„Wenn sie deine Tür eintreten, wie wirst du ihnen entgegentreten? Mit erhobenen Händen oder mit gezogener Waffe“, fragte Paul Simonon von The Clash 1979 in „The Guns of Brixton“.
Die Londoner Punks erwiesen sich mit ihrem inzwischen zum Klassiker geronnenen Song als äußert prophetisch. Zwei Jahre später, im April 1981, brannte Brixton.
Die Ausschreitungen waren das Resultat eines explosiven sozialen und wirtschaftlichen Gemischs. Die vornehmlich aus Afrika und der Karibik stammenden Bevölkerung des südlichen Londoner Stadtteils hatte jegliche wirtschaftliche Perspektive verloren, die Kriminalität stieg, die Lebenssituation verschlechterte sich täglich.
„Guns of Brixton“ für Deutschland
England steckte tief in einer Rezession, Politik und Polizei reagierte mit rassistischen Vorurteilen gegen die Proteste der Anwohner. Am Ende gab es mehr als 300 Verletzte, 150 Gebäude brannten.
„Ich hab ein’ roten Knopf/ Mit einem Totenkopf/ Wenn ich ihn drücke, dann geht alles hoch am Block“, sang das Berliner Rap-Kollektiv K.I.Z. im Frühjahr 2015. Ihr Lied „Boom Boom Boom“ und das passende Musikvideo war eine Art „Guns of Brixton“ für ganz Deutschland.
Obwohl damals bei vielen in der Bundesrepublik noch Willkommenskultur praktiziert wurde angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise, ahnten Tarek, Maxim und Nico bereits, dass dieses Gefühl nicht lange anhalten würde.
Statt Reggae-Anleihen wie The Clash nutzen K.I.Z. lieber die Eurodancebeats à la Vengaboys, um zum Widerstand auszurufen. Andere Zeiten fordern eben andere Mittel.
Während die Londoner Ende der Siebzigerjahre in ihren Texten noch subtil auf den jamaikanischen Indie-Film „The Harder They Come“ anspielen konnten, um den nötigen Nachdruck zu erzielen, mussten sich die Berliner in Zeiten des medial überreizten Aufmerksamkeitskampfes drastischerer Mittel bedienen.
Im Musikvideo spielten sie mit der Terror-Ästhetik des sogenannten Islamischen Staates, ließen sich selbst in der Manier des rassistischen Ku-Klux-Klan aufhängen und machten mit der Flinte Jagd auf Anzugträger. Sie sangen: „Ihr Partypatrioten, seid nur weniger konsequent als diese Hakenkreuz-Idioten. Die gehn halt noch selber ein paar Ausländer töten, anstatt jemand’ zu bezahl’n, um sie vom Schlauchboot zu treten.“
Es war ein überspitztes und nur noch am Rande ironisches Manifest gegen die Gleichgültigkeit. Wer nichts sagt, macht sich mitschuldig. Und diese Schuld hat zunehmend existenzielle Konsequenzen.
Drei Jahre später erweisen sich auch K.I.Z. als prophetisch. Ihre Radikalität ist in der Mitte angekommen. Inzwischen steht selbst für gemäßigte, ja, unpolitische Bürger (egal ob CDU-, SPD- oder Nichtwähler, oder gar „FAZ“-Redakteur) die Frage im Raum, ob man nach den rechten Ausschreitungen bei den Demonstrationen in Chemnitz noch stumm bleiben kann, während die „Partypatrioten“ das Bild des Landes neu definieren.
Keiner dieser Bürger muss (und die wenigsten werden es tun) die Musik von K.I.Z. hören, um das Gefühl der Dringlichkeit – und darum geht es in der Kunst ja letztlich immer, um den Ausdruck eines Gefühls – nachspüren zu können. Man muss die Berliner Rapper noch nicht einmal mögen, um das zu verstehen.
Hip-Hop ist der neue Punk, das zeigt allein schon das Line-up des WirSindMehr-Konzerts in Chemnitz: Kraftklub, Die Toten Hosen und Feine Sahne Fischfilet sind die einzigen klassischen Gitarrenbands. Casper, Materia, Trettmann, Nura (ein Teil des Rap-Duos SXTN) und eben K.I.Z. vertreten den Hip-Hop auf der Bühne.
The Clash enden „The Guns of Brixton“ bekanntermaßen mit: „Man kann uns zerdrücken, man kann uns verletzten. Aber am Ende werden sie den Waffen aus Brixton Antwort stehen müssen.“ Danach hat es gebrannt in Brixton, allerdings nicht wegen The Clash.