WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Berliner Kultur: Als Frauen noch erotisch waren und Klasse hatten

Meinung Berliner Kultur

Als Frauen noch erotisch waren und Klasse hatten

Leitender Feuilletonredakteur
Schwadronieren über erotische und publizistische Erfolge: Nicolaus Sombarts (mit Schal) Salon im Januar 1994 Schwadronieren über erotische und publizistische Erfolge: Nicolaus Sombarts (mit Schal) Salon im Januar 1994
Schwadronieren über erotische und publizistische Erfolge: Nicolaus Sombarts (mit Schal) Salon im Januar 1994
Quelle: Ute Mahler/OSTKREUZ
Ach, wie ich sie liebte, die Berliner Literatur-Salons der Neunzigerjahre. Dann wurden sie fad. Schuld daran waren meist die Frauen. Gott sei Dank ist das jetzt hier und da wieder anders.

Mein Gott, war ich verrückt danach. Als ich vor nun auch schon bald 25 Jahren Literaturchef des Berliner „Tagesspiegels“ wurde, schrieb ich darum in einem Artikel, die Berliner Literaturhäuser gehörten abgeschafft. Die Zukunft liege im literarischen Salon. Nicht dumpfes Brüten über Texten, von denen nur die linke Gesinnung, wenn vorhanden, goutiert wurde, schwebte mir vor, sondern ein beschwingter Austausch allgemein interessierter, gebildeter Menschen.

Angesichts der wenig urbanen Herrschaften, die sich damals auf den literarischen Foren der deutschen Hauptstadt tummelten, dachte ich, es wäre doch ganz schön, wenn die Berliner Geselligkeit von den vielen Neuzugängen profitieren könnte, die die Hauptstadtwürde ihr unweigerlich bescheren müsste. In meinem grenzenlosen Optimismus stellte ich mir die menschliche Mischung, die da entstehen würde, als eine solche vor, in der Witz, Esprit, Charme und eine gewisse ästhetische Vorzeigbarkeit triumphieren sollten. Und dazu brauchten wir Salons, Salons, Salons!

Wie kam ich nur auf diese komische Idee? Nun, ich hatte zunächst einmal, wie viele bürgerliche Intellektuelle meiner Generation, Nicolaus Sombarts Buch „Jugend in Berlin“ verschlungen. Das kam 1984 heraus und erzählte in leuchtenden Farben vom Salon seiner Mutter. Dort hatte im Berliner Grunewald das tout Berlin der Zwischenkriegszeit, teilweise sogar bis in den Krieg hinein, seine Feuerwerke kunstseliger Beredsamkeit abgebrannt. Und ich hatte bei Hermann Wiesler, seines Zeichens Professor an der Hochschule der Künste, als Student mit Wonne erlebt, wie ein Salon in den Achtzigerjahren aussehen konnte.

Erst mit den Frauen kam Leben in die Bude

In Wieslers riesiger Altbauwohnung am Holsteiner Ufer (Tiergarten) strömte einmal im Monat zusammen, was im alten West-Berlin an intellektueller und künstlerischer monde existierte, um sich bei Käse und Wein auszutauschen. Auszustellen! Originale wie der Hausherr, ebenso ein Meister der Selbstdarstellung wie der Germanist Peter Wapnewski, schräge Vögel vom Schlage des Malers Salomé, verzickte Kritikerinnen à la Sibylle Wirsing, der „Schaubühnen“-Beau Greger Hansen, alter Adel und jede Menge junge Hüpfer führten dort, so wollte es mir scheinen, die alten Zeiten, wie bei Sombart, wieder auf.

Ein trauriger Versuch, die Berliner Salonkultur wiederzubeleben: „Pasta e opera“ im Salon Oxymoron in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte
Ein trauriger Versuch, die Berliner Salonkultur wiederzubeleben: „Pasta e opera“ im Salon Oxymoron in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte
Quelle: picture-alliance / ZB

Übrigens lernte ich den auch dort kennen. Er arbeitete sich nach wie vor an seinem deutschnationalen Vater ab und pries seine ins Orientalische stilisierte (rumänische) Mutter als Erlöserfigur für deutsche Verklemmungen und Verspannungen. Das fand damals großen Widerhall. Und ich als Muttersohn fand es sowieso toll.

Nur mit Frauen kam Leben in die Bude. Um aber noch eine Weile bei Sombart zu bleiben: Ich sehe mich noch, wie ich ihm, der auf einem üppigen Louis-Philippe-Fauteuil thronte, buchstäblich zu Füßen saß und lauschte – jung und bereit zu verehren, wie ich war. Als ich dann Mitglied des „Tagesspiegel“-Feuilletons und für ihn ein Jemand geworden war, lud er auch mich zu seinem Jour fixe ein.

Ohne Erotik geht gar nichts

Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt und hoffte, endlich mit jenen beautiful people auf Augenhöhe zu verkehren, die ich seit meinen Studententagen so vermisste und im Literaturbetrieb genauso wenig fand wie in der Redaktion. Ich schätzte die Bücher von Sombart viel zu sehr, um mir meine Enttäuschung gleich einzugestehen. Aber irgendwann konnte selbst ich es nicht mehr verdrängen: Diese Veranstaltungen, bei denen der alte Herr in tief gelegenem Sessel sich so setzte, dass er die langen Beine diverser junger Damen, die teilweise den obskursten Gewerben nachgingen, bewundern konnte und von seinen publizistischen wie erotischen Erfolgen erzählte: Sie langweilten doch kolossal.

Sie langweilten auch deshalb, weil nie jemand wagte, rhetorisch das Ruder herumzureißen und sich selbst in Szene zu setzen. Aber wo hätten es die Koryphäen aus dem Wissenschaftskolleg oder den Berliner Universitäten auch hernehmen sollen? Sie waren allesamt keine Meister der Konversation, vielmehr ungewandt, linkisch, und, im Gegensatz zum Herrn des Hauses, der wenigstens in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voranging, auch kaum zum Flirten aufgelegt.

Ein Salon ist kein Seminar

Und mir ging ein Licht auf: Ohne Erotik, ohne dieses subtile Wechselspiel zwischen Mann und Frau, zwischen Männern, zwischen Frauen, ist Geselligkeit nur öder Zeitvertreib. Der einem nicht einmal einbrachte, was beispielsweise in Frankreich von alters her der Mehrwert regelmäßigen Verkehrs in den Salons der guten Gesellschaft war: Prestige. Denn bei Deutschlands Intellektuellen galten vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren soziale Fähigkeiten gar nix. Ein deutscher Intellektueller dozierte oder schwieg mürrisch vor sich hin. Etwas Drittes gab es nicht. Da hat sich erfreulicherweise in den vergangenen Jahrzehnten einiges zum Guten verändert.

Erstens: Charme. Zweitens: Balance. Drittens: Klasse

Anzeige

Trotzdem ist die Berliner Salonkultur noch längst nicht wieder so weit wie vor dem Krieg oder wie zu Wieslers Zeiten. Obwohl spätestens seit dem Regierungsumzug von 1998 die Salons hier förmlich wie die Pilze aus dem Boden schießen. Eine Ausnahme lasse ich gelten, doch dazu später. Erst einmal möchte ich doch deutlich sagen: Die mangelnde Kultur liegt nicht zuletzt daran, dass die Frauen schwächeln. Das sage ich, der seine ganze Hoffnung in sie gesetzt hat! Aber wenn ich bedenke, was ich in den vergangenen Jahrzehnten bei Literaturagentinnen, Verlegerinnen oder sonstigen weiblichen Betriebsgrößen an Abenden erlebt habe, dann muss ich sagen: Über reines Branchengeschwätz ging es selten hinaus.

Und wenn man sich doch einmal mit jemanden anregend unterhalten hat, dann lag es jedenfalls nicht an der Gastgeberin. Da dominierte und dominiert in Berlin die Geschäftstüchtigkeit von Karrierefrauen, die in ihren Privaträumen die Gemütlichkeit eines Bahnhofs verströmen. Zwei Ausnahmen will ich ausdrücklich nennen: Barbara Mohnheim und Carolin Fischer. Doch die eine residiert auf Schwanenwerder, also weit ab vom Schuss. Die andere ist längst über alle Berge und amtiert nun als Salonkönigin von Pau in den Pyrenäen.

Diese beiden reizenden weiblichen Wesen haben zweierlei begriffen, was für die Atmosphäre eines jeden Zirkels unverzichtbar ist, wenn er sich als Teil des gesellschaftlichen Lebens einer Stadt etablieren will. Erstens: Es muss ihm jemand „vorstehen“. Eine charismatische Persönlichkeit, sie sei, wie sie sei, aber eben jemand, der als Mittelpunkt der Kommunikation das Magnetfeld bildet, auf das sich alle einstellen. Und zweitens: Diese Person muss es schaffen, die Balance zu finden zwischen den Habitués unter den Gästen, die möglichst auch untereinander befreundet, sich zumindest wohlgesonnen sind, und den Neuen. Letztere beleben das Geschehen, während erstere es vor allem befestigen.

Mehr Grazie, liebe Intellektuelle!

Und noch ein Drittes: Das alles hat nichts mit Masse zu tun, sondern mit Klasse. Der wahre Salonbesucher will Exklusivität. Er will auch genüsslich über die, die nicht dabei sind, lästern. Vielleicht sogar über Anwesende, aber leichtfüßig, mit Lust an der bösen Pointe natürlich, doch aus einer spielerischen Ausdrucksfreude heraus.

Im Grünen Salon in Berlin
Im Grünen Salon in Berlin
Quelle: picture-alliance / ZB

Natürlich ist ein Salon kein Seminar. Hier ist nicht so sehr Kritik gefordert als Affirmation. Hier vergewissert sich eine Gesellschaft ihrer selbst, aber nicht brav und bieder, sondern mit einer Grazie, die Ironie und Spott keineswegs ausschließt. Das muss man deutschen Intellektuellen meist mühsam beibringen.

Nun gehe ich seit einigen Jahren regelmäßig zu einem Paar in Berlin, von dem mir erst in letzter Zeit aufging, dass es ja auch einen Salon führt und dass es eigentlich niemanden gibt, der im Berliner Kulturleben etwas darstellt, der nicht dort war: Intendanten und Galeristen, Spitzen der Wissenschaft und kultureller Stiftungen, in der Hauptsache aber kreatives Jungvolk. Ich habe zu dieser Erkenntnis auch deshalb lange gebraucht, weil die beiden Salonisten – es handelt sich um zwei Herren – ganz unprätentiös, herzlich und zupackend sind.

Endlich wieder hübsche Menschen

Ich spreche von Ulrich Köstlin, früher im Vorstand bei Schering, dann bei Bayer, und seinem Partner Nathan. Köstlin fördert, respektive sammelt ausschließlich junge Künstler. Er ist sich übrigens nicht zu schade, bei seinen Soiréen, die in einem jener wenigen erhaltenen Häuser stattfinden, die noch zur Grundbebauung der alten Friedrichstadt gehören, nach den Darbietungen die Schürze umzubinden. Dann gibt es erst mal für alle einen Teller Suppe, die der passionierte Koch selbst gezaubert hat.

Anzeige

Natürlich ist es durch und durch sein Reich, in dem wir uns befinden. Schwäbisches Herkunftsbewusstsein, das sich im Ahnensaal an den Familienbildern ablesen lässt, von denen das älteste den Theologen Nathanael Köstlin zeigt, den Hölderlin so sehr als seinen geistigen Vater verehrte, verbindet sich ganz unkompliziert mit großer Aufgeschlossenheit für unsere Netzgesellschaft und ihre digitalen Möglichkeiten.

Ulrich Köstlin gibt sogar unumwunden zu, dass er diese barbarischen E-Books liest! Übrigens ist er von Haus aus Jurist, also kein Diskursschwätzer, sondern jemand, der eine geradezu rührend naive Begeisterungsfähigkeit für jede Form von Kreativität aufbringt. Das kommt ja oft bei Menschen vor, die manch reizvollen Aspekte des Lebens erst spät entdecken. Trotzdem: Wenn er, was hin und wieder vorkommt, Künstler zu ihrem Tun befragt, geschieht das so sachgemäß, dass sich mancher Kulturjournalist ein Beispiel nehmen könnte.

Die Hauptsache aber: Man sieht hübsche Menschen hier. Ich würde sagen, auf jede Eminenz kommen zwei Leute, die die Eminenz noch vor sich haben. Und das ist das Geheimnis des Erfolgs. Das wissen die Jüngeren zu schätzen, die hier untereinander reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und wir Älteren, denen die Eminenzen längst wurscht sind, schätzen es erst recht.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema