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Kunst Ausstellung „Hope“ in Bozen

Die Kunst, von der Zukunft zu träumen

Ausstellung HOPE 30. September 2023 – 25. Februar 2024 im Museion - Südtiroler Museum für Gegenwartskunst, Bozen Kuratiert von Bart van der Heide und Leonie Radine in Zusammenarbeit mit DeForrest Brown, Jr. 01_AbuQadim Haqq, Museion Wormhole, 2023. Courtesy / © the artist Ausstellung HOPE 30. September 2023 – 25. Februar 2024 im Museion - Südtiroler Museum für Gegenwartskunst, Bozen Kuratiert von Bart van der Heide und Leonie Radine in Zusammenarbeit mit DeForrest Brown, Jr. 01_AbuQadim Haqq, Museion Wormhole, 2023. Courtesy / © the artist
Artwork von AbuQadim Haqq (Ausschnitt) in Bozen
Quelle: Abu Qadim Haqq via Museion
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Im Museion, dem Südtiroler Museum für Gegenwartskunst in Bozen, ist jetzt Bildende Science-Fiction zu sehen. Doch die Zukunftsvisionen der ausgestellten Künstler tun sich schwer, wirklich zu vermitteln, was der Ausstellungstitel verspricht: Hoffnung.

Drei Mannequins in eleganten, mit Elektroden verkabelten Kostümen und über die Köpfe gestülpten Helmen brechen zu Zeitreisen auf: ins London der Sechzigerjahre, zur Rettung der Großeltern vor dem Holocaust und in die Russische Revolution. Sie stehen für Rosalind Brodsky (1970-2058), das Alter Ego der Londoner Künstlerin Suzanne Treister: Seit den Neunzigerjahren entwirft sie kosmische, technoid-spirituelle Überlebensstrategien, weshalb sie Rosalind auch schon in die Psychotherapie geschickt hat – man gelangt offenbar besser in die Zukunft, wenn man sich erst einmal selbst bereist hat.

Die Puppen stehen im obersten Stock des Museion in Bozen – dem Südtiroler Museum für Gegenwartskunst, das gerade den letzten Teil seiner Ausstellungstrilogie „Technohumanities“ eröffnet hat. Die Schau trägt den Titel „Hope“ und verwandelt das Haus in ein Raumschiff mit Blick in eine community-sensitive Zukunft, wie sie auch schon in den beiden vorangegangenen Ausstellungen „Techno“ und „Kingdom of the Ill“ anklang: Die erste Ausstellung orientierte sich am Techno-Club als Modell für Solidarität und Koexistenz, die zweite hinterfragte die Kategorien „krank“ und „gesund“ und erkannte Fürsorge als Grundlage für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander.

„Hope“ rückt nun das Museum selbst ins Zentrum: als Ort der Recherche, der Wissensvermittlung und des „Weltenbaus“, wie man Fantasie in Anlehnung an die Gaming-Kultur heute gern nennt. Direktor Bart van der Heide spricht von der Schau als „Weckruf“ sowie vom Museum „als Ort der Zugehörigkeit und Verwurzelung in einer fragmentierten Welt“, wo Hoffnung zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin werden könne. Ein optimistischer Anspruch, der zur lichten Architektur des Hauses ebenso passt wie zu den Technopartys, die der Direktor hier im Untergeschoss schon veranstaltet hat.

Dystopie und Deformation

Dennoch: Der Reiz dieser Abschlussausstellung liegt darin, dass sie das Fragmentarische, das Brüchige und das „Weirde“, also Merkwürdige, umarmt, das den Arbeiten vieler teilnehmender Künstler innewohnt. Der dystopische Unterton von Science-Fiction, der dem Genre im Kino spätestens seit Ridley Scotts „Blade Runner“ anhaftet, ist auch hier spürbar, wenn auch keineswegs so düster wie im Film – aber, so die Kuratorin der Ausstellung Leonie Radine, „Weirdness“ sei eben das Mittel zur Durchbrechung des Status quo durch Fantasie, durch die Möglichkeit, die Dinge anders zu denken und visuell neu zu formulieren. Und das gelingt eben besonders gut durch Deformation.

„Space Junk“ von Sonia Leimer
Aus den ehemals unendlichen Weiten: „Space Junk“ von Sonia Leimer
Quelle: Laura Egger via Museion

Am anderen Ende des obersten Stocks, wo Rosalind zum Aufbruch bereitsteht, ragen zerbeulte, stumpf schimmernde Rimowa-Metallkoffer wie aus dem All herabgestürzte Trümmerteile in den Raum: Die Abformungen aus Kunstharz und Papier von Andrei Koschmieder wirken wie Grabsteine einer luxusmobilen Ära. Sie ergänzen perfekt den „Space Junk“ von Sonia Leimer – eine große geborstene Stahlkugel, die echtem Weltraumschrott nachempfunden ist.

Die Rumänin Ana Lupaș entwarf 1962 einen „Coat for reaching the Heaven“, einen Patchwork-Umhang auf Metallgestell für den Aufstieg ins All. Hier bildet er das Pendant zu den riesigen, silbern und orange leuchtenden Capes „Sonne“ und „Mond“, die die in Marokko geborene Multimedia-Künstlerin Nicola L. ab 1964 für ihre feministisch- planetarischen Performances anfertigte: Aus der Sicht der Sterne lässt sich die Erde völlig neu denken. „Observatory“ heißt diese Abteilung der Schau.

Triptychon mit Cyberpunk

Eine Etage tiefer landet man in „Arcade“, in einem vornehmlich virtuellen Arkadien. Lawrence Lek und LuYang zeigen hier computergenerierte Sphären, die sich an dem besagten „Worldbuilding“ aus dem Universum der Videospiele orientieren. Bei Lek firmieren künstliche Intelligenz und spekulative Fiktionen unter „Sinofuturismus“. Sein blau schimmerndes Landschaftsidyll „Nephtene Zone“ lädt auf eine Wellnessinsel ein, auf der man all seine Sorgen vergisst.

Arkadien ist virtuell: Lawrence Leks „Nepenthe Zone“ (Still)
Arkadien ist virtuell: Lawrence Leks „Nepenthe Zone“ (Still)
Quelle: Lawrence Lek via Museion

Weniger kontemplativ, aber ebenfalls auf Ich-Optimierung ausgerichtet, hat LuYang eine Kapelle mit Holzbänken, Kerzen, Schriftbannern und Monitoren gebaut, über die man in ihre Videoinstallation „Electromagnetic Brainologie“ eintaucht: Vier vor digitalem Dekor überbordende Hindu-Gottheiten tanzen auf der Stelle, als warteten sie auf ihre Aktivierung durch einen Spieler. Wie bei einem Triptychon sind ihre Screens seitlich eines großen zentralen Monitors angebracht, auf dem eine martialisch inszenierte Hauptfigur die Lösung mentaler Maläsen anpreist – die musikalische Untermalung ist lauter, enervierender Cyberpunk.

Dass Techno der Ausgangspunkt für die Ausstellungstrilogie war, wird eine Etage tiefer im „Third Earth Archive“ zelebriert und afrofuturistisch interpretiert: DeForrest Brown, Jr. – Autor des Buches „Assembling a Black Counter Culture“ und Aktivist der mit dem fragwürdigen Titel versehenen Kampagne „Make Techno Black Again“ – hat als Ko-Kurator eine alternative Zeittafel des Techno sowie ein Archiv aus 34 Jahren an Albumcovern des Detroiter Grafikkünstlers AbuQadim Haqq auf Regalen zusammengestellt, unterlegt von entsprechendem Elektrosound. Haqq verhandelt in seinen Graphic Novels den Mythos des Reiches Drexciya, eine laut Begleitheft „selbstermächtigende Mythologie oder ‚Black Exodus Technology‘, um koloniale Gewalt durch Kampfgeist zu überwinden“ und die am Ende der Zukunft beginnt.

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Man mag diesen Ausstellungsteil als nicht ganz einleuchtend empfinden, als qualitativ nicht auf Augenhöhe mit den anderen Arbeiten und dem inhaltlich ansonsten stimmig gelenkten und von dem Designerduo Diogo Passarinho Studio überaus sinnlich-elegant gestalteten Parcours in der Schau. Doch genau dieses Gefühl des „Fremdkörpers“, den man eher einer spezifischen Subkultur als der bildenden Kunst zurechnen muss, lässt einen über die eigene Haltung stolpern, über die Erwartungen an und die Sichtweisen auf Kunst, die man gedanklich automatisch abspult. „Open“, so erstrahlt im Erdgeschoss über dem Eingang Riccardo Previdis fröhliches Leuchtschild und meint dabei vor allem Offenheit im Kopf.

Einbruch der Wirklichkeit

Tatsächlich sind es die erstaunlichen Behauptungen, an sich die Spannungskurve dieser Ausstellung knüpft. Um zu hoffen, muss man das Gegebene infrage stellen, die Realität perspektivisch neu denken und Visionär sein. Darin liegt der selbstermächtigende, spielerisch-spirituelle Unterton, der viele Arbeiten durchdringt. Die meisten Künstler hier sind einem größeren Publikum unbekannt und ihre Werke versperren sich dem Markt – auch das gibt Anlass zur Hoffnung, nämlich dass Museen durchaus zu ausschweifenden Entdeckungsreisen jenseits berühmter oder angesagter Namen einladen dürfen, was in der institutionellen Kunstwelt heute keine Selbstverständlichkeit ist.

Und doch: Angesichts der aktuellen Ereignisse in Israel kann man sich inmitten dieser Feier der Hoffnung dem Gefühl der Hilflosigkeit nicht erwehren. Sie verweisen die Kunst gnadenlos auf den Platz der Utopie zurück und rücken sie weit weg von dem brutalen, realen Weltgeschehen, dem keine künstlerische Imagination Einhalt gebieten kann.

Und so sind es am Ende die Arbeiten des französisch-algerischen Künstlers Neïl Beloufa, die am ehesten im Gedächtnis bleiben: In einer Reihe von modernistischen Reliefbildern aus Kunstleder sind abstrahierte Menschen an ihren Smartphones und Tablets zu sehen und zu hören: Beim Strandurlaub unterhalten sie sich über das Ohnmachtsgefühl beim Betrachten eines Unglücks in der Fern, wobei Ruhe und Erholung in der Komfortzone dann aber doch wichtiger sind als die Katastrophen auf der Welt. Der Hohn, der in dieser Entlarvung gesellschaftlicher Machtstrukturen und Privilegien mitschwingt, lässt jede Hoffnung auf eine bessere Welt, auf Solidarität und Fürsorge eiskalt zur Hölle fahren.

„Hope“ ist noch bis zum 25. Februar 2024 im Museion Bozen zu sehen.

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