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Deutschland „Gefährdungssituation“

Deutsche Politiker im Visier der Türkei

Türkei nimmt offenbar deutsche Politiker ins Visier

Obwohl Deutschland und die Türkei wieder stärker zusammenarbeiten, sind jetzt brisante Informationen bekannt geworden: Offenbar sammelt die Türkei Informationen über deutsche Politiker.

Quelle: N24 / Christin Brauer

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Es geht nicht miteinander und nicht ohne – Deutschland und die Türkei arbeiten wieder verstärkt zusammen. Doch eine brisante Information wird der WELT bekannt: Die Türkei sammelt Informationen über deutsche Politiker.

Es klingt recht harmonisch, wenn Recep Tayyip Erdogan über Deutschland redet. Es sei wichtig, „dass unsere beiden Länder in Solidarität zusammenstehen“, sagte der türkische Staatschef nach seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Februar. Das gelte natürlich auch deshalb, „weil wir Nato-Partner sind und Deutschland auch im Rahmen der Koalitionskräfte hier mit uns zusammen und in Solidarität mit der Türkei ihre Position einnimmt“, so Erdogan.

Merkel, die neben ihm stand, klang weniger euphorisch. „Solidarität“ war nicht das erste Wort, das ihr auf der Pressekonferenz einfiel. „Wir hatten in der Tat sehr intensive und ausführliche Gespräche über bilaterale und internationale Fragen“, sagte sie kühl.

Offensichtlich geht es nicht ohneeinander – aber miteinander ist es mittlerweile doch sehr schwer. Vor allem der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und das Fernhalten Hunderttausender Migranten von Europa verbindet Deutschland und die Türkei. Ansonsten eskalieren die Streitereien seit einem Jahr: Der Bundestag erklärt die Verbrechen an den Armeniern zum Völkermord – Ankara grollt. Erdogan macht nach dem gescheiterten Putschversuch Jagd auf Regimekritiker – die Bundesregierung verurteilt die Säuberungsaktionen. Und so spitzt sich die Situation weiter zu.

Erdogan weitet Suche nach Regimekritikern auch in Deutschland aus

Nach den Massenfestnahmen von Gülen-Anhängern und anderen Regierungskritikern flohen zahlreiche Türken ins Ausland, nach denen die Behörden fahnden. Deutschland hat einer Auslieferung bislang nicht stattgegeben.

Quelle: N24

Die Türkei hat deutschen Behörden zuletzt nicht nur mehrere Auflistungen mit vermeintlichen Anhängern des Predigers Fethullah Gülen mit der Bitte um Strafverfolgung übergeben. Offenbar sammelt der türkische Geheimdienst Informationen über mehrere deutsche Politiker.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat nach Informationen der WELT jüngst mit einigen Bundestagsabgeordneten, darunter Innen-, Außen- und Verteidigungspolitiker, über eine solche „Gefährdungssituation“ gesprochen. Eine Sprecherin des BKA bestätigte auf Nachfrage, dass Sicherheitsgespräche mit Parlamentariern stattgefunden haben: „Mögliche Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste waren hier auch ein Thema.“

Eigentlich signalisierte Ankara zuletzt immer wieder den Willen zur Zusammenarbeit. Die Bundesregierung erklärte damals sogar, im Bereich der Anti-Terror-Maßnahmen möchte man trotz aller Widrigkeiten noch enger kooperieren. Vertreter der Sicherheitsbehörden treffen sich vor diesem Hintergrund auch wieder öfter.

Auch die traditionellen Konsultationen zwischen dem BKA und der türkischen Polizei finden inzwischen wieder regelmäßig statt – im vergangenen Jahr waren die Treffen mehrfach kurzfristig abgesagt worden. Es gehe jetzt darum, wieder eine Vertrauensbasis zu schaffen, heißt es aus deutschen Sicherheitskreisen.

Allerdings seien dabei die Massenentlassungen im türkischen Staatsapparat, insbesondere bei Polizei und Justiz, nicht besonders zuträglich. Inhaltlich hat sich bei den Gesprächen wenig verändert: Die deutschen Ermittler bitten ihre türkischen Kollegen weiterhin, gegen reisende Dschihadisten und kriminelle Netzwerke vorzugehen. Die türkische Seite wiederum dringt darauf, dass sich deutsche Behörden stärker gegen PKK-Anhänger oder Linksextremisten der DHKP-C engagieren.

Verabredete Projekte sollen nun doch umgesetzt werden

Auch die Herausforderungen der Flüchtlingskrise sollen künftig häufiger gemeinsam angegangen werden. Anfang Juni saßen beide Seiten nach Angaben des Bundesinnenministeriums zum Beispiel beim deutsch-türkischen Migrationsdialog zusammen. Aus Regierungskreisen heißt es, dass dabei etwa verabredet wurde, nun doch mit der Umsetzung der verabredeten Projekte der polizeilichen Zusammenarbeit zu starten.

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Das EU-Türkei-Abkommen, das vor einem Jahr maßgeblich von Berlin und Ankara eingefädelt wurde, schweißt beide Seiten also weiter zusammen. Schaut man jedoch genauer hin, fallen auch beim Thema Migration gegensätzliche Positionen auf. Laut Bundesinnenministerium leben in Deutschland mit Stand Ende Mai insgesamt 6514 türkische Staatsangehörige, die eigentlich ausreisepflichtig sind. Berlin kritisiert Ankara dem Vernehmen nach für seine schlechte Zusammenarbeit beim Thema Rückführung.

Offiziell klingt der Frust im Haus von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nur indirekt an: „Mit Blick auf die Umsetzung des EU-Türkei-Rückübernahmeabkommens gibt es zwischen Deutschland und der Türkei bei einigen Punkten abweichende Sichtweisen“, erklärt ein Sprecher. Unter anderem gehe es um die Frage, „inwieweit ausreisepflichtige türkische Staatsangehörige, die sich in Deutschland in Strafhaft befinden, in die Türkei zurückgeführt werden können“.

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Der Türkei geht es auf der anderen Seite nicht um das Gros der abgelehnten türkischen Asylbewerber. Ankara macht vielmehr deutlich: Wir wollen die Regimegegner, insbesondere die Gülen-Anhänger, die für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht werden. Sie werden von der Türkei ins Visier genommen. Und zwar auch in Deutschland. Anfang des Jahres erhielt zum Beispiel der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, ein Dossier mit Personen und Organisationen in Deutschland, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollen.

Die deutsche Seite jedoch spielte nicht mit. Anstatt die Personen zu verfolgen, warnte man sie. Gleichzeitig machte man der türkischen Regierung deutlich, dass ein Ausspionieren von vermeintlichen Regimegegnern auf deutschem Boden nicht toleriert werde. Die Bundesanwaltschaft leitete prompt ein Ermittlungsverfahren wegen Spionageverdacht ein.

Die letzte Provokation der Türkei ereignete sich nun im Vorfeld des G-20-Treffens der Staats- und Regierungschefs in Hamburg. Anfang Juli kommen dort neben Merkel, Erdogan auch Donald Trump und Wladimir Putin zusammen. Jeder von ihnen bringt dabei seine eigenen Sicherheitskräfte mit. Auch die Türkei übermittelte im Vorfeld eine Liste mit rund 50 Personen, die Erdogan beschützen sollten.

Gegen die vier Leibwächter des türkischen Präsidenten, die während des Staatsbesuchs in Washington auf Erdogan-Gegner einprügelten, erging in den USA Haftbefehl
Gegen die vier Leibwächter des türkischen Präsidenten, die während des Staatsbesuchs in Washington auf Erdogan-Gegner einprügelten, erging in den USA Haftbefehl
Quelle: AP

Als die Deutschen diese Liste jedoch durchgingen, fielen ihnen vier Namen besonders auf. Es handelte sich um Leibwächter, die vor rund einem Monat in Washington bei einem Staatsbesuch auf Anti-Erdogan-Demonstranten eingeprügelt hatten. Erdogan verteidigte das Vorgehen, kritisierte die Amerikaner, dass sie offensichtlich nicht für seine Sicherheit garantieren konnten. Gegen insgesamt acht Leibwächter liegen in den USA jedoch mittlerweile Haftbefehle vor.

So weit wollte es das Auswärtige Amt beim G-20-Gipfel nicht kommen lassen. Man machte Ankara klar, dass diese Leibwächter zu Hause bleiben sollten. Bis zum großen Treffen in der Hansestadt sind es noch ein paar Tage. Neben zahlreichen Autonomen und Linksextremisten werden auch Erdogan-Gegner erwartet. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Türkei angesichts der angespannten Lage noch weitere Provokationen einfallen könnten.

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