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Wie Albrecht Dürer die "Betenden Hände" erfand

Es ist eine der berühmtesten Zeichnungen der Welt: Zwei Hände, die aneinander liegen. Dabei begann die Verehrung des Werkes erst im 20. Jahrhundert. Albrecht Dürer zeichnete das Bild vor 500 Jahren als Studie für einen Altar. Ein Pop-Künstler ließ sie sich auf seinen Grabstein meißeln.

500 Jahre Garantie gab Albrecht Dürer auf seine Kunst. Das dürfte Joseph Heller, einen Frankfurter Patrizier, beruhigt haben, denn der bestellte 1507 bei Dürer einen Altar zum Schmuck der Frankfurter Dominikanerkirche und zur Förderung des eigenen Seelenheils.

Die Kirche verkaufte die Haupttafel 1614 an Maximilian von Bayern. Beim Brand der Münchner Residenz 1729 wurde sie zerstört. Erhalten geblieben ist nur eine Kopie des Nürnberger Malers Jobst Harrich, die sich heute im Frankfurter Historischen Museum befindet.

Die Vorarbeiten zum eigenhändig gemalten Altarbild mit Krönung und Himmelfahrt Mariens schloss die Garantie nicht ein. Vorarbeiten, besonders Zeichnungen, galten vor 500 Jahren und lange danach nicht viel. Doch sie haben überdauert, und eine von ihnen gehört heute zu den bekanntesten Dürer-Werken überhaupt: die nachträglich als „Betende Hände“ bezeichnete Studie von 1508.

Dass die Verehrung der Zeichnung erst im 20. Jahrhundert begann, hat sicher auch mit der Entwicklung der Kunst hin zu Abstraktion und zum Konzept zu tun, die viele Kunstbetrachter bis heute überfordert. Sie wollen handwerkliche Meisterschaft sehen und bewundern.

Das können sie bei Dürer, der schon kurz nach seinem Tod als zweiter Apelles gefeiert wurde. Eine Ehre, die nur dem zuteil wird, der die Realität in ihrer ganzen Schönheit und Vollkommenheit so detailgenau wiederzugeben vermag wie es dem griechische Maler Apelles zugeschrieben wird, der zur Zeit Alexander des Großen lebte.

Die Verehrung handwerklicher Meisterschaft ist allerdings nur ein Grund für die Bewunderung grafischer Techniken. Ein anderer ist die sinkende Kenntnis und Bedeutung der jahrhundertealten Ikonographie religiöser Bilder. Wer nicht weiß, wer „die Frau mit dem Kind da“ ist, erkennt eine gen Himmel fahrende Maria schon gar nicht und steht verloren vor den großen, anspielungsreichen Altären.

So etwas kann bei den „Betenden Händen“ niemandem passieren. Auch wenn sie durchaus als religiöses Motiv empfunden werden, symbolisieren sie doch gleichzeitig eine universelle Geste voller Unschuld. Diese Hände sind nicht im Gebet erstarrt, sie scheinen sich gerade zusammengefunden zu haben.

Der 11. September und die "Hände"

Es ist, als würde man einem Moment höchster Konzentration und Andacht oder auch gesammelten Entsetzens beiwohnen. Bei den Menschen, die am 11. September den Einsturz des World Trade Centers in New York beobachteten, war das immer wieder zu sehen. Denn das Händefalten ist, neben dem Hände-vor-den-Mund-Legen, eine der spontansten menschlichen Gesten.

Dürer allerdings schuf die Zeichnung, für die er – höchstwahrscheinlich – seine eigenen Hände als Vorlage benutzte, für eine betende Apostelfigur. Sie und all die anderen Figuren, die zu einer Himmelfahrt und Krönung Mariens gehören, hatte Joseph Heller für einen Flügelaltar bei Dürer bestellt. Ein Jahr ließ der Maler die Arbeit schleifen. Heller beschwerte sich. Dürer schützte Krankheit und die Arbeit für das Bild „Die Marter der Zehntausend“ für Friedrich den Weisen vor. Ende 1507/Anfang 1508 begann er mit den Vorstudien für Hellers Altar. Allerdings gab es in Deutschland kein blaues Papier, wie es Dürer zuvor in Italien benutzt hatte, weshalb seine Werkstatt ihm Blätter blau grundieren musste. Wahrscheinlich wirken die Blätter deshalb leicht wolkig.

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18 Vorstudien für die vielfigurige Darstellung in der Landschaft und vor engelreichem Himmel entstanden. Auf jedem Blatt waren Entwürfe für mehrere Motive – Hand-. Kopf-, und Gewandstudien – gezeichnet. Die heute so berühmten „Betenden Hände“ skizzierte Dürer zusammen mit einer Apostelkopfzeichnung und einer kleinen Gewandstudie. Neun der 18 mittlerweile getrennten Studienblätter werden in der Albertina in Wien aufbewahrt – unter ihnen die „Betenden Hände“.

1509 waren die Altartafel und mehrere Flügel fertig, wurden nach Frankfurt geschickt, mit Grisaillen von Matthias Grünewald vereint, aufwendig gerahmt und über dem zukünftigen Grab Hellers aufgestellt. Die gefalteten Hände gehörten einem rechts außen knienden, glatzköpfigen Apostel. Aber auch Joseph auf dem rechten Seitenflügel und ein weiterer Apostel falteten die Hände skizzengerecht, aber seitenverkehrt.

Doch wen interessiert das heute noch? Albrecht Dürers Werk ist für die meisten auf einige Zeichnungen zusammengeschnurrt: Feldhase, Rasenstück, Hände. Studien allesamt, die längst dem Kitschverdacht durch Massenreproduktion anheim gefallen sind. Das profane oder profanisierte Motiv hat in profanen Zeiten beste Chancen, berühmt zu werden.

Dass Pop Art-Künstler Andy Warhol sich Dürers Handstudie auf den Grabstein meißeln ließ und noch dazu seitenverkehrt könnte zu vielen Interpretationen über Serienproduktion und Selbstüberschätzung, Glauben und Ironie anregen. Vielleicht entsprach es auch nur Warhols ausgeprägtem Sinn für Kitsch.

Dürers Holzschnitte und das Marketing

Denn als er 1987 starb, war Dürers kleine Zeichnung bereits so oft reproduziert, als Stickbild verkauft und dreidimensional nachgebildet worden, dass die Darstellung auf dem Grabstein kitschig wirken musste, egal, wie sie gemeint war. Allzu schmal ist die Grenze zwischen Verehrung und Verkitschung. Wo Kitsch ist, sieht niemand mehr genau hin, und so verschwindet das allzu Bekannte im Nebel der Reproduktionen, wird vergröbert, banalisiert, oft auch verfälscht.

Den Grundstein für seine große Bekanntheit hat Dürer durchaus selbst gelegt, seine Holzschnitte und Kupferstiche waren zur massenhaften Verbreitung geschaffen. Die Zeichnungen natürlich nicht. Doch die geschlossene Komposition der „Betenden Hände“ macht die Reproduktionen des 20. Jahrhunderts einfach. Keine andere Handstudie Dürers, die alle ebenfalls von großem Naturalismus und höchster Kunstfertigkeit sind, ist so einfach zu vervielfältigen und zu verstehen. Die dreidimensionale Wirkung der weiß gehöhten, fein schraffierten, schwebend wirkenden Zeichnung regte die Reliefbildner und Vollplastiker jeder Art an.

Recherchen der Museen in Dürers Heimatstadt Nürnberg haben ergeben, dass die Europäer die „Betenden Hände“ am liebsten gedruckt und im Relief mögen, die Amerikaner dagegen bevorzugen die vollplastische Variante. Prominentestes Beispiel ist eine „Betende Hände“-Plastik in der Universität in Tulsa/Oklahoma.

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Nach den Nürnberger Recherchen und Umfragen zum 500. Geburtstag der Zeichnung in diesem Jahr scheint die Popularität der Hände allerdings ihren Höhepunkt überschritten zu haben, auch wenn mancher sich das Motiv gerade auf den Körper tätowieren lässt.

Die meisten Käufer einer Hände-Nachbildung sind älter als 60 Jahre alt, alle anderen haben sie geerbt und bewahren sie nur noch zur Erinnerung auf. Sonst scheint zu gelten, was der 26-jährige Andi zu Protokoll gab: So etwas kommt mir nie ins Haus.“

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