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Politik Nachruf

Elisabeth Noelle – ein sehr deutsches Leben

Leitender Redakteur Geschichte
Keine moderne Demokratie kommt ohne Demoskopie aus. Dadurch beschränkt sich die Teilhabe der Bürger nicht nur auf Wahlen alle vier oder fünf Jahre. Nicht erfunden, aber in Deutschland eingeführt hat die repräsentative Demoskopie Elisabeth Noelle-Neumann. Jetzt ist sie 93-jährig gestorben.

In Allensbach, an einem der idyllischsten Plätze des Landes, hatte Elisabeth Noelle zusammen mit ihrem ersten Mann Ernst Peter Neumann 1947 das Institut für Demoskopie gegründet, und von hier aus trat die Methode der repräsentativen Umfragen ihren Siegeszug in Deutschland an. Wesentliche Starthilfe leistete dabei die Militärregierung des französisch besetzten Teils von Deutschland.

Die Offiziere dort wollten verlässliche Informationen über die Stimmungslage der Deutschen in ihrer Zone, und aus ihren Aufträgen an Elisabeth Noelle-Neumann für die ersten Umfragen wurde die Keimzelle für ihr Institut.

Elisabeth Noelle-Neumann lebte ein sehr deutsches Leben – mit harten biografischen Brüchen und harscher, oft ungerechter Kritik. Geboren wurde sie als Tochter eines Fabrikanten in Berlin am 19. Dezember 1916. Sie konnte unmittelbar nach ihrem Abitur ein Studium beginnen, mit den Schwerpunkten Geschichte, Philosophie, Zeitungswissenschaften und Amerikanistik. Als entscheidend für ihren weiteren Lebensweg erwies sich das Auslandsjahr, das sie 1937/38 als Studentin an der University of Missouri in Columbia verbrachte.

Denn hier lernte die junge, gewandte Frau die relativ junge Methodik sozialwissenschaftlich abgesicherter, repräsentativer Umfragen kennen. Zur Praxistauglichkeit entwickelt hatte dieses Verfahren vor allem George Gallup. Er hatte mit einer gegen die meisten anderen Prognosen gerichteten, letztlich zutreffenden Vorhersage über den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA 1936 sein Verfahren der Umfragen als das einzig verlässliche Instrument der Meinungsbefragung etabliert.

Elisabeth Noelle nahm ihr Wissen mit zurück nach Deutschland – in dem allerdings unter Hitler an Meinungsumfragen gar kein Interesse bestand. Sie setzte ihr Studium bei Emil Dovifat fort, dem schon damals international bekannten Kopf der deutschen Zeitungswissenschaft, und promovierte bei ihm 1940 mit einer Studie über „Meinungs- und Massenforschung in USA“. Diese Studie ebnete ihr 1946 den Weg, Meinungsumfragen in Westdeutschland zu etablieren.

Von Anfang an beschränkte sich das Institut für Demoskopie nicht auf rein parteipolitische und wahlstrategische Umfragen. In ihren Jahrbüchern für Demoskopie finden sich schon früh auch Umfragen zu zeithistorischen Fragen.

1951 zum Beispiel fragten die Interviewer aus Allensbach, die sich damals und bis heute vorwiegend auf persönliche Interviews stützten, nach der Bewertung der Attentäter vom 20. Juli1944. Knapp die Hälfte der Befragten äußerten sich sehr oder überwiegend negativ – eine Feststellung, die sich erst bei einer erneuten Umfrage 1984 grundsätzlich geändert hatte.

Elisabeth Noelle-Neumann wurde bald zu einer der wichtigsten Beraterinnen des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer; neben seinem Instinkt stützte er politische Entscheidungen vielfach auf Zahlen aus Allensbach – auch wenn er gegen oberflächlich wahrnehmbare Meinungstrends regierte.

Bald entstanden konkurrierende Meinungsforschungsinstitute, doch Allensbach blieb stets und bis heute eines der führenden Häuser. Noelle-Neumann baute neben ihrem Unternehmen zunächst an der Freien Universität Berlin, später an der Universität Mainz die Kommunikationswissenschaft auf; ihr blieb sie bis zu ihrem Tode verbunden.

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Zu den wesentlichen Arbeiten der Forscherin gehörte das Buch „Die Schweigespirale“ von 1980. Darin stellte sie die Theorie auf, in der Mediengesellschaft würde tendenziell die wahrgenommene Mehrheitsmeinung die Meinungsbildung dominieren. Das sei der zentrale Mechanismus, mit dem Presse und Rundfunk die Gesellschaft beeinflussten. Allerdings blieb diese These stets umstritten, da sie die Rolle der Journalisten über- und die Freiheit der Mediennutzer unterschätze, wie Kritiker zu bedenken gaben.

Ab den achtziger Jahren geriet Noelle-Neumanns Tätigkeit während des Dritten Reiches zunehmend in den Blick. Nach ihrer Promotion hatte bei der Goebbels-Wochenzeitung „Das Reich“ gearbeitet, die so etwas wie in Leitmedien der NS-Propaganda war.

Schließlich wollte sich der Propagandaminister die junge Journalistin sogar in sein Büro holen, was Noelle-Neumann aber vermeiden konnte: „Ich war entsetzt, ging nach Hause und wurde auf der Stelle krank. Sehr krank, ein halbes Jahr lang. Ich wog am Ende gerade noch 80 Pfund.“

Einzelne antisemitische Sätze in ihrer Dissertation wurden ihr dennoch immer wieder vorgeworfen, ebenso ihre Tätigkeit als Journalistin für „Das Reich“ und später bei der „Frankfurter Zeitung“ sowie nach deren Verbot bei anderen Redaktionen, allerdings nur anonym.

Als überzeugte Konservative und Unterstützerin von Helmut Kohl während seiner Zeit als Bundeskanzler hatte sie viele Feinde. An ihrem Engagement für die Demokratie Bundesrepublik jedoch konnte allen Vorwürfen und Zweifeln zum Trotz nie ein ernsthafter Zweifel bestehen.

In einem Interview zu ihrem 90. Geburtstag 2006 sagte sie der WELT: „Es ist schön, am Ende des Lebens – alles in allem – mit sich im Reinen zu sein und fast auf ein ganzes Jahrhundert zurückblicken zu können. Es ist, als könnte man mit den eigenen Erinnerungen in der Geschichte spazieren gehen.“

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