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Willkommen im ekligen „Schabenbunker“ des Bundes

Wanzen, Ratten, Schaben: Das Umweltbundesamt unterhält in Berlin ein Labor mit Dschungelcamp-Ekelfaktor. Zweck ist die Prüfung von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Ein Besuch im Bunker des Grauens.

Das Gefühl ist sofort da: Es kribbelt. Im Nacken, in den Haaren, unter den Kleidern. Alles Einbildung. Aber die Tiere, die es auslösen, sind echt. In einer Petrischale unter dem Mikroskop zappeln Dutzende von Kleiderläusen auf einem großen Stofffetzen. Daneben auf dem Tisch wimmelt in einem kleinen Behälter eine Armee von Bettwanzen.

„Nicht fallen lassen“, warnt Carola Kuhn. „Wenn die uns hier abhauen, haben wir ein Problem.“ Kuhn ist Zuchtleiterin im Labor Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, einer Zweigstelle des Umweltbundesamts im gutbürgerlichen Berliner Bezirk Dahlem.

„Schabenbunker“ heißt ihr Arbeitsplatz im internen Jargon. In dem Betongebäude wird all das gezüchtet, was sich der ekelnde Verstand nur ausmalen kann: Kakerlaken, Stechmücken, Wanzen, Ratten, Ameisen. Es ist gewissermaßen das offizielle Dschungelcamp des Bundes. Nur Spinnen fehlen. Deren Anblick mag für viele Menschen nervenaufreibend sein; Schädlinge sind sie aber keine – im Gegenteil.

Der Bunker des Grauens ist dem Infektionsschutzgesetz geschuldet. Ihm zufolge dürfen für die Bekämpfung von Schädlingen nur Mittel eingesetzt werden, die wirksam und keine Gefahr für die Gesundheit sind. Deshalb müssen sie vorher erprobt werden. Will ein Unternehmen ein neues Schädlingsmittel auf den Markt bringen, muss dieses erst die Prüfung des Umweltbundesamts bestehen.

Hier müssen Tiere regelmäßig sterben

Und so ist das Schädlingslabor ein Ort, an dem die Tiere nicht nur aufgepäppelt werden, sondern auch regelmäßig sterben müssen. An diesem Tag ist eine Gruppe angehender Lebensmittelkontrolleure aus ganz Deutschland zu Besuch. Der Ekel steht einigen ins Gesicht geschrieben, während sie durch die Gänge gehen, die mit ihren tropischen Temperaturen tatsächlich an Australien erinnern. Die Wärme ist notwendig, um in den Brutkästen ideale Bedingungen für das Schlüpfen der Larven zu schaffen.

Im Raum neben den Bettwanzen sind in großen Behältern vier verschiedene Schabenarten untergebracht. „Die sind überall, wo es etwas zu fressen gibt“, sagt Kuhn. Ein besonders imposantes Exemplar ist die Amerikanische Schabe: Sie ist rotbraun und wird 27 bis 30 Millimeter groß. Die nur elf bis 14 Millimeter große blassbraune Deutsche Schabe nimmt sich dagegen schmächtig aus. Sie bringt es auch nur auf vier Eierpakete pro Schabenleben; ihre amerikanische Artgenossin hingegen auf 20 bis 60.

Noch beeindruckender ist die Fauchschabe. Sie ist fast handtellergroß und damit ideal geeignet für eine ganz persönliche Dschungelprüfung. Doch als man das Tier in die Hand nehmen will, faucht es namensgetreu und verschwindet in der Ritze seines Behälters. „Ja, das machen sie, wenn man sie anfasst“, sagt Kuhn.

Die 41-Jährige geht mit der pragmatischen Gelassenheit einer Biologin mit den Tieren um. Nüchtern erzählt sie den Besuchern eine Horrorgeschichte nach der anderen. Von einer befallenen Wohnung, in die sie und ihre Mitarbeiter gerufen wurden und in der sie 10.000 Wanzen vorfanden.

Bettwanzen verbreiten sich in Deutschland

Oder jenem Mehrfamilienhaus: Als sie durch die Haustür ging, sah Kuhn die Wanzen schon an den Wänden hängen. Diese hatten sich von einer befallenen Wohnung aus im ganzen Gebäude verbreitet. Den weißen Schutzoverall zieht sich Kuhn meist trotzdem erst in der Wohnung an. Sie will die Menschen nicht noch zusätzlich verschrecken. „Bettwanzenbefall ist für die Betroffenen eine enorme psychische Belastung“, sagt sie. Die Tiere fallen dort ein, wo Menschen ein besonderes Schutzbedürfnis haben.

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Und es werden immer mehr in den großen Städten. Wurden 2004 bei der New Yorker Stadtverwaltung 537 Fälle von Bettwanzen angezeigt, waren es 2009 bereits 10.985. Auch in Deutschland breiten sich die Populationen aus. Das liegt daran, dass die Menschen mehr reisen und der Handel mit Gebrauchtmöbeln zugenommen hat.

Bettwanzen, sagt Carola Kuhn, könne man sich leicht holen. Ein auf dem Flohmarkt gekaufter Rahmen kann ebenso kontaminiert sein wie das Hotelbett im Urlaub. Wer seinen Koffer daneben abstellt, kann schon Pech haben. Eine Wanze ist bei ihren nächtlichen Blutrauschtouren schnell hineingeschlüpft.

Taubenzecken sind besonders tückisch

Viele Urlauber würden nach ihrer Rückkehr zunächst gar nicht merken, welch unangenehmes Souvenir sie sich mitgebracht haben, erklärt Kuhn. Denn Bettwanzen verstecken sich gern in Ritzen, kommen nur nachts zum Blutsaugen herausgekrochen. Nicht jeder reagiert auf den Biss mit Pusteln, manche bemerken ihn nicht einmal. Dabei gilt: Je früher man den Kammerjäger holt, umso besser kann man die Plage wieder in den Griff bekommen. Sie selbst, sagt Kuhn, überprüfe in jedem Urlaub als Erstes das Zimmer. Wenn sie auf dem Kissen dunkle Punkte entdeckt, wechselt sie den Raum.

Zu den unangenehmsten Zeitgenossen, die der „Schabenbunker“ birgt, gehören die Taubenzecken. Sie sehen recht unscheinbar aus und ernähren sich von Taubenblut. Wie die meisten der hier lebende Schädlinge sind sie zähe Biester, können monatelang ohne Nahrung auskommen.

Doch haben sie erst einmal in großer Zahl über ihre Wirtstiere eine neue Dachgeschosswohnung befallen, muss diese schlimmstenfalls zurückgebaut werden. Ein Biss der Taubenzecke kann nicht nur Allergien auslösen, sondern theoretisch auch den Erreger des sogenannten Q-Fiebers übertragen, eine meldepflichtige Krankheit mit grippeähnlichen Symptomen.

Rund 20 Mitarbeiter arbeiten im „Schabenbunker“ daran, diese Plagen in den Griff zu bekommen. Regelmäßig werden neue Mittel ausprobiert. Mit der Stoppuhr wird dann gemessen, wie lange eine Wanze, eine Schabe oder eine Zecke zum Sterben braucht. Wichtig ist die Dosierung. Selbst bei starken Giften kann ein falscher Einsatz dazu führen, dass die Tiere überleben. Zumal diese schnell und häufig Resistenzen entwickeln. Dann müssen neue Wirkstoffe gefunden werden.

„Leid der Menschen wiegt schwerer“

Gegenüber der Sektion der Gliedertiere liegt der Trakt der Nager. Das Reich von Erik Schmolz. Der 48-Jährige ist Leiter der Wirbeltierzucht, kümmert sich darum, dass wirkungsvolle Mittel gegen Rattenbefall gefunden werden. Fünf verschiedene Ratten- und Mäusearten werden in seinem Bereich gezüchtet.

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Im legeren Pulli führt der freundliche Zoologe in eines der Gehege. Schnell sind die scheuen Tiere in einer Holzbox verschwunden. Plötzlich raschelt es auf dem Baum, der im Gehege steht. Eine Ratte sitzt hoch oben im Geäst, ganz so, als würde sie sich für einen Vogel halten. „Das ist eine Art, die gerne klettert“, sagt Schmolz. Manchmal tue es einem schon leid, wenn die Tiere im Labor getötet werden. „Aber wenn eine Wohnung von Ratten befallen ist, dann wiegt das Leid der Menschen schwerer als das der Tiere.“ Im Labor ist man trotzdem bemüht, die Versuche auf das Nötigste zu beschränken.

Schmolz hat sich schon als Kind für Tiere interessiert. Ekel kennt er nicht. In seinem Büro hat er jahrelang eine Vogelspinne gehalten: „Die war etwas langweilig.“ Es sei normal, dass die meisten Menschen mit Abscheu auf Schädlinge reagierten, sagt Schmolz. Auch als Schutzfunktion gegen die Krankheiten, die diese Tiere übertragen können. Allerdings sei der Ekel kein Urinstinkt, sondern anerzogen. „Je kleiner die Kinder, desto offener sind sie für diese Tiere.“ Stadtkinder seien „entfremdeter“ als Altersgenossen, die auf dem Land aufwachsen.

Frittierte Mehlwürmer schmecken nicht

Regelmäßig empfangen Schmolz und seine Kollegen Besuchergruppen – um über ihre Arbeit aufzuklären, aber auch, um die Scheu zu nehmen. Einmal haben sie bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“ auch ein bisschen Dschungelprüfung geprobt. Für die Besucher gab es frittierte Mehlwürmer und Grillen. Bei dieser Gelegenheit haben die Labormitarbeiter zum Vorkosten auch Schaben in die Pfanne geworfen. Schmolz verzieht das Gesicht, wenn er daran zurückdenkt. „Die schmecken nicht.“

Bei der RTL-Sendung ist er nur einmal beim Durchzappen kurz hängen geblieben. Einer der Kandidaten lag in einem Kakerlakenkäfig. „Ich hab da schon geguckt, welche Schabenart das sein könnte“, sagt der Zoologe. „Und gedacht: Was stellt der sich so an – die tun ja nichts.“

Es ist der Profiblick. Beim Laien ist der Respekt vor den Kandidaten des Dschungelcamps nach zweistündiger Führung durch den „Schabenbunker“ enorm gewachsen.

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