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Deutschland Überwachungszentrum

Die neue Freiheit für Schwerverbrecher in Fußfesseln

Niedersachsen setzt elektronische Fussfessel ein Niedersachsen setzt elektronische Fussfessel ein
So sieht die elektronische Fußfessel für entlassene Gewalt- und Sexualverbrecher aus
Quelle: dapd/DAPD
Mehrere Bundesländer haben ein gemeinsames Überwachungszentrum für Fußfesseln gegründet. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer "riskanten Beruhigungspille".

Gut, dass der Mann mit der elektronischen Fessel am Fuß nur Hans-Dieter Amthor war, Bewährungshelfer von Beruf und nicht etwa ein rückfallverdächtiger Schwerverbrecher mit ein paar Jahren Hafterfahrung im Lebenslauf. Im prächtigsten Saal des hessischen Justizministeriums sollte Amthor demonstrieren helfen, was geschieht, wenn ein Fußfesselträger gegen die Auflagen verstößt, wenn er also in für ihn in verbotene Bereiche hinein marschiert oder das Aufpasserband gar von seinem Bein entfernen will.

Doch vor illustrer Kulisse, in Anwesenheit mehrerer Landes-Justizminister, Staatssekretäre und viel Presse, geschah zunächst einmal: nichts. Amthor spurtete vom Justizministerium aus munter quer durch Wiesbaden, näherte sich, obwohl es ihm im Planspiel streng verboten war, dem hessischen Landtag, und er verließ die Tabuzone auch wieder, ohne dass im Ministerium die Warnblinkanlage angesprungen wäre.

Typisch Vorführeffekt: Technik spielt nicht mit

Typisch Vorführeffekt eben: Bei der Demonstration, wie die Bundesländer von 2012 beim Thema Fußfessel für entlassene Straftäter zusammenarbeiten wollen, spielte die Technik nicht mit, weil der Präsentationsrechner nicht ins Internet kam. Beruhigend allerdings: Das eigentliche Überwachungssystem funktionierte fehlerfrei.

Amthors Weg wurde Schritt für Schritt aufgezeichnet und an die Behörden gemeldet. Und als er sich die Fessel mit einer Schere vom Bein schnitt, schlug das Gerät umgehend per SMS bei der Polizei Alarm.

Ein Auge auf ehemalige Straftäter mit hohem Rückfallrisiko

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung, wie es im Behördendeutsch heißt, soll eine Maßnahme unter mehreren werden, um weiter ein Auge auf ehemalige Straftäter mit hohem Rückfallrisiko haben zu können. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte und später auch das Bundesverfassungsgericht hatten die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung gerügt und eine Reform angemahnt.

Nach einer Gesetzesinitiative können Richter mittlerweile anordnen, dass Straftäter, die weiterhin als Risiko gesehen werden, nach Verbüßung einer längeren Haft zwar entlassen werden, aber eine elektronische Fußfessel tragen müssen. Das ist bisher bundesweit in drei Fälle geschehen.

Von 2012 werden solche Personen dann länderübergreifend von einer gemeinsamen Zentrale aus überwacht, die in Bad Vilbel in der Nähe von Frankfurt/Main eingerichtet wird. Die Länder gehen derzeit von 450 bis 500 Menschen aus, die eine solche Fessel bekommen könnten.

Ein Sender meldet rund um die Uhr den Aufenthaltsort

Als Grundlage für die Zusammenarbeit unterzeichneten die Justizminister von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen einen von Hessen und Bayern initiierten Staatsvertrag. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat den Beitritt erklärt, außerdem wollen sich Sachsen und Bremen beteiligen. Er gehe davon aus, dass bis zum Jahresende fast alle Bundesländer dabei seien, sagte Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP).

Die Fessel, die an eine überdimensionierte Sportleruhr erinnert und am Fußgelenk oder am Arm getragen wird, kann nur von einem Richter angeordnet werden. Ein Sender meldet rund um die Uhr den Aufenthaltsort an die künftige Überwachungszentrale in Bad Vilbel, wo rund ein Dutzend Mitarbeiter im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten werden.

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Für jeden Ex-Häftling werden individuell Zonen definiert und einprogrammiert, von denen er sich fernhalten muss, etwa vom Wohnort seines Opfers. Zudem können Zeitvorgaben gemacht werden, etwa, dass sich der Straffällige abends ab 20 Uhr zu Hause aufhalten muss.

In Hessen seit einem Jahrzehnt im Einsatz

Neu ist die Fußfessel nicht in Deutschland. In mehreren Ländern, darunter Baden-Württemberg, laufen Tests. In Hessen ist die Fessel sogar schon seit einem Jahrzehnt im Einsatz. 899 Fälle habe es in dieser Zeit gegeben, sagte Minister Hahn und lobte die hohe Erfolgsquote: Nur in knapp zehn Prozent seien die Verstöße so gravierend gewesen, dass es zum Widerruf kam.

Allerdings handelte es sich dabei durchweg um weniger gravierende Straftaten. Die Fußfessel, die von Bad Vilbel aus überwacht werden soll, werden hingegen nur Täter tragen, die mindestens drei Jahre im Gefängnis abgesessen haben und nach Meinung von Psychologen und Richtern ein erhöhtes Rückfallrisiko haben.

"Russisches Roulette“ mit der Bevölkerung?

Aus eben diesem Grund kritisieren die Polizeigewerkschaften das neue System tatsächlich. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, warf der Justiz sogar vor, „russisches Roulette“ mit der Bevölkerung zu spielen. Die Fußfessel sei für hoch gefährliche Gewalttäter ungeeignet, weil sie keine Straftaten verhindern könne, sondern nur Bewegungen registriere.

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Frank Richter, sprach von einer „riskanten Beruhigungspille“.

Justizminister: Hohe Abschreckungswirkung

Justizminister Hahn wies die Kritik zurück. Die Fußfessel werde sicherlich von niemandem als „Zauberantwort“ auf alle Probleme gesehen. Aber sie sei ein zusätzliches Mittel, um mehr Sicherheit zu schaffen. Weil sie den Aufenthaltsort ihrer Träger genau festhalte und dokumentiere, habe sie eine hohe Abschreckungswirkung.

Außerdem sei das System günstiger als Haft: Die Kosten für Technik und die Überwachungszentrale eingerechnet kostet es pro Jahr rund 4000 Euro pro Person. Der Aufenthalt in einer Strafanstalt schlägt dagegen mit mindestens 100 Euro täglich zu Buche.

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