WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. USA: Amerika hat nicht nur einen Trayvon Martin

Film USA

Amerika hat nicht nur einen Trayvon Martin

Freier Korrespondent
Angeschnauzt von weißen Ordnungshütern: Eine Gruppe schwarzer Jugendlicher in „Fruitvale Station“ fühlt sich missverstanden und bedroht. Angeschnauzt von weißen Ordnungshütern: Eine Gruppe schwarzer Jugendlicher in „Fruitvale Station“ fühlt sich missverstanden und bedroht.
Angeschnauzt von weißen Ordnungshütern: Eine Gruppe schwarzer Jugendlicher in „Fruitvale Station“ fühlt sich missverstanden und bedroht
Quelle: AP
Ein Weißer erschießt einen Schwarzen – und erhält nur eine Bewährungsstrafe. Ryan Cooglers „Fruitvale Station“ ist der Kinofilm zur Debatte um Trayvon Martin. Er beruht auf einer wahren Begebenheit.

Eine der besten Szenen in „Fruitvale Station“ – vielleicht die beste überhaupt – sieht so aus: Oscar, der Held des Films, ein junger schwarzer Mann, steht am Tresen eines Supermarktes, hinter dem frischer Fisch verkauft wird. Neben ihm eine junge weiße Frau, die für ihren Freund irgendwelchen Fisch braten will – aber welchen nur?

Oscar grinst sie an und fragt, ob ihr Freund denn schwarz oder weiß sei. Weiß, antwortet sie, aber er habe wohl viele schwarze Freunde, jedenfalls möge er die (scharf gewürzte) Küche der Südstaaten. „Moment“, sagt Oscar, zieht sein Handy aus der Gesäßtasche und ruft seine Oma an. Hier stehe eine junge Frau, die brauche bitte mal eben ein Rezept zum Fischebraten. „Gib sie mir“, sagt die Oma, und Oscar reicht der jungen Frau sein Handy hinüber.

Die Szene ist deshalb so herzzerreißend, weil sie ein Stück amerikanischen Alltags einfängt, wie man ihn immer wieder erlebt: die ganz normale Freundlichkeit und Gutherzigkeit der Menschen, über Rassegrenzen hinweg. Natürlich ist ein Element des Flirts dabei, aber warum auch nicht?

Erschossen von einem Weißen in Uniform

Sozialen Realismus erhält die Szene dadurch, dass Oscar, während die junge Weiße mit seiner Oma schwatzt, den Manager des Ladens abfängt und ihn geradezu anbettelt, er möge ihm doch seinen alten Job wiedergeben. Bis zu jenem Augenblick haben wir gedacht, dies sei sein freier Tag, nun begreifen wir: Er ist arbeitslos.

Herzzerreißend wird das Ganze aber deshalb, weil wir als Zuschauer im dunklen Kinosaal genau wissen, was am Schluss mit Oscar passieren wird. Tot wird er sein, erschossen von einem Weißen in Uniform.

Dieser Tage steht Amerika unter dem Eindruck des Prozesses gegen George Zimmerman – den Mann, der den schwarzen Teenager Trayvon Martin erschossen hat. Nach dem Freispruch gab es Demonstrationen, nun geraten brisante Details über den Prozess ans Licht: Ein weibliches Jurymitglied, das nur als „B 37“ bekannt ist, hatte offenbar von Anfang an beschlossen, dass Zimmerman ein guter Junge sei, der halt nur ein bisschen überreagiert habe.

Ein Film wie „Fruitvale Station“, der gerade dieser Tage in den amerikanischen Kinos anläuft – er beruht auf einem authentischen Fall – kommt da zur rechten Zeit.

Psychogramm eines schwarzen Helden

Der junge schwarze Regisseur Ryan Coogler nimmt sich viel Zeit, ein Psychogramm seines Helden zu entwerfen. Oscar – eindrucksvoll gespielt von Michael B. Jordan – ist kein Ritter ohne Furcht und Tadel. Er ringt mit seinen inneren Dämonen. Gleich am Anfang beschuldigt ihn seine Freundin Sophina (Melanie Diaz), er habe sie betrogen – mit Recht. Er saß auch mal im Knast, weil er mit Drogen gedealt hat.

Aber der Film zeigt uns (und er wird sehr christlich dabei), wie Oscar mit seinen Dämonen ringt, wie er sie niederkämpft. Er verspricht seiner Frau, künftig treu zu sein. Er gesteht ihr, dass er seine Arbeit verloren hat. Er verabredet sich mit einem Drogenkunden, und dann lässt er das Zeug, das er ihm hatte andrehen wollen, sanft ins Meer rieseln.

Anzeige

Das Beste an Oscar aber ist: Er ist ein guter Vater, der seine kleine Tochter herzt und mit ihr um die Wette läuft und sich am Ende des kleinen Wettlaufs, als sei das gar nichts, plumps, auf das Dach des Autos setzt, in dem schon seine Freundin auf die zwei wartet.

Es könnte jeden Moment passieren

Im Grunde sieht man nur Alltäglichkeiten in diesem Film, aber man sieht sie mit nägelkauender Spannung, denn man weiß: Durch jede Tür könnte im nächsten Moment das Verhängnis eintreten, das dem Alltag ein Ende bereiten wird. Eine Familienfeier zu Ehren von Oscars Mutter, bei der Gumbo gereicht wird – das ist dieser scharfe Eintopf aus Louisiana mit Garnelen. Vor dem Essen senkt die Familie das Haupt zum Gebet.

Später eine herrliche Szene, die nur in Amerika realistisch wirkt: Plötzlich hält eine S-Bahn auf freier Strecke (der Film spielt in der Bay Area zwischen Oakland und San Francisco), bis zum neuen Jahr sind es nur noch Minuten; eigentlich wollen alle aussteigen und das Neujahrsfeuerwerk sehen. Murren, Unmut.

Aber dann lassen die Leute im Zug – beinahe alle schwarz – sich die Laune nicht verderben: Einer zückt sein Handy, ein anderer hat rein zufällig zwei Lautsprecher dabei. Einstöpseln, fertig: Schon tanzt der ganze Waggon.

Doch dann erkennt Oscar jene junge weiße Frau, der er so nett mit dem Fischrezept ausgeholfen hat, und sie ruft über alle Köpfe hinweg seinen Namen.

Rassismus wie aus einem anderen Jahrhundert

Und dann schlägt die Tragödie über ihm zusammen wie eine Welle. Denn ein weißer ehemaliger Mithäftling, der ihn noch nie leiden könnte, stürzt sich auf Oscar, um ihn zu verprügeln – und an der nächsten Station fallen dann Bahnpolizisten mit Gummiknüppeln über die Leute in dem Waggon her: wie eine Truppe von Rassisten aus einem anderen Jahrhundert.

Im „New Yorker“ stand, „Fruitvale Station“ sei getragen von der „gerechten Empörung“ des Regisseurs über das, was er zeigt. Quatsch. Die Emotion, die dieser Film evoziert, ist nicht Zorn, sondern ein beinahe schon nicht mehr erträglicher Kummer.

Anzeige

Die Rassistentruppe, die mit scharfen Kommandostimmen friedliche junge Menschen aus dem Zug zerrt, auf dem Bahnsteig mit Fußtritten über sie herfällt – sie ist uns eigentlich egal. Und jener Mörder, der den Schuss abfeuert, der Oscar töten wird – er rückt gar nicht richtig in unser Blickfeld. Vielleicht gehört er sogar zu den weniger schlimmen Rassisten. Seine Motive gehen uns jedenfalls nichts an.

Stattdessen sehen wir dieses: Oscars Familie und seine Freunde versammeln sich in dem Krankenhaus, in dem die Ärzte um sein Leben ringen. Und seine Mutter Wanda – glänzend gespielt von Octavia Paz, die wir schon aus dem Film „The Help“ kennen – bittet alle darum, für ihn zu beten. „Wir müssen unsere Energien jetzt darauf konzentrieren, Oscar aufzurichten“, sagt sie.

Gott wird das Gebet leider nicht erhören

Wir aber wissen von Anfang an: Gott wird dieses Gebet nicht erhören. Es ist beim Anschauen schier nicht auszuhalten. Nein, keine Empörung kommt da auf. Auf niemanden wird mit spitzem Finger gedeutet: nicht auf die Weißen, nicht auf die Schwarzen, nicht auf Amerika, eigentlich nicht einmal auf die Bahnpolizei in Kalifornien.

Die letzte Szene geht dann so: Am nächsten Morgen steht Sophina, Oscars Freundin, mit ihrer gemeinsamen Tochter unter der Dusche. „Mom, where is daddy?“, fragt das Mädchen. Aus. Ende. Das war’s. Der Bildschirm wird weiß.

Anschließend ein Text, dem wir entnehmen, dass die Bahnpolizisten, die an jenem Einsatz beteiligt waren, allesamt entlassen wurden. Und der Mörder? Bekam zwei Jahre auf Bewährung, von denen er elf Monate absaß.

Dieser Film, das ist jetzt schon klar, wird in Amerika für Diskussionen sorgen. Seine Wirkung bezieht er aus dem Umstand, dass er gerade nicht anklagt, sondern nur klagt. (So wie die Demonstranten auf dem Times Square und andernorts im Grunde nicht angeklagt, sondern geklagt haben.) Er könnte die Debatte in Amerika verändern. Den Namen Ryan Coogler wird man sich jedenfalls merken müssen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema