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Kultur "Il Divo"

Andreotti – "Beelzebub" der italienischen Politik

Filmredakteur
Er war wiederholt wegen seiner angeblichen Verbindung zur Mafia angeklagt, dennoch war der siebenfache Ministerpräsident Andreotti die schillerndste Figur der italienischen Politik der Nachkriegszeit. Im Film "Il Divo" porträtiert Paolo Sorrentino den heute 90-Jährigen in höllischem Bordellrot.

Wie der historische Zufall es will, existiert ein heute auf den Tag genau 36 Jahre altes Bild, das Giulio Andreotti, den siebenmaligen italienischen Premier, und Richard Nixon, den zweimaligen US-Präsidenten, zusammen im Weißen Haus zeigt.

Und jeder der beiden absolviert dieser Tage einen großen Leinwandauftritt: Während sich "Frost/Nixon" (seit Januar zu sehen) auf den schwachen Moment des Ex-Präsidenten konzentriert, als er das einzige Mal öffentlich zugab, bei Watergate kriminell gehandelt zu haben, porträtiert "Il Divo" (ab heute im Kino) einen Mann, der niemals irgendetwas zugegeben hat - obwohl er wiederholt wegen Bestechlichkeit, Mafia-Kontakten und Mordes angeklagt wurde.

"Frost/Nixon" hatte die wesentlich leichtere Aufgabe. Es konnte sich auf die Watergate-Tonbänder und Nixons Fernsehgeständnis stützen, alle Beteiligten waren redewillig, und die Hauptfigur erhob - da verstorben - keine Einwände. Ganz anders der Fall des "Divo", des "Göttlichen", wie Andreotti daheim genannt wird: Er feierte vor drei Monaten seinen 90. Geburtstag, sitzt immer noch im Senat und wurde – zumindest letztinstanzlich – von keinem Gericht verurteilt.

Das schien für eine filmische Annäherung an den schillerndsten italienischen Politiker der Nachkriegszeit nur zwei Wege offen zu lassen: eine knochentrockene, auf etablierte Fakten gestützte Biografie - oder ein anklägerisches Pamphlet, auf das sich Andreottis Advokaten mit Wollust gestürzt hätten. Das Wunder von Paolo Sorrentinos Film besteht darin, dass er einen dritten Weg gefunden hat, der uns trotzdem eine Menge über Andreotti und die regierende Kaste südlich der Alpen verrät.

Wenn sein Andreotti zu Beginn aus dem Dunkel auftaucht, wirkt er dämonisch. Weil in dessen Kopf jedoch Akupunkturnadeln stecken - Andreotti litt stets unter Migräne - verflüchtigt sich der Respekt augenblicklich in ein Grinsen: Eigentlich sieht dieses legendenumwobene monstre sacrée der italienischen Politik eher komisch aus.

Der Furchteinflößende und der Lächerliche, zwischen diesen Polen oszilliert Toni Servillo (der die Titelfigur großartig spielt), häufig sogar in ein und derselben Szene. Einmal geht Andreotti spätabends im menschenleeren Regierungsviertel spazieren, eigentlich ein buckliger, älterer, sympathischer Herr - aber überall neben und hinter ihm ducken sich die Sicherheitskräfte mit dem Gewehr im Anschlag; eine fast ins Surreale übersteigerte Szene, in der beides steckt, die Macht der Macht und ihre Absurdität.

Wer den Film so verstehen will wie ein Italiener, bräuchte ein dickes Glossar der wichtigsten Namen aus Italiens Politik, Kirche und Unterwelt. Im Grunde ist diese Vorkenntnis aber gar nicht nötig, denn "Il Divo" beschreibt ein System der Machtausübung, das wir im Norden nie richtig verstanden haben und auch heute kaum begreifen.

Andreotti war schon Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung, die Italien 1946 nach der Mussolini-Diktatur demokratisch kurieren sollte. Eines der wichtigsten Merkmale von Demokratien ist die Verteilung von Macht - weg von einem Einzelnen, hin auf viele verschiedene Schultern.

Darin bestand, auf pervertierte Weise, auch Andreottis politische Strategie. Er handelte stets nach dem Motto, man müsse den Feind nicht nur bekämpfen, sondern ihm auch etwas bieten. Daher hatte Andreotti Angst vor Berlusconi, der ihm als Unternehmer und Politiker zu viel Macht in einer Hand vereinte. Andreotti hingegen verteilte sie, und deshalb besaß er so viele Anhänger und Verbündete - aber als Zuteilendem lag die größte Macht natürlich bei ihm.

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Dieses Austeilen und Austarieren wird in "Il Divo" zelebriert, allerdings stets im Kleide einer Komödie, was einen als Zuschauer zuweilen dazu verführt, die Irdischen um den Göttlichen herum nicht wirklich ernst zu nehmen: Profiteure, Karrieristen, Gangster, ein Theater von Marionetten um den einen, der die Fäden in der Hand hält.

Seinen Horror vor alledem braucht der Regisseur nicht laut herauszuschreien, die Farben, die seinen Film dominieren, sind beredt genug: höllisches Bordellrot und modriges Gallengiftgrün. Paolo Sorrentino geht bei den Fakten so weit, wie es die Gerichtsakten zulassen. Wenn - wie bei der Ermordung des kritischen Journalisten Mino Pecorelli - Andreotti der Mordauftrag nicht nachgewiesen werden kann, greift der Film zur Theorie der konzentrischen Kreise.

Dabei äußert der Politiker "Der stört mich" zum Nächsten in der Hierarchie. Dieser Untergebene gibt die Bemerkung dem unter ihm weiter und der dem übernächsten - bis die ausführende Hand am Ende der Kette tatsächlich jemanden umbringt. Das kann von Anfang an beabsichtigt gewesen sein - aber vielleicht interpretieren die unteren Ebenen die oberen auch einfach falsch.

"Il Divo" begreift sich nicht als Dokumentarfilm, sondern steht sozusagen im Dienst einer symbolischen Wahrheit, der Abrechnung mit einem politischen System. Anders als die Berlusconi-Satire "Der Italiener", die so sehr von Nanni Morettis Verachtung geprägt war, dass ein schlechter Film dabei herauskam, hat sich Paolo Sorrentino seinen Blick nicht trüben lassen: Man spürt auch seine Faszination für Andreottis Intelligenz und Gerissenheit - und die Tragödie dieses Mannes ohne ethische Prinzipien. Ein einziges Mal stand er zu einem Grundsatz - dass man mit Terroristen nicht verhandelt - und dies kostete das Leben seines entführten Weggefährten Aldo Moro.

Damit dem Film nicht dasselbe passiert wie seinem Subjekt - ein Herumlavieren ohne eigenen Standpunkt - greift Sorrentino schließlich zu einem Kunstgriff: In einer Traumsequenz gesteht sein Andreotti sich selbst ein, dass es notwendig sei, Böses zu tun, um Gutes zu erreichen. Die Strafrichter mögen ihn freigesprochen haben; das Italien zwei Generationen nach ihm jedoch – Paolo Sorrentino ist 50 Jahre jünger – verzeiht ihm nicht.

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