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Kultur Hetären

So waren die Liebesdienerinnen der Antike

Chefkommentator
Phryne Phryne
Quelle: Klett-Cotta
Sie verführten und berauschten Römer wie Griechen: Hetären wurden in der Antike bewundert und begehrt. In seinem Buch "Die Welt der Hetären" erforscht der Althistoriker Wolfgang Schuller den Stand der Lustgefährtinnen in der Gesellschaft. Dieser war weitaus besser als in der heutigen Zeit.

Wie alt ist eigentlich das älteste Gewerbe der Welt? Schon die Bibel berichtet von jenen Naschkatzen am Geld der Männer, die heute so nüchtern Prostituierte heißen. Tamar, die verwitwete Schwiegertochter Judas, der wiederum einer der Söhne Jakobs war, schlüpft in die Rolle einer Dirne. Um der Schande der Kinderlosigkeit zu entgehen, setzt sie sich an den Straßenrand und wartet, bis Schwiegerpapa vorbeischaut. Juda kommt. Tamar wird schwanger. Das Problem ist beseitigt.

Die Geschichte steht im ersten Buch Mose, dessen früheste Teile wohl im vierten vorchristlichen Jahrhundert geschrieben wurden. Die Geschlechtsflegeleien - auch ihr Ehemann Onan tritt auf, in gewisser Weise der Urvater der Selbstverwöhnung - sollen sich etwa 1700 vor der üblichen Zeitrechnung zugetragen haben. Da Tamar sich verkleidete, das Gewerbe der Buhlerin also nicht erfand, gab es schon vor ihr die Lockvögel der Liebe. Die Bibel verachtet sie allesamt. Tamar und Maria Magdalena ausgenommen.

In der Antike sieht die Sache anders aus. Dort sind die Kriegerinnen im Zweikampf der Lust durchaus anerkannt. Wer mehr wissen will - und es lohnt sich -, der greife zu Wolfgang Schullers Werk "Die Welt der Hetären". Der Althistoriker und emeritierte Professor aus Konstanz hat sämtliche griechische und römische Quellen durchforstet und eine Geschichte der "Gefährtinnen" (hetairai) geschrieben.

Sie bietet mehr Einsichten als der bloße Blick auf die rauschhaften Rasereien der Geschlechter. Das Leben der Hetären nämlich gibt Hinweise auf die Stellung der Frau, die Bedeutung der Ehe und den Wert der Familie in der Antike. Wer also hoffen sollte, hier seien handfeste Schweinereien zu finden, der sei gewarnt. Bei Wolfgang Schuller geht es anständig zu - meistens jedenfalls.

Diese Tatsache mindert die Lektüre in keinem Fall. Dem Autor gelingt eine so vergnügliche wie aufschlussreiche Kulturgeschichte des Altertums, in der Prostituierte übrigens kaum vorkommen, denn Schuller folgt der damaligen Sicht der Dinge. Er unterscheidet zwischen den Händlerinnen der Liebe, den pornai, und den Hetären. Während die pornai etwa für Soldaten angefordert wurden, die nach dem Kampf noch andere Schlachten schlagen wollten, lebten die Hetären in gehobenen Verhältnissen.

Verehrte und bewunderte Gefährtinnen


Sie setzten auf das Spiel der Galanterie, des Widerstandes, der Verführung, konnten ihre Verehrer auch zurückweisen und bekamen in der Hochzeit der Antike in der Regel kein Geld. Geschenke waren ihnen lieber. Nur im Alter konnte es zum Abstieg kommen. Dann und wann freilich fanden sich unter den Gefährten der Hetären auch Liebhaber welkender Schönheiten. Paulos Silentarios, ein hoher Staatsbeamter in der Spätantike, bekannte offen: "Deine Falten, Philinna, bedünken mich schöner als alle Glätte der Jugend, und mehr lockt's mich mit spielender Hand deine Äpfel zu kosen, die schwer ihre Knospen schon senken, als die schwellende Brust bei einem blühenden Weib."

Doch der Reihe nach und bitte schön wissenschaftlich. Erst die Pflicht und dann das Vergnügen, sprich: erst die Thesen und dann die Beispiele. Folgt man Schuller, und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu folgen, gab es die gesamte Antike hindurch besagte Damen. Ihre Aufgabe bestand darin, die Männer der oberen Schichten auf verschiedene Weise zu unterhalten. Dazu mussten sie tanzen, singen und parlieren können und über die Kunst des sinnlichen Ringens verfügen. Schön sollten sie sein oder wenigstens verführerisch. Zuweilen waren sie Sklavinnen, zuweilen Freigelassene, manchmal auch Freigeborene. Viele der Genannten wurden vermögend, manche reich, eine - Theodora - sogar Kaiserin.

Wem das alles nicht gelang, der musste an der Wegbiegung zum Alter heiraten oder landete in der Gosse. Meist hatten die Hetären mehrere Verhältnisse, doch gab es auch Liebesbeziehungen - wie es unter Menschen nun einmal üblich ist. Deshalb kam es in Fällen von Eifersucht zuweilen vor, dass der Verschmähte die eben noch Bewunderte als Hure beschimpfte. Meist stand er damit jedoch allein. In den attischen Stadtstaaten bewunderte man die Hetären. Einige von ihnen saßen sogar Modell, fanden sich als Standbilder in Tempeln wieder und können bis heute bestaunt werden, wie Phryne, die als Aphrodite von Knidos in mehreren Formen in den Museen der Welt steht.

Berauschende Trinkgelage

Die Römer betrachteten die "Gefährtinnen" als eine griechische Erfindung, was sie nicht abstieß - im Gegenteil. Doch anders als ihre Vorbilder aus Athen nahmen sie es mit den Bezeichnungen nicht mehr so genau. Die Hetäre, lateinisch meretrix, nannten sie auch schon einmal Straßenmädchen, also pornai - lateinisch scorta - oder umgekehrt. Dem Christentum der Spätantike waren beide Frauentypen ein Graus. Lotterweiber hatten sich zu bekehren oder zu verschwinden, was sie nicht taten.

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Wer Hetäre war, ließ sich meist am Namen erkennen. Agape (Liebe) hießen sie oder Kallisto (Schöne). Von Smikra (die Kleine) lesen wir und von Thalia (die Blühende). Manche Namen spielten auch auf gewisse Körperteile an, wie Syko (die Feige) oder Rhode (der Schoß).

Auf Agape und Rhode kam es vor allem an. Schuller berichtet von den Symposien der attischen Bürger, die hoffentlich nur wenig mit den wissenschaftlichen Zusammenkünften unserer Tage gemein haben. Trinkgelage waren sie, in denen mitunter heftig gerungen wurde. Vasenfunde belegen es. Sie zeigen die Herren der Schöpfung im süßen Rausch der Zärtlichkeit, vor ihnen, kokett fliehend, nackte Mädchen. Manche von ihnen lassen sich nieder und widmen sich den Reizen der Verführung.

Freispruch bei schönem Körper

Zuweilen griffen die Männer auch auf Jungen zurück, was nach dem Verständnis der damaligen Zeit nichts mit Homosexualität zu tun hatte. Die geschlechtliche Liebe unter Männern war verpönt, die Liebe des Mannes zum Knaben hingegen nicht. Die Heranwachsenden übrigens hatten sich während der Trinkgelage duldsam zu verhalten. Anders die Damen. "Sag, warum nestelst du denn lösend am Gürtel herum?", fragt Eirenaios neckisch Chrysilla, bevor er im Ozean der Lust versinkt.

Tauchten die Männer aus dem Ozean wieder empor und gingen ihren Geschäften nach, dann blieb die Hetäre nicht im Verborgenen, sondern führte ein öffentliches, oft angesehenes Leben. Nur Phryne sorgte zeitweilig für Verdruss. Sie wurde in Athen der Gottlosigkeit angeklagt. Das aber ließ die Schöne nicht erzittern.

Zum Prozess nahm sich Phryne einen ihrer Geliebten, den berühmten Redner Hypereides mit. Er vertraute nicht nur auf seine Fähigkeiten, sondern riss der Anmutigen inmitten seiner rhetorischen Feuerstöße das Gewand vom Leib. "Bei dem Anblick eines so wunderbaren Busens konnten die athenischen Richter nicht anders, als sie freizusprechen." Sicher waren auch sie der Dame nicht abgeneigt. In der Antike standen die Hetären für die Lust, die Ehefrau für Küche und Kinder.

Wolfgang Schuller: Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit. Klett-Cotta, Stuttgart. 304 S., 24,50 Euro.

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