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Geschichte Organisationskatastrophe

Was Babylons Turm mit Berlins Flughafen gemein hat

Politikredakteur
Der Turm zu Babel und der Flughafen Berlin Der Turm zu Babel und der Flughafen Berlin
Zwei Großprojekte mit Problemen: der Turm zu Babel, hier 1595 von Lucas van Valckenborch gezeichnet, und der neue Berliner Flughafen. Im Mai wurde bekannt, dass der Airport nicht i...m Juni 2012, sondern erst im März 2013 eröffnet werden kann
Quelle: picture-alliance / dpa/ imagestate/HIP; Klaus-Dietmar Gabbert/dapd
Der neue Großflughafen Berlins blamiert seine Planer. Sie können von der ersten Bauruine der Geschichte lernen: dem Turm zu Babel. Allerdings nur, wenn sie die Bibel auch richtig lesen.

Ob Gott etwas gegen große Bauprojekte hat? Zuweilen scheint es so, und manche meinen ihn wie folgt sprechen zu hören: "Wenn einer drei Berliner Flughäfen schließt und will bauen einen neuen Flughafen vor der Stadt mit den Brandenburgern, die den Namen des Herrn gering achten, so will ich den Aufsichtsrat in Schlaf fallen lassen und dem TÜV gebieten, dass er die Brandschutzanlage nicht abnimmt. Auf dass der Oberste der Stadt nicht feiern kann die Einweihung am vorbestimmten Tag und das Volk nicht habe Currywürste und Schultheiss Pilsener."

So aber spricht Gott nicht. Gott hat andere Probleme bei der Bauaufsicht. Man lese das elfte Kapitel im ersten Buch Mose. Da heißt es nach Luther über den Turmbau zu Babel, dass "alle Welt einerlei Zunge und Sprache" hatte, und dass die gesamte Menschheit "im Lande Schinar" wohnte. Dort wollen die Menschen gemeinsam "eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder".

Gott geht es um seine eigene Rolle

Was Gott daran nicht gefällt, sagt er selbst: "Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun."

Kritisiert Gott das Bauprojekt? Nein. Kritisiert er die Ambitionen der Menschen? Nein, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass er die Menschen der Hybris bezichtigen würde. Was Gott ausspricht, sind Sorgen um seine eigene Rolle. Er sagt, dass er den Menschen nichts mehr verbieten kann, wenn sie in Einigkeit eine große Stadt für alle errichten.

Um Gottes Lage zu verstehen, muss man zwei Kapitel zurückblättern, zum Bund mit Noah nach der Sintflut. Die Wasser sind abgeflossen, die Arche ruht auf festem Grund. Noahs Familie und die Tiere steigen aus. Gott lässt den Regenbogen aufgehen und verspricht, "dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe". Gott bindet sich die Hände. Er verwandelt sich aus dem umfassend strafmächtigen Gott in einen, der zu den Menschen ins Verhältnis gegenseitiger Achtung tritt.

Menschen verweigern sich

Zu tun hat er es dabei mit Menschen, die eng miteinander verbunden sind. Denn es gibt nach der Sintflut ja nur noch eine Familie, die des Noah, da alle anderen Menschen ertranken. Doch jener Noah-Sippschaft, die allmählich wächst, unterläuft dann ein Denkfehler, der typisch für Großfamilien ist. Die Menschen meinen, zusammenbleiben zu können an einem Ort mit einer gemeinsamen Sprache.

Das heißt: Sie sperren sich gegen ihre Ausbreitung über die Erde und verweigern sich dem Angebot, das Gott im Bund nach der Sintflut bekräftigt: "Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde." Aber nein, nicht die ganze Erde, denken die Menschen beim Turmbau, füllen wollen wir nur einen Ort, an dem wir uns alle einig sind.

Sie verweigern sich allem, was interessant ist: Vielfalt, Multikulturalität, Ausdifferenzierung in die Weite und Breite. Sie wirken wie Kinder, die nicht erwachsen werden und ihrer eigenen Wege gehen mögen, sondern sich zu Hause verbünden wollen, damit der Vater ihnen da nichts vorschreiben kann.

Gott verzichtet auf Herrschaft

Einen solchen Konkurrenzkampf jedoch will Gott nicht. Aus drei Gründen. Erstens weiß er, dass er dabei nicht gewinnen kann, weil er schwach ist, nachdem er am Ende der Sintflut versprochen hat, den Gören nicht mehr den Hintern zu versohlen. Zweitens hat er natürlich keine Lust darauf, dass ihm die Blagen daheim auf der Nase herumtanzen.

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Und drittens will er, dass die Kinder sich aus der Fixierung auf ihn lösen, dass sie selbstständig werden, aus dem Haus gehen und ihrem eigenen Wesen gemäß leben. Und so beschließt er beim Blick auf den Turmbau zu Babel: "Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen."

Zurück bleibt nicht nur eine Bauruine, sondern auch ein einsamer Gott. Ihm sind die Kinder weggelaufen. Weil er es wollte. Gott hat einen ungeheuren Verzicht geleistet, den Verzicht auf Herrschaft über die Menschheit. Kaum nämlich haben sich die Menschen zerstreut, schon glauben die meisten von ihnen nicht mehr an Gott, sondern an Baal oder an ihre Ahnen oder an Amun oder wen auch immer.

Nur der persönliche Gott ist interessant

Gott nimmt das hin. Und freut sich umso mehr, dass ein kleines Trüppchen um Abraham sich des gereiften Vaters besinnt, mit dem man jetzt noch besser verhandeln kann, der gütig wurde und zugibt, dass er nicht die Opferung eines Kindes verlangen darf. Und so verändert sich Gott abermals, wird zum liebenden Gott der Hingabe.

Dem weiten Blick tut sich damit die grandiose Biografie Gottes auf: Aus dem Schöpfer wird der Strafende wird der sich Zähmende wird der Verunsicherte wird der Entlassende wird der Vereinsamte wird der Liebende. Weshalb man diese Geschichte mal öfter in Ostdeutschland erzählen sollte. Denn da glauben ja nur 8,2 Prozent der Menschen an einen persönlichen Gott, an einen Gott mit einer Lebensgeschichte, an einen Gott, der sich von den Menschen beeindrucken lässt und sich ihnen aus Eigeninteresse hingibt.

Hingegen können sich in Ostdeutschland wie allgemein in Europa weit mehr Menschen vorstellen, dass es so etwas wie eine abstrakte höhere Macht gibt, die durch irgendwelche Sphären dümpelt. Aber wer will denn an so etwas glauben? Da wäre man doch lieber Atheist! Nein, interessant und relevant ist nur der persönliche Gott, wie er uns in der Turmbau-Geschichte begegnet.

Zu viel Macht an einem Ort schadet

Es ist auch erst diese Figur des persönlichen, auf eine konkrete Menschengruppe bezogenen Gottes, die Hinweise auf den historischen Hintergrund der Geschichte gibt. Erkennen lässt sich in ihr ja, wie das politische Konzept einer Zusammenballung von Menschen und Macht an einem Ort zuschanden wird.

Spiegeln dürfte sich darin die Erfahrung des Volkes Israel (oder der so später genannten Volksgruppen auf dem Gebiet Palästinas), zwischen den zentralisierten Hochkulturen des Zweistromlandes und Ägyptens eingezwängt zu werden. Man darf zwar nicht so tun, als wäre diese Dominanz der großen Zivilisationen immer nur zum Schaden der Israeliten gewesen, aber gut nachvollziehbar ist, dass ihnen zwei Elemente der Turmbau-Erzählung sehr wichtig waren.

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Erstens: Machtballung an einem Ort ist kein Erfolgsmodell. Zweitens: Es ist gut, dass die Menschheit zerstreut ist, denn nur dies garantiert uns Israeliten unsere Eigenständigkeit mit der besonderen Beziehung zu einem besonderen Gott.

Der Turm wurde wieder aufgebaut

Als unergiebig hingegen haben sich die Versuche erwiesen, den Turm historisch zu identifizieren und zu lokalisieren. Die Schwierigkeiten fangen damit an, dass im Text ja nicht nur von einem Turm, sondern auch von einer Stadt die Rede ist. Zudem bezeichnet das Wort, aus dem unsere Übersetzungen einen "Turm" mit religiöser Implikation machen, im Althebräischen sonst nie ein sakrales Gebäude, wohl aber des Öfteren eine Zitadelle.

Gemeint sein könnte also eine ummauerte Stadt mit einem weithin sichtbaren Palast. So etwas aber hat es damals an vielen Orten gegeben. Daher führt es eher in die Irre, wenn man den Turm der Erzählung mit der Zikkurat von Babylon identifiziert, einem sieben- oder achtstufigen Gebäude mit einer Höhe von rund 90 Metern, erstmals zerstört 689 vor Christus und dann mehrfach wieder aufgebaut.

Ob dieses Gebäude den historisch ebenfalls nicht identifizierbaren Verfassern der Turmbau-Geschichte vor Augen schwebte, ist völlig unklar – und für das Verständnis der Geschichte irrelevant. Was natürlich ein weiterer Grund ist, aus der Geschichte kein konkretes baupolizeiliches Interesse bei Gott abzuleiten.

"Geht hin und fragt die Handwerker"

Verzichten sollte man also auf Sätze wie jenen, den der frühere Bundesverkehrsminister Volker Hauff (SPD) einmal über den Main-Donau-Kanal prägte: Der sei so "ziemlich das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel". Ach, man wird vermuten müssen, dass Gott die Bauten der Menschen in den Zeiten ihrer Zerstreuung nicht so wichtig findet und ihnen höchstens dies raten wird:

"Wenn einer will bauen einen neuen Flughafen, so gedenke er der Zerstreuung der Menschenkinder, die ich gemacht habe in der Stadt Babel. Weil ich verwirrt habe ihre Sprache, dass keiner des andern Sprache verstehe, so geht der kluge Baumeister nicht hin und sagt: Siehe, ich will die Eröffnung feiern im Juni und frage nicht die Handwerker, ob sie fertig werden bis zum vorbestimmten Tag. Der kluge Baumeister wird gehen zu den Sprachkundigen und sagen: Geht hin und fragt die Handwerker, wann sie fertig sind mit dem Bau, und kehret zu mir zurück und sagt, was zu euch die Handwerker gesprochen haben. Dann erst will ich einen Tag bestimmen, an dem alles Volk feiern soll mit Currywürsten und Schultheiss Pilsener."

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