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Literatur Josip Broz Tito

Wie konnte ein Diktator nur so beliebt sein?

Redakteur im Feuilleton
Der lächelnde Diktator: Tito als jugoslawischer Präsient im Jahr 1975 Der lächelnde Diktator: Tito als jugoslawischer Präsient im Jahr 1975
Der lächelnde Diktator: Tito als jugoslawischer Präsient im Jahr 1975
Quelle: Getty Images
Charisma als Beruf: Eine neue Biografie beleuchtet den früheren jugoslawischen Diktator Tito. Er war der einzige kommunistische Staatschef, der Stalin die Stirn bot. Auch der Westen liebte ihn.

Vorab soviel: Ich bin befangen, gewissermaßen schon als Kind der Tito-Propaganda anheimgefallen. Es war im Jugoslawienurlaub der Achtzigerjahre, als ich mit meinen Eltern Titos Privatzoo auf den Brioni-Inseln besuchte und zum ersten Mal in meinem Leben wilde Tiere sah. All die Zebras, Antilopen, und Giraffen, seien Geschenke ausländischer Staatsgäste gewesen, hieß es.

Tito war ein halbes Jahrzehnt tot und sein Archipel soeben für den Schautourismus geöffnet worden. Die ganze Anlage wurde weiterhin bewacht, gehegt und gepflegt, als wäre der Diktator nur mal eben mit der Yacht aufs Meer.

Mutmaßlich in Marschalluniform und einem Staatsgast der Liga Leonid Breschnew, Richard Nixon, Willy Brandt, Gaddafi, Ho Chi Minh. Oder einem Filmstar der Sorte Sofia Loren, Liz Taylor, Richard Burton. Ja, sie gingen alle ein und aus – und er bei ihnen. 170 Auslandsreisen zählt Jože Pirjevec in seiner monumentalen Tito-Biografie, die sein deutscher Verlag nicht unbescheiden „Die Biografie“ nennt.

Der Anzugträger: Selbst im Weinberg zeigte sich Tito am liebsten in Ausgehuniform. Auch in der neuen Tito-Biografie von Jože Pirjevec wird sein Anzug- und Uniformfetisch thematisiert
Der Anzugträger: Selbst im Weinberg zeigte sich Tito am liebsten in Ausgehuniform. Auch in der neuen Tito-Biografie von Jože Pirjevec wird sein Anzug- und Uniformfetisch thematisie...rt
Quelle: picture alliance / dpa / United Archiv

Pirjevec, ein 1940 in Triest geborener, italienisch-slowenischer Historiker, der heute an der Universität von Koper in Slowenien tätig ist, beschäftigt sich seit über dreißig Jahren mit Tito. Sein Quellenstudium in postjugoslawischen und postsowjetischen Archiven dürfte in der internationalen Tito-Forschung beispiellos sein.

Dass der jugoslawische Diktator immer noch oder wieder interessiert, hat nicht nur mit „Jugonostalgie“ zu tun – einem Begriff, der in den ex-jugoslawischen Staaten längst einschlägig geworden ist. Am 25. Juni dieses Jahres jähren sich die slowenische und die kroatische Unabhängigkeitserklärung zum 25. Mal. Beide besiegelten 1991 den Anfang vom Ende des Vielvölkerstaates.

Mit dem Abstand eines Vierteljahrhunderts stellt sich die Frage einer historischen Bilanz: Hatte Jugoslawien tatsächlich nur wegen, mit und unter Tito Bestand? Oder hatte sich seine „kohäsive Kraft“ nicht ohnehin schon zu Titos Lebzeiten verflüchtigt? Pirjevec gibt diesbezüglich schlüssige Antworten.

Der charismatische Lebemann: Tito mit seiner Frau Jovanka im Jahr 1956
Der charismatische Lebemann: Tito mit seiner Frau Jovanka im Jahr 1956
Quelle: picture alliance / dpa / United Archiv

Zunächst aber stellen sich Fragen. Kann eine Biografie, die mit „Titos Augen“ beginnt und „Titos Frauen“ endet, kritisch geraten sein? Nun, was nach Effekthascherei im Modus einer Schlüssellochbiografie klingt, ist eine Reminiszenz an den real existierenden Tito-Kult. Es wäre für jede Tito-Biografie hochmütig, das wegzulassen, was konstitutiver Bestandteil seiner Herrschaft war.

Das Charismatische trug ihn vom siegreichen Partisanenführer bis ins Amt des jugoslawischen Staatspräsidenten, der mit Queen Elisabeth II. auf Brioni Walzer tanzte. „Wenn dieser Mann Mechaniker ist, bin ich nicht die englische Königin“, soll die Queen nach der Begegnung gesagt haben.

Wenn dieser Mann Mechaniker ist, bin ich nicht die englische Königin
Queen Elizabeth II., nach ihrer Begegnung mit Tito auf Brioni im Jahr 1972

Tatsächlich war Josip Broz, wie er bürgerlich hieß, wohl nur aus Versehen Schlosser von Beruf. Lieber wäre er Kellner oder Schneider geworden. Sein Fetisch für Paradeuniformen und Galaanzüge war, wie Tito einmal meinte, für einen Provinzuntertan der Habsburgermonarchie normal. 1892 im Dorf Kumrovec (heute an der slowenisch-kroatischen Grenze) geboren, ging er schon 1910 als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet und nach Bayern.

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Als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpfte er für Österreich-Ungarn in Ostgalizien, geriet in russische Gefangenschaft und lernte darüber den Kommunismus als Idee und Partei kennen. Tito, den in seiner Heimatregion geläufigen Rufnamen, legte er sich 1934 zu.

Der coole Partisanenführer: Josip Broz Tito im Jahr 1942
Der coole Partisanenführer: Josip Broz Tito im Jahr 1942
Quelle: Gamma Keystone via Getty Images

Akribisch zeichnet Pirjevec Titos Werdegang und seine Karriere in der kommunistischen Partei Jugoslawiens nach, seinen Aufstieg zum Partisanenführer im Zweiten Weltkrieg und seine Konsolidierung der Macht.

Wir erfahren, wie Hitler, der den Balkan im Duett mit Mussolini besetzt hatte, im „Unternehmen Rösselsprung“ 1944 jeden Soldaten mit einem Tito-Foto in der Tasche ausstattete, um den verfluchten Partisanenführer, besser fassen zu können. Tito schlief, wie Pirjevec berichtet, zu dieser Zeit jede Nacht in Uniform (was ihm ja tendenziell gefiel) und mit Pistole unterm Kopfkissen.

Titos nationaler Ruhm gründet im Partisanenkrieg, sein internationales Momentum in der Geschichte des 20. Jahrhunderts schlägt nach 1945, als er Stalin die Stirn bietet und in Jugoslawien keinen Kommunismus Moskauer Prägung etablieren will, sondern einen Selbstverwaltungssozialismus eigener Schule. Dieser Akt der Emanzipation ist für Pirjevec weiterhin „eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte des Kommunismus. Zum ersten Mal eröffnete sich die Möglichkeit einer Häresie, die eine territoriale Basis hatte“.

Tito blieb bis zum letzten Augenblick seines Lebens im Kern ein Guerillaführer
Jože Pirjevec, Tito-Biograf

Aus der Verweigerung, sich in der Entweder-oder-Option des Kalten Kriegs auf eine Seite zu schlagen, begründete Tito den sogenannten dritten Weg. Dogmatisch oder theoretisch überformt war sein Sozialismusverständnis nie. „Genosse Chruschtschow sagt wiederholt, dass man den Sozialismus nicht mit amerikanischem Weizen errichten könne.“

Kann man doch, lautete Titos sinngemäßes Credo. Die Position, in der Jugoslawien sich sowohl vom Westen wie vom Osten hofieren lassen konnte, gab ihm recht.

Er bot Stalin die Stirn

De facto ging es nicht nur um pragmatische Vorteilsnahme. Zwar bot die Gründung der Blockfreienbewegung Tito die „Möglichkeit, auf internationaler politischer Bühne eine Rolle zu spielen“. Und zwar eine Rolle, die Jugoslawien „Einfluss und Prestige sicherte, das seine wirtschaftliche und militärische Bedeutung bei Weitem überstieg“.

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Aber für Pirjevec wiegt etwas anderes noch stärker: „Tito blieb bis zum letzten Augenblick seines Lebens im Kern ein Guerillaführer.“

Der geschätzte Staatsgast: Tito trifft Bundeskanzler Helmut Schmidt 1974 in Bonn
Der geschätzte Staatsgast: Tito trifft Bundeskanzler Helmut Schmidt 1974 in Bonn
Quelle: Getty Images

Eben wegen seiner doppelten Erfahrung als Befreiungskämpfer – gegen die deutschen und italienischen Besatzer im Krieg, und gegen die Sozialismushoheit der Sowjetunion – standen ihm Befreiungsbewegungen gegen jede Art von Imperialismus und Kolonialismus nahe.

Sein Ideal einer Ordnung jenseits asymmetrischer Wirtschaftsverhältnisse, wie sie für reine Rohstoffexportländer bis heute typisch sind, fand in den (ehemaligen) Kolonien Lateinamerikas, Afrikas und Asien reges Gehör. Jugoslawien, das es gegenüber den sowjetisch unterjochten Nachbarstaaten in Osteuropa zu vergleichsweise mehr Wohlstand und Freiheit gebracht hatte, konnte zum internationalen Role Model avancieren.

Das half dem Staat und Tito als Staatsmann freilich noch gar nichts für den inneren Zusammenhalt: „Jugoslawien war einer der offensten Staaten der Welt, was Touristen wie Einheimische betraf, die ohne Visum in ganze vierundvierzig Staaten reisen konnten. Die Jugoslawen genossen alle Freiheiten, außer der Freiheit der Rede. In diesem Detail steckte der Wurm der Zersetzung. Weil es keine Meinungsfreiheit gab, war es auch nicht möglich, offen darüber zu sprechen, wie die Zukunft Jugoslawiens nach Titos Tod aussehen sollte.“

Innerjugoslawische Konflikte

So muss jede Tito-Biografie zwangsläufig die Geschichte eines gescheiterten Staatswesens miterzählen. Einen überzeugenden Punkt setzt Pirjevec, indem er die Kontinuität der innerjugoslawischen Nationalismen schon zu Titos Lebzeiten aufzeigt: Schon während des Partisanenkampfs im Zweiten Weltkrieg ging die kroatische Ustascha in einer Art „Rassenrevolution“ gegen Juden, Roma und Serben vor.

„Bisher tranken wir dalmatinischen Wein, jetzt trinken wir serbisches Blut“ – das skandierten die kroatischen Ultranationalisten nicht etwa im „Blutgericht“ (Pirjevec) der jugoslawischen Zerfallskriege nach 1991, sondern 1971. Da befand sich Jugoslawien scheinbar auf dem Höhepunkt seines internationalen Ansehens, hatte ein Jahrzehnt mit durchschnittlich 7,2 Prozent Wirtschaftswachstum und einen ansehnlichen Strukturwandel hinter sich.

Gleichwohl, so Pirjevec, konnte die innerjugoslawische Spreizung der Lebensverhältnisse nie aufgehoben oder auch nur verringert werden. Der grundlegende Zwist, ob dieses Staatsgebilde eher mit möglichst viel Selbstständigkeit seiner Teilrepubliken (kroatische und slowenische Position), eher zentralistisch (Position der weniger entwickelten Republiken) oder hegemonial (im Sinne der Serben) zu organisieren sei, konnte nie beigelegt werden.

Tito, der die Föderation mit immer noch mehr Föderalismus retten wollte, wurde in Serbien bereits Anfang der Siebzigerjahre als „Totengräber Jugoslawiens“ bezeichnet. Pirjevec schleift also einige Mythen der Integrationsfigur Tito, er sieht das Grundproblem in einer „Autokratie, der es nicht gelang, den Übergang vom Einparteienregime zu einem System des politischen und ökonomischen Pluralismus zu bewerkstelligen“.

Das „Brioni-Regime“

Tito war als Diktator bis zu seinem Tod 1980 Teil des Problems, nicht der Lösung. Je länger Tito an der Macht war, desto evidenter wurde auch die Krux seines „Brioni-Regimes“.

Tito hielt, zum Ärger seiner vierten Frau Jovanka gern auch an der Seite seiner Masseurinnen, auf seinem mediterranen Eiland Hof, ließ die Partei- und Politgremien mal machen und sich im Zweifel geheimdienstlich über alles unterrichten. Soviel hatte er bei Stalin, der ihm bis 1953 nach dem Leben trachtete, gelernt. Nach Stalins Tod ließ Tito seinerseits Säuberungen durchführen, schickte 15.000 jugoslawische Stalin-Anhänger in ein Strafgefangenenlager. Das jugoslawische Sibirien war die kahle Karstinsel Goli Otok in der Kvarner Bucht.

Der gesellige Gastgeber: Tito und Bundeskanzler Willy Brandt (r.) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brioni im Jahr 1973
Der gesellige Gastgeber: Tito und Bundeskanzler Willy Brandt (r.) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brioni im Jahr 1973
Quelle: picture alliance / dpa

Wie nur konnte Tito trotz alledem so sympathisch rüberkommen, ja in einen „Honeymoon“ (Pirjevec) mit der europäischen Sozialdemokratie geraten, die ihm 1973 sogar den Friedensnobelpreis zutragen wollte? Es scheiterte, weil ihn auch die Sowjets empfahlen, danach wollte der Westen nicht mehr.

„Da er für sich nicht beanspruchen konnte, eine Autorität auf ideologischem Gebiet zu sein, wie es bei Lenin oder Stalin der Fall war, war Tito gezwungen, sich das Charisma durch Gesten der Macht zu schaffen, zu denen eine luxuriöse Lebensweise gehörte“, schreibt Jože Pirjevec. Das klingt geplanter, als es sich realiter vollzogen haben mag. Tito konnte nichts anderes als Charisma. Und er war unideologisch genug in ideologisch verhärteten Zeiten.

Jože Pirjevec: „Tito. Die Biografie“. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Kunstmann, München. 720 S., 39,95 €.

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