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Deutschland Kommunen überfordert

Kapazitäten zur Versorgung von Asylbewerbern ausgeschöpft

Politikredakteurin
Die Unterbringung einer größeren Zahl von Asylsuchenden in Gemeinden mit wenigen Einwohnern sorgt mancherorts für Spannungen. Die Unterbringung einer größeren Zahl von Asylsuchenden in Gemeinden mit wenigen Einwohnern sorgt mancherorts für Spannungen.
Quelle: Boris Roessler/dpa
Die Mehrheit der Bundesländer kann die gemachten Zusagen zur Unterbringung von Asylbewerbern nicht erfüllen, zeigt eine WELT AM SONNTAG-Recherche. Die Errichtung neuer Erstaufnahmestellen wird auch wegen der Ablehnung durch Bürger vor Ort erschwert. Im Sommer droht sich der Mangel zuzuspitzen.

In den Bundesländern fehlen Tausende reguläre Unterbringungsplätze für Asylbewerber. Mehrere Ministerien teilten auf Anfrage mit, zwar die eigenen Kapazitäten aufstocken zu wollen, dabei aber auf deutliche Hürden zu stoßen. So erklärte das zuständige Migrationsministerium in Baden-Württemberg, rund zusätzliche 9000 Regelplätze in Erstaufnahmeeinrichtungen zu benötigen. Derzeit hat das Land nur etwa 6200. Niedersachsen sieht einen Bedarf von 7500 Regelplätzen, zur Verfügung stehen aktuell 3808. Mecklenburg-Vorpommern hält 2400 Plätze für notwendig, vorhanden sind derzeit 1200. Auch die Länder Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz möchten ihre Kapazitäten aufstocken.

Geeignete Liegenschaften zu finden, ist aber offenbar ein großes Problem. „Es ist rechtlich und aufgrund häufig ablehnender Haltungen vor Ort auch faktisch schwierig, neue Erstaufnahmeeinrichtungen zu errichten“, heißt es aus Baden-Württemberg. Niedersachsen erklärte, bereits seit Herbst 2022 „eine intensive Liegenschaftsakquise“ zu betreiben, um neue Unterkünfte für die Erstaufnahme zu erschließen. Das erweise sich als schwierig. „Die Gründe hierfür sind vielfältig.“ Ob der angestrebte Aufbau weiterer Erstaufnahmeeinrichtungen gelinge, werde unter anderem von der Unterstützung vor Ort abhängen.

Im vergangenen Jahr war der Streit um die Unterbringung eskaliert, weil viele Länder nicht mehr ihrer gesetzlichen Pflicht nachkamen, Asylbewerber während des Verfahrens in Erstaufnahmeinrichtungen unterzubringen. Vielfach wurden sie nach der Ankunft zügig an die Kommunen weitergeleitet, wo ebenfalls Plätze fehlten. Aktuell ist die Lage zwar entspannter, weil weniger Menschen nach Deutschland kommen.

Allerdings rechnen mehrere Länder mit erneuten Engpässen im Sommer. Man müsse davon ausgehen, „dass die Zahlen wie auch in den vergangenen Jahren spätestens zum Sommer wieder stärker ansteigen“, teilte die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen mit. Das Migrationsministerium in Baden-Württemberg erklärte, sich an Zahlen des Bundes zu orientieren. Dieser gehe bei Aufstellung seines Finanzplans bis 2026 von 210.000 Asylantragstellern pro Jahr aus. Entsprechend der gesetzlichen Verteilquote müsse Baden-Württemberg 27.300 Asylbewerber pro Jahr unterbringen. 15.000 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen seien notwendig.

„Hoher Aufwand“ für alle

Laut den befragten Ministerien stehen insgesamt rund 100.000 Plätze in Aufnahmeeinrichtungen der Länder zur Verfügung, allerdings seien nicht alle für die längerfristige Unterbringung geeignet. Zum Teil handele es sich um temporär errichtete Notunterkünfte, zum Teil um Orte, in denen nur die ersten Schritte des Verfahrens abgewickelt werden können – etwa Registrierungen und Gesundheitschecks. Allerdings sehen sich nicht alle Länder überlastet. Brandenburg zum Beispiel teilt mit, mit knapp 6000 regulären Betten derzeit ausreichend Plätze zur Verfügung zu haben.

„Nach unserer Einschätzung sind die bestehenden Kapazitäten der Länder nahezu ausgeschöpft und reichen in Teilen bereits jetzt nicht mehr aus“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager. „Deshalb werden in einzelnen Ländern nach wie vor Asylbewerber aus den Aufnahmeeinrichtungen der Länder auch ohne abgeschlossenes Asylverfahren oder ohne Anhörung auf die Landkreise verteilt.“ Das bedeute für alle Beteiligten „einen hohen Aufwand“.

„Die Kinder klagen, dass sie immer wieder Erfahrungen von Gewalt machen“

Unterkünfte für Flüchtlinge in Deutschland sind nach Einschätzung von Unicef keine kindgerechten Orte. Die Mädchen und Jungen würden sich unter anderem mehr Privatsphäre wünschen, so Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland, im WELT-Interview. Auch Gewalt sei ein Problem.

Quelle: WELT

Tatsächlich verfehlen einige Länder das Ziel, Asylbewerber erst am Ende des Asylverfahrens an die Kommunen weiterzuleiten. Eigentlich sollen Migranten erst dann in die Kreise und Städte verteilt werden, wenn sie die Anhörung durchlaufen haben – und bestenfalls bereits den Bescheid über den Asylantrag in der Tasche haben. Darauf hatten sich Bundeskanzler und Regierungschefs im Herbst geeinigt.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt teilte nun aber mit, dass man zwar grundsätzlich bestrebt sei, dass Asylbewerber zumindest bis zur Anhörung in der Erstaufnahme verbleiben. „Vor dem Hintergrund, dass stets freie Kapazitäten vorgehalten werden müssen, um neu ankommende Asylbewerber aufnehmen zu können, wird mitunter eine kommunale Zuweisung von Asylbewerbern auch vor der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge notwendig.“ Ähnliches ist aus anderen Ländern zu hören.

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