Es gibt Menschen, die wollen gar nicht vor die Tür. Die können das nicht. Die wissen nicht, wie frische Luft geht. Weil sie der Welt da draußen misstrauen. Weil sie Angst haben, vor der Welt und davor, vor ihr zu versagen.
Weil sie meinen, eine Schuld zu tragen daran, dass sie ist, wie sie ist. Weil sie einen Engel fürchten, der Rache dafür nimmt. Manchmal fürchten sie zu Recht.
Karl Markovicz spielt so einen. Er spielt ihn, wie er beinahe alles spielt und alle. So, dass man den Tabakwarenhändler, der er ist im 75. Fall der Stuttgarter Kommissare Bootz und Lannert, umarmen möchte, was man gegenwärtig natürlich nicht darf.
Ein Fadenkreuz fährt an Menschen vorbei, bevor man Markovicz begegnet. Verharrt scheinbar wahllos auf Paaren, Passanten. Bleibt auf einem Kinderkopf für zweidrei schreckliche Sekunden. Dann fällt ein Schuss.
Eine Frau bricht zusammen. Eine Patronenhülse wird gefunden. Eine 1 ist drauf gefräst. Bald gibt es eine 2. Bald eine 3. Wir sehen beim Fräsen zu. Wir wissen immer ein bisschen mehr als Lannert und Bootz.
Das nützt aber nichts. Weil Wolfgang Stauch das Drehbuch geschrieben hat. Der war schon für einige „Tatorte“ verantwortlich. Jetzt nimmt die durchaus überschaubare Zahl an Registern des klassischen Sniper-Thrillers in der Nachfolge von „Dirty Harry“.
Und dann wechselt er genau immer dann, wenn man meint, ihm auf die Schliche gekommen zu sein, die Klangfarbe, die Erzähl-Richtung.
„Du allein“, man kann es ahnen, ist eigentlich eine Geschichte über soziale Distanz, wie sie war, als sie noch keine gesellschaftliche Pflicht, sondern ein Verbrechen sein, Verbrechen auslösen konnte und Traumata.
Weil soziale Distanz einmal ein Symptom von sozialer Eiseskälte war.
Eine Geschichte von Einsamkeiten ist Stauchs Geschichte natürlich auch. Der Einsamkeit der Jäger. Der Einsamkeit des Opfers. Der Einsamkeit des Karl Markovicz zum Beispiel.
Das Böse wird nicht zum Monster
Der schafft es nicht mehr, seinen Laden zu verlassen. Der seinem potentiellen Mörder gegenüber steht, ohne dass er es merkt, sich in ein melancholisches Spiel mit ihm einlässt.
Friederike Jehn, Kriminalfilm- und „Tatort“-Debütantin, macht aus Stauchs sich immer weiter verwinkelndem Plot keinen Hochgeschwindigkeitsthriller. Das Böse bekommt allmählich einen Begründungszusammenhang.
Der Mörder wird nicht zum Monster, das Morden wird nicht entschuldigt. Eine Liebe ist zu Ende gegangen, von der niemand nichts wusste, und ein Leben, das niemand retten wollte.
Ein Hauch verbitterter Melancholie hängt über allem. Isobel Campbell singt „Sunrise“ dazu. Das tröstet. Und hilft gegen soziale Kälte. Nur Karl Markovicz kann in diesem Fall keiner helfen.