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Bayern Jonathan Meese

Das enfant terrible des deutschen Kunstbetriebs gibt sich die Ehre

Jonathan Meese – Die Irrfahrten des Meese Jonathan Meese – Die Irrfahrten des Meese
Künstler Jonathan Meese zeigt in der Pinakothek der Moderne München "Die Irrfahrten des Meese"
Quelle: Jörg Koopmann
Jonathan Meese gilt als notorisches Spielkind unter den deutschen Künstlern. In einer großen Retrospektive in der Pinakothek der Moderne in München zeigt er nun bislang unbekannte Bilder.

Der Titel entstand bei einem Ateliergespräch in Berlin. Da kam Jonathan Meese die Idee, seine erste größere Ausstellung in München frei nach Homer „Die Irrfahrten des Meese“ zu nennen. Bernhart Schwenk, Leiter der Sammlung Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne, und Kuratorin Swantje Grundler waren sofort begeistert. Lässt dieses Motto, vom Künstler jetzt selbst an die Wand neben dem Eingang gepinselt, doch jede Menge Assoziationen zu.

Meese als selbstironischer Odysseus der Gegenwart

Zunächst mal ist sie positiv besetzt, die Figur des Helden Odysseus, der im antiken griechischen Epos nach zehnjähriger Irrfahrt, dem Bestehen gefährlicher Abenteuer, dem Meistern schwieriger Herausforderungen siegreich, doch als anderer, wieder nach Hause zurückkehrt. Jonathan Meese versteht sich, durchaus mit gewisser Selbstironie, als ein Odysseus der Gegenwart auf imaginierter Fahrt.

„Wir haben festgestellt, dass er sich gut in der Sagen- und Mythenwelt auskennt – ein echter Bildungsbürger“, sagen die Kuratoren. „Von klein auf wurde ihm alles von seiner Mutter vorgelesen. Die Odyssee war eine Steilvorlage für ihn, mit all den Figuren, die er transformiert hat. Er hat sie auf Kassette 2000-mal gehört und dabei die Figuren so verinnerlicht, dass er jetzt frei mit ihnen jonglieren kann.“

Jonathan Meese — Die Irrfahrten des Meese
Bis März sind die Arbeiten von Jonathan Meese in München zu sehen
Quelle: © Jonathan Meese /VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Jörg Koopmann

Apropos „Mami“! Eigentlich hat die breitere Öffentlichkeit nur Klischees von Jonathan Meese im Kopf. Der Maler (Jahrgang 1970), der noch immer mit seiner Mutter zusammenlebt. Der Performer, der konsequent die Bühne mit dem Hitlergruß betritt. Der Selbstdarsteller, der markige Sprüche von sich gibt, dem manche Größenwahn, andere pubertären Infantilismus attestieren. Und, und, und. „Er stilisiert sich als Außenseiter, der er eigentlich gar nicht ist. Privat ist er eher schüchtern, freundlich und friedfertig“, sagt Bernhart Schwenk. „Er ist ein Spielkind, das exemplarisch die Welt als Spiel, als Kasperltheater vorführt, wo man auch mal was auf die Mütze kriegt“, sagt Swantje Grundler.

Viele gezeigte Werke stammen aus Privatbesitz

Meese versteckt sich gern hinter Masken, nimmt wechselnde Rollen ein, wie der von ihm hoch geschätzte Andy Warhol. Aber zumindest die Sache mit seiner Mutter stimmt. Seit die ehemalige Dolmetscherin den walisischen Ehemann in Tokio verließ, um mit ihren drei Kindern in Ahrensburg bei Hamburg zu leben, spielt sie eine bedeutende Rolle im Leben des Sohnes. „Meine Mutter kommt aus der Realität, und ich komme aus der Kunst“, hat Meese das „Arbeitsverhältnis“ einmal erklärt. Tatsächlich bezahlt er die mittlerweile 88-Jährige als Managerin und Muse. Auch die jetzt in München im Rahmen der Retrospektive gezeigten Arbeiten aus 25 Jahren sind persönlich, stammen aus Privatbeständen. Deshalb, so Schwenk, „war für uns ein Aspekt besonders interessant: Was hat der Künstler zurückgehalten? Sind es Werke, die ihm besonders wichtig sind?“

Ein von Meese bemalter Fleece-Teppich zur „Zielsetzung K.U.N.S.T“ führt hinein in den großen Saal im ersten Obergeschoss der Pinakothek. Herzstück der Ausstellung sind 18 Gemälde aus Meeses Besitz, ergänzt durch Leihgaben, darunter mehrere Foto-Collagen aus der Kollektion von Ingvild Goetz. Darüber hinaus gibt es Tische mit skulpturalen Objekten, witzigen Kleinplastiken, die manchmal die Anmutung verfremdeten Kinderspielzeugs haben, Raummodelle, Dutzende von Zeichnungen und zahlreiche Künstlerbücher. Im Archiv des Künstlers fanden die Kuratoren sogar den Mitschnitt einer frühen Performance.

Springteufel im Pumpwerk

Und beim Besuch in dem historischen Pumpwerk am Prenzlauer Berg, einem weitläufigen Backsteingebäude, konnten sie Meese auch beim Arbeiten zuschauen. „Er malt sehr schnell, aber auf den Punkt, arbeitet an 30 Bildern gleichzeitig, zwischen denen er herumspringt. Dabei hört er Musik, um sich locker zu machen“, erzählt Swantje Grundler. „Selbst Grafiker haben uns bestätigt, dass er handwerklich perfekt ist. Trotz des wilden Gestus und des Images vom Berserker und Chaoten.“

Was sich dem Betrachter präsentiert, sind riesige, figuren- und formenreiche Tableaus. Farbstark, plakativ, mit grob erscheinendem Pinselstrich, manchmal pastos verkrustet, oft collagiert mit Gegenständen, beispielsweise Fächern oder Barbie-Haar, ergänzt durch Fotos und Worte, öffnen sie einen ganzen Themenkosmos. Da begegnet Odysseus nicht nur Polyphem, sondern auch der Circe. Finden sich Helden aller Art, darunter Parzival, martialische Krieger beiden Geschlechts, aber auch namenlose Bösewichte aus Märchen, Romanen oder seinem Lieblingsfilm, dem Science-Fiction-Machwerk „Zardoz“ mit Sean Connery.

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"Dr. Wurstcremees Handgemenge" heißt dieses Bild von Jonathan Meese
Quelle: © Jonathan Meese/VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Foto: Jochen Littkemann

Faszinierend sind Meeses ebenso einfallsreiche wie verrückte Kunstworte, die integrativer Bestandteil fast jedes Bildes sind. „Er spielt mit der Sprache wie ein Kind“, sagt Swantje Grundler. Bildungsbürgerliches Name-Dropping mit Literaten wie Ezra Pound findet sich neben Wortneuschöpfungen wie BINGOLD oder BALLERINANNY und kryptischen Sprüchen im Stile von „Totale Herrschaft der Kunst ist Totalmetabolismus“. Vieles scheint aus der Tradition der Schweizer Dada-Bewegung zu stammen. Jonathan Meeses Kunst irritiert. Ihn als Scharlatan abzutun, hieße aber ihn misszuverstehen. 

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Natürlich produziert er explosiven Trash, aber Meese setzt sich auch mit dem Thema Macht auseinander. Er macht sich lustig über Diktatoren von Nero bis Lenin, reduziert 1789 auf eine „U-Hosenrevolution“ mit integriertem Wäscheteil aus seinem Besitz, verspottet Politik mittels der „Verwurstung“ von Symbolen wie Ritter- oder Hakenkreuz. Das sahen auch die Gerichte so, die seinen Hitlergruß als „Persiflage im Kontext der Kunst sowie Verspottung des Nationalsozialismus“ interpretierten – den „Meesegruß“. „Er beschäftigt sich mit unserer Geschichte – nur anders als Anselm Kiefer oder Georg Baselitz“ resümiert Schwenk mit der Hoffnung, die Besucher „mögen Meese nach dieser Ausstellung anders sehen“.

„Die Irrfahrten des Meese“, Pinakothek der Moderne München, bis 3. März 2019

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