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K. O. Götz – Energie ist gleich Autonomie

Im Dritten Reich malte er heimlich, danach wurde er zum Meister der Abstraktion: Wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag ehrt die Berliner Nationalgalerie den Maler K. O. Götz in einer Ausstellung.

Man hat ja doch ein wenig vernebelte Vorstellungen von den Fünfzigerjahren. Von der steinernen Zeit des Wiederaufbaus. Vom ranzigen Charme der Adenauer-Epoche. Vom kollektiven Gedächtnisschwund, der einen Nazi-Kunsthändler wie Hildebrand Gurlitt an die Spitze des Düsseldorfer Kunstvereins befördert hat. Fast unwahrscheinlich, was aus dem selbstvergessenen Beginn der Republik geworden ist.

Es waren freilich auch die Jahre kühner künstlerischer Entwürfe, die die geschmacksverbildete Nachkriegsgesellschaft mit radikalen Freiheitsbehauptungen verstört haben. Unter der Parole Abstraktion waren vor allem im Rheinland Szenen entstanden, die den Neubeginn der Kunstgeschichte mit der alten avantgardistischen Emphase ausriefen. Karl Otto Götz war damals Ende dreißig.

Farbblitze am Gewitter-Himmel

Am 7. September 1952 malte er sein letztes Ölbild, das er auch so nannte. Er sei damals aus Paris gekommen, hat er erzählt, und mit einem Mal sei ihm seine Pinselarbeit völlig überholt vorgekommen. Fortan würde er die Rakel in die Farbwanne tauchen, sie kurz abtropfen lassen und dann mit schneller, heftiger Arm- und Körperbewegung das kammartige Malgerät über die am Boden liegende Leinwand schwingen, dass es mal aussieht, als sei er mit dem Rechen durch dünnflüssigen Farblack gefahren, und dann wieder, als zuckten die Farbblitze am Gewitter-Himmel.

Beileibe nicht nur eine neue Technik. „Wie groß der Schritt in Wirklichkeit war, ging mir und meinen Freunden erst viel später auf.“

Den Zeitgenossen war der große Schritt zunächst wie Überlänge vorgekommen. In Gurlitts Ausstellungsprogramm war für einen, der die Rakel sausen lässt, kein Platz. Und es gehört zur Tragik der deutschen Nachkriegs-Abstraktion, dass sie bis heute nicht die Anerkennung gefunden hat, die ihr eigentlich gebührt.

Keine Chance gegen die imperialen Amerikaner

Gegenüber den französischen Tachisten und malerischen Aktionskünstlern nahmen sich die deutschen wie Nachgeborene aus. Und angesichts der imperialen Autorität, mit der die amerikanischen abstrakten Expressionisten auftraten, hatten sie schon gar keine Chance. Als dann das Jahrhundert im gegenständlich figürlichen Mainstream zu Ende ging, schien das deutsche Informel vollends ausgespielt zu haben.

Was dabei in Wahrheit verspielt wurde, wird einem bewusst, wenn man vor den Bildern des bald hundertjährigen K. O. Götz steht – am 22. Februar 2014 feiert er diesen besonderen Geburtstag –, die die Berliner Nationalgalerie in einer grandiosen Ausstellung versammelt hat.

Die sinnliche Wucht ist ungemein. Nichts wirkt verbraucht, erschöpft, in öder Routine versunken. Die Kraft, mit der sich das Werk sechs, sieben Jahrzehnte immer wieder neu erfunden hat, mit der der Maler noch im biblischen Alter aus entschlossenen, hoch konzentrierten Malgesten große Bildarchitekturen baut, ist ohne Vergleich.

Soldat Götz malte während des Heimaturlaubs

Wenn man vor einem Bild wie „I-Elemente“ aus dem Jahr 2010 steht, einer zweiteiligen Vier-Meter-Leinwand, auf der im nachtschwarzen Fond eine weiß sprühende, kometenhaft aggressive Formgebärde auf eine sich weiß öffnende, aufnehmend widerständige trifft, dann scheint alle Freiheit beglaubigt, die das Werk mit nimmermüdem Nachdruck behauptet hat.

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Abstraktion ist für Götz nicht einfach Wiederanschluss an das im Dritten Reich verpönte Moderne-Idiom gewesen. Schon früh hat sich der Maler vom französischen Surrealismus inspirieren lassen, aber allen erzählerischen Verführungen widerstanden. Die Figurenreste, die die wenigen noch erhaltenen Bilder aus den dreißiger Jahre bevölkern, taumeln wie Schwebstoffe im Wasser, und reagieren mit zartester Abstoßung und Anziehung aufeinander. Dass solche Bilder zu Mal- und Ausstellungsverbot führen mussten, war unter den herrschenden Erwartungen und Anforderungen unausweichlich.

Karl Otto Götz, der lange Jahre in der Wehrmacht dienen musste, malte während der Heimaturlaube, gliederte seine Formzeichen in einem System, das er „Fakturenfibel“ nannte, und konnte nach dem Krieg dort weiter machen, wo er nie aufgehört hatte.

Energie ist für diesen Maler gleich Autonomie

Vom Surrealismus entfernte er sich rasch. Eine Zeit lang schloss er sich der Amsterdamer Cobra-Gruppe an. Aber bereits in den späten vierziger Jahren verlieren die wie zerbrochen wirkenden Formteile des Frühwerks ihre gegenständliche Anmutung und verwachsen zu verschlungenen Geweben, bilden undurchdringliche Energiefelder, deren Pulsen noch heute spürbar ist.

Wobei Energie für den Maler zugleich eine Metapher für Autonomie und Selbstbestimmung war. Dass das abstrakte Bild nicht nur das inhaltlich entlastete, sondern mehr noch das leere, vollends unbestimmte Bild wäre, hat Götz nie glauben wollen. Nicht umsonst hat er dem hochgemuten Freiheitssucher Ikarus oder dem Zusammenbruch des kommunistischen Europa seine eindrücklichsten abstrakten Panoramen gewidmet.

Mit dem Übergang von der Pinsel- zur Rakeltechnik hat sich das Werk eine Ausdrucksoffenheit und bildtektonische Großzügigkeit erworben, die die kleinteiligen Surrealismen noch kaum ahnen ließen. Ähnlich wie bei Jackson Pollock oder George Mathieu war nun der ganze Körper im Maleinsatz, aber anders als beim französischen „tache“ oder beim amerikanischen „dripping“ wird der Körper ganz entschieden vom Kopf gesteuert.

Sein Bilder sind sorgfältig geplant

Götz’ Bilder sind vorbereitet, und was zufällig entsteht, muss sich immer auch die Regie gefallen lassen. Es gibt Zeichnungen, die im kleinen Format durchspielen, was sich auf der großen Fläche ereignen könnte. Der psychische Automatismus, den die Surrealisten um André Breton proklamierten, war dem deutschen Maler immer fremd gewesen. Es herrscht in seinem Werk eine enorme Klarheit, eine Nachdenklichkeit auch, die es immer wieder auf einen neuen Weg gebracht hat, immer wieder eine neue Serien-Strecke gehen ließ.

Man hat tatsächlich vom einzelnen Bild nicht allzu viel. K. O. Götz erschließt sich erst in der Übersicht, im Zusammenspiel der Phasen, der Experimente und Brüche. Eine Bildform handschriftlich auszubilden und sie bis zur Merkmalreife zu entwickeln, wie das bei Gerhard Hoehme oder Gotthard Graubner mit durchaus imposanten Ergebnissen geschah, hätte der Homo doctus unter den deutschen Malern nicht zugelassen. Dazu war zu viel Neugier im Spiel.

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Götz hat sich literarisch betätigt, hat übersetzt, hat sich mit Wahrnehmungspsychologie beschäftigt und eine „Einführung in die Grundlagen des anschaulichen Denkens“ verfasst, er hat die skripturale Dynamik seinen Malens mit Landschaftseindrücken verwoben, die der passionierte Reisende in Norwegen gewonnen hat, er hat strenge Rasterbilder gemalt und sich an der Seite von Nam June Paik der Fluxus-Musik genähert, er hat nie die Rakel weg gelegt und er hat aufs Ganze gesehen ein Werk geschaffen, das in seiner stupenden Sinnlichkeit die Zweifel am Bild, an denen das Jahrhundert so schwer getragen hat, mit nachhaltiger Eleganz zerstreut.

Die Ausstellung „K. O. Götz“ in der Nationalgalerie läuft vom 13. Dezember 2013 bis zum 2. März 2014

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