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Köln Hindernisläufe

Weshalb Menschen durch den Matsch robben

Hindernisläufe sind der ultimative Kick. Längst reicht ein Marathon nicht mehr aus – Dreck und Schlamm müssen schon dabei sein. Unser Autor hat den Trend getestet und eine wahre Grenzerfahrung erlebt.

Das gleich vorweg: Mein erster Gedanke ist eigentlich nicht druckreif. „Ach, du Scheiße!“, schießt es mir durch den Kopf, als ich am Wettkampfgelände des Reebok Spartan Race in Wiehl bei Köln ankomme und die vor Dreck triefenden Gestalten herumlaufen sehe. Die ersten Teilnehmer des „Super“-Wettbewerbs über mehr als zehn Kilometer sind zu diesem Zeitpunkt bereits im Ziel. Hellbrauner Schlamm klebt ihnen im Gesicht, in den Haaren und Ohren. Sollten sie Laufklamotten tragen, sind diese unter der dicken Schicht aus zähem Matsch nicht mehr zu erkennen. Ihr ganzer Körper ist von einer feucht-klebrigen Pampe bedeckt. Warum tut man sich als erwachsener Mensch so etwas freiwillig an – und bezahlt auch noch ein Startgeld für diese Sauerei? Um das herauszufinden, bin ich an diesem Mittag hier. Schlammlaufen im Selbstversuch.

Die Szene dieser „obstacle races“ – der Hindernisläufe – boomt. Ganz gleich, ob Strongman Run, Tough Mudder, Mud Masters oder das Spartan Race, die Teilnehmerzahlen wachsen von Jahr zu Jahr. Beim ersten Strongman Run in Münster im Jahr 2007 fanden sich 1700 Verrückte zusammen. In diesem Jahr am Nürburgring ließen sich schon 13.000 Starter mit Elektroschocks malträtieren und stiegen in die Schlammgruben. Doch das ist noch nichts gegen das Mud Masters in den Niederlanden. Bei der größten Veranstaltung dieser Art in Europa werfen sich bis zu 17.000 Menschen in den Matsch. Weltweit nahmen an den verschiedenen Tough-Mudder-Läufen sogar 750.000 Starter teil. Zwischen 40 Euro und 120 Euro, je nach Rennen, lassen sie sich den Spaß kosten.

Die Teilnehmer suchten eine Herausforderung, etwas Neues, sie wollten etwas erleben. Im Gegensatz zu den Ausdauersportarten Marathon und Triathlon spielten Teamgeist und Spaß eine herausragende Rolle, lauten die Erklärungsversuche der Veranstalter für dieses Phänomen. Wissenschaftliche Studien dazu gibt es bisher nicht. „Für die kurze Distanz reicht eine gewisse Grundfitness. Wenn man außerdem gut mit seinem Körper umgehen kann, kommt man auch durch“, sagt Georg Hochegger, Lizenzinhaber für die Spartan Races in Europa.

Auf dem Lauf warten unangenehme Herausforderungen

Da bin ich aber erst mal beruhigt. Ich halte mich für durchschnittlich trainiert. Wöchentliche Touren mit dem Mountainbike, dazu noch Tennis, das war es. „Das passt gut. Der Großteil der Starter ist einfach fitnessorientiert, gekoppelt mit einem gewissen Maß an Verrücktheit“, sagt Hochegger und grinst dabei. Er weiß, was im Rennen auf mich wartet. Ich nicht. Denn vor dem Start gibt der Veranstalter keine Informationen zur genauen Länge der Strecke oder der Art der Hindernisse heraus.

Inzwischen habe ich meine Startunterlagen abgeholt. Es kann also losgehen. Um in den Startbereich zu kommen, müssen die Teilnehmer gleich über die erste Holzwand klettern. Ein leichtes Aufwärmen für das, was kommt. Noch zehn Minuten. Wasserfallartiger Regen hat eingesetzt. Das juckt die Starter nicht. Nass und dreckig wird man eh, wie Kenny, der Einheizer, verspricht. Da spielt das Wetter auch keine Rolle mehr.

Aus den riesigen Boxen schmettert uns Andreas Bourani sein „Auf uns“ entgegen. Dann übernimmt Kenny. „Was seid ihr?“, brüllt er in sein Mikrofon. „Spartaner“, brüllen wir zurück. „Genau“, ruft Kenny. „Und ein Spartaner lässt niemanden auf der Strecke zurück!“ Die Antwort der Masse ist eindeutig: „AROO, AROO, AROO!“ Es fühlt sich gut an, das gemeinsam in den Regen zu schreien. Mit diesem Gebrüll sollen die Spartaner einst angeblich in die Ruhm bringenden Schlachten gezogen sein. Mehr als fünf Kilometer und mindestens 15 Hindernisse gilt es zu besiegen. „Männer, kommt mit oder auf eurem Schild zurück“, ruft ein Starter mit einem Spartaner-Helm auf dem Kopf, als es endlich losgeht.

Es ist rutschig, die Oberschenkel brennen

Gleich zu Beginn ein steiler Anstieg. Der Regen hat den lehmigen Boden in seifigen Untergrund verwandelt. Ohne Profil unter den Sohlen wird es schwer, überhaupt voranzukommen. Dann die ersten Hindernisse. Es geht über, unter und durch verschiedene Holzwände, in oberschenkelhohes Wasser, den Hügel hinunter, über einen kleinen Bach und dann weiter in den Wald. Die Beine werden schnell schwer. Noch keine böse Überraschung. Im Gegenteil. Es macht Spaß, trotz des Dauerregens.

Weiter oben im Wald schallen „Markus?, Markus!“-Rufe durch die Bäume. Keine Antwort. Eine Gruppe aus der Nähe von Aachen hat ihren vierten Mann verloren. Dabei hatte Kenny uns am Start doch noch versprochen: „Niemand wird zurückgelassen!“ Markus anscheinend schon. „Nein, keine Sorge. Wir warten an der nächsten Aufgabe auf ihn“, sagt einer seiner Teamkollegen.

Die heißt Baumstämme schleppen. „Die Kleinen sind für die Ladys“, sagt der Helfer. Was klein ist, bestimmt natürlich er. Also geht es mit einem dicken Knüppel auf den Schultern einen Berg hinunter und wieder hinauf. Einige hasten, andere lassen sich Zeit. Der Holzblock drückt auf die Schulter. Die Oberschenkel beginnen zu schmerzen. Weiter, einfach weiter.

Ein gemeinschaftlicher Spielplatz für Große

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Kraft, Ausdauer, Geschick, Mut, Überwindung. Alles ist unterwegs gefragt, wenn es darum geht, durch Wasser oder Schlamm zu waten, sich an Stangen entlangzuhangeln oder Eisenbarren an einer Kette hinter sich her durch den Dreck zu ziehen. Dazu eine Strecke, die nur Rauf und Runter kennt.

Nie zuvor habe ich einen ähnlich fordernden Lauf erlebt. Zugleich spürt man unterwegs eine besondere Stimmung. Unter einigen Teilnehmern wächst eine Gemeinschaft. Die Jungs aus Aachen, die mir immer wieder begegnen, helfen nicht nur Markus, sondern auch mir. Wenn man am Hang abrutscht, packt eine helfende Hand zu. Vor einer sehr hohen Bretterwand stehen sehr fitte Teilnehmer und halten für etwas schwächere als Räuberleiter her. Dazu immer wieder der Schlachtruf der Spartaner.

Beim Radsport oder Marathonlauf hetzen die Radler und Läufer meist nur ihren Bestzeiten hinterher. Hier sind den meisten Zeit oder Platzierung gleichgültig. Auch wenn es beim Spartan Race eine Wertung und sogar Europa- und Weltmeisterschaften gibt. „Das ist wie ein Spielplatz für Große“, sagt Marina. Mit ihren Freundinnen ist die 25-Jährige aus Freiburg angereist. Den Alltag loslassen, sich ohne Hemmungen in den Matsch werfen und das alles gemeinsam mit vielen anderen Leuten. Im Grunde genommen wird hier eine große Schlammparty gefeiert.

Wer die Aufgaben nicht schafft, bekommt Strafübungen

Kurz vor dem Ziel ist dann auch die Schlammschonzeit für uns Kurzstrecken-Spartaner endgültig vorbei. An zwei Aufgaben bin ich bis hierhin gescheitert. Ich habe den Speer nicht im Strohballen versenken können, und auch das Seil konnte ich nicht mehr hochklettern. Dafür musste ich insgesamt 60 „Burpees“ machen. Eine Übungskombination aus Liegestütz-Hocke-Strecksprung, nach der die Oberschenkel brennen. Jetzt also der Zielhang. Nass und schmutzig bin ich schon. Nun wird es richtig dreckig.

In etwa 40 Zentimeter Höhe und auf einer Länge von mindestens 20 oder 30 Metern ist Stacheldraht gespannt. Darunter eine mehrere Zentimeter dicke Schicht aus lehmigem Matsch. Nass und kalt ist diese Suppe. Einige rollen unter dem Draht durch, andere robben. Danach noch über das letzte Hindernis. Das geht nur mit Hilfe. Zu seifig ist die schräge Rampe, und auch die Kräfte neigen sich dem Ende zu. Fast 90 Minuten hat meine persönliche Schlacht gedauert. Dann bin auch ich mit dem Zielsprung über das Feuer ein Spartaner. Es gibt eine Medaille, Wasser und alkoholfreies Bier. Der einfache Lohn für die Schinderei, den ganzen Dreck. Ich fühle mich ausgelaugt und einfach großartig.

Eine warme Dusche wäre trotzdem gut. Vor allem, weil es nach dem Regen auch sehr kühl geworden ist. Stattdessen kommt das Wasser aus einem einfachen Gartenschlauch und ist kalt. Darüber klagt hier niemand. Duschen, sagt jemand neben mir, seien ohnehin völlig überwertet. Schließlich haben die Spartaner diese ja auch nicht gehabt.

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