzsche und die Bibel, was ja verpönt war. Ein Vorteil des DDR-Schulsystems war, dass dort Begabungen erkannt und gefördert wurden. So kam ich in eine Zeichengruppe. Und ich erinnere mich an einen Sommerkurs im Landschaftspark Tiefurt: Da war ich in Arkadien, in der Kunstlandschaft Goethes, mit Leuten, die so tickten wie ich. Da gab es keinen Kunstdiskurs, da wurde ein Handwerk gelernt.

Welt Online: Als die Mauer fiel, hätten Sie überall studieren können.

Triegel: Meine Eignungsprüfung für die Leipziger Hochschule habe ich noch vor der Wende gemacht. Und ich wusste, dass das, was ich lernen wollte, dort noch gelehrt wird. Damals gab es noch jeweils einen Professor für jede grafische Technik: Radierung, Lithografie, Holzschnitt.

Welt Online: Ihre erstes großes Reiseziel war Rom.

Triegel: Drei Tage nach dem Fall der Mauer habe ich erst mal die westdeutschen Museen abgeklappert. Verwandte und Freunde steckten mir immer mal Geld zu, und mit 1000 D-Mark bin ich im Mai 1990 nach Rom aufgebrochen – mit dem Zelt, was ich eigentlich furchtbar finde, aber da war es traumhaft. Die meisten Bilder kannte ich ja durch Reproduktionen, aber die Originale zu sehen, das war einfach überwältigend. Vor allem die Kunstwerke, die noch an dem Ort zu sehen sind, für den sie geschaffen wurden. Da erkennt man: Das Bild hatte eine Funktion – und war nicht ein reines Artefakt in einem White Cube.

Welt Online: Was war in Rom anders als erwartet?

Triegel: Was ich gemerkt habe als armes Heidenkind: Dass in den Kirchen die Form, die für mich gar nicht mehr mit Inhalt besetzt war, immer noch etwas mit einem macht. Vor dem Hochaltar von "Il Gesu" hatte ich das Gefühl: Eigentlich müsstest du jetzt einen Kniefall machen – die Form zwingt dazu. Dass dieser Inhalt nicht mehr da war, das empfand ich als eine Leerstelle, als Verlust.

Welt Online: Aber Sie sind bis heute nicht Mitglied einer Kirche.

Triegel: Das kann ja noch kommen. Für die Medien war das schön griffig: "Ein Atheist malt den Papst." Aber als Atheist würde ich mich gar nicht mehr bezeichnen. Ich habe eine ungeheure Sehnsucht, ich hätte gern einen Glauben. Und in der Kunst finde ich das manchmal. Das ist dann gar nicht so sehr Renaissance, sondern eher etwas Spätromantisches. Richard Wagner schrieb, wenn Religion versagt, muss die Kunst an ihre Stelle treten. Das ist sicher Hybris. Aber Wagner hat diese Leerstelle empfunden. Auch in seinem Werk gibt es überall die Sehnsucht nach Erlösung.

Welt Online: Wie kamen Sie an den Auftrag für ein Papstporträt?

Triegel: Zu meinem 40. Geburtstag hatte ich eine Ausstellung in Würzburg und machte dort eine Führung für Kinder. Zwei Herren folgten uns, und am Ende stellten Sie sich vor als Vertreter des Bistums und fragten mich, ob ich mir vorstellen könnte, "den Heiligen Vater zu malen". Tatsächlich wollte ich das seit seiner Wahl. Und jetzt fragte mich jemand, ob ich Benedikt XVI. für das nach ihm benannte Institut in Regensburg porträtieren würde! Vielleicht gibt es doch keine Zufälle.

Welt Online: Aber der Papst wollte nicht Modell sitzen.

Triegel: Aus Bescheidenheit, wie es hieß. Sicher auch aus Zeitmangel. Ich bekam offizielle Fotos als Vorlagen, aber das ging gar nicht: der Papst in vollem Ornat, der Papst vor blauem Himmel, segnend, mit Stab und Mitra. So entsteht kein Porträt. Ich bekam dann einen Platz in der ersten Reihe bei einer Generalaudienz, und das war vielleicht noch besser als eine Porträtsitzung. Denn da besteht die Gefahr, dass sich der Gemalte perfekt präsentieren will. In der zweieinhalbstündigen Generalaudienz war er dagegen in verschiedenen Posen zu erleben: Er las, er betete, er saß, er hörte zu – und er sank mit seinen 83 Jahren auch mal zusammen. Das hat mich angerührt. Und das ist alles in mein Bild eingegangen.

Welt Online: Das veränderte Ihr Papstbild?

Triegel: Etwas Wichtiges für mein Gemälde passierte vor seinem Auftritt. Ich kam in diese riesige Audienzhalle, und es herrschte eine Atmosphäre wie vor einem Popkonzert: Alle brüllten in ihrer Sprache ihre Vorfreude heraus. Es war sehr irdisch und banal. Dann spielte eine Zigeunerkapelle die Ouvertüre zu "Wilhelm Tell", und ich dachte: Das kann jetzt nicht sein. Aber der Papst freute sich – während ich dachte: Wie hält er das aus? Mit 83 Jahren, als Intellektueller, der eigentlich nur noch seine Bücher fertig schreiben will und in ganz anderen Sphären zuhause ist. Dieser Jahrmarkt! Er sitzt da auf dem Stuhl Petri, die Massen jubeln, aber es könnte auch eine Spur Einsamkeit dabei sein.

Welt Online: Sie haben dann mit ihm gesprochen.

Triegel: Man tritt zwölf Stufen hinauf und wartet, bis die anderen vor einem fertig sind. Als ich dran war, drehte es sich auch bei mir im Kopf. Ich sollte "Heiliger Vater" und "Grüß Gott" sagen, und dachte: Mit meinem sächsisch-thüringischen Akzent kannst du doch nicht "Grüß Gott" sagen. Und dann steht er auf einem Podest vor einem. Das lässt einen nicht kalt. Der Papst ist eben doch eine mythische Figur, er verkörpert 2000 Jahre Christentum, und für mich spielen auch 500 Jahre Kunstgeschichte eine Rolle – und Raffael, der Julius II. gemalt hat. Er sagte dann scherzhaft: "Sie sind also mein Raffael!" Ich fand das einen netten Einstieg, um die Spannung zu nehmen. Wir haben dann ein paar Worte gewechselt, und gleichzeitig musste ich ihn natürlich genau beobachten: Wie ist die Haut? Wie sind die Hände? Wie sind die Haare?

Welt Online: Auf den ersten Blick wirkt er bei Ihnen nicht unbedingt gewinnend.

Triegel: Ich wollte ihm ein menschliches Antlitz geben, mit all seiner Ambivalenz und der Distanz, die er als Person einfordert. Mit allen Falten und Altersflecken, aber auch einem Blick, der den Betrachter auch zum Betrachteten werden lässt. Ich denke, das kann der Kirche nur gut tun, wenn man nicht nur den segnenden Oberhirten zeigt. Das haben aber nicht alle Beteiligten im Vatikan so gesehen.

Welt Online: Woher wissen Sie das?

Triegel: Ich bekam Briefe. Aber man schickte mir auch ein Foto des Gemäldes mit der Unterschrift des Papstes. Ich denke, er war einverstanden. Und wenn nicht, hätte ich auch nichts geändert.

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