Die Hauptinsel
Helgoland wird oft als einzige Hochseeinsel Deutschlands bezeichnet. Die lange Anreise über die raue Nordsee bestätigt das Gefühl, dass das Felseneiland weit draußen liegt. Tatsächlich ist Helgoland 48 Kilometer vom schleswig-holsteinischen Eiderstedt entfernt und liegt auf dem Festlandsockel, gehört also nicht zur Tiefsee. Hochsee-Feeling kann angesichts der hohen Wellen, die oft an die Felsen donnern, natürlich trotzdem aufkommen.
Die Insel war lange ein Spielball der Nordseeanrainer. Im Spätmittelalter begehrten die Hansestädte Bremen und Hamburg den Heringsreichtum vor der damals dänischen Insel, im 19. Jahrhundert war Helgoland britische Kronkolonie und wichtiger Handelsplatz, 1826 wurde sie offiziell Seebad.
Als Sehnsuchtsort zog sie Heinrich Heine und Hoffmann von Fallersleben an, der dort das Lied der Deutschen dichtete, die dritte Strophe ist heute Text der Nationalhymne. Im Jahr 1890 kam Helgoland zum Deutschen Kaiserreich, das im Gegenzug auf Kolonialansprüche in Afrika verzichtete.
Zu den Sehenswürdigkeiten der autofreien Insel zählen die bunten Hummerfischerbuden, die typischen Börteboote, mit denen Passagiere von auf Reede liegenden Schiffen an Land kommen, und Nathurn Stak, wie die Lange Anna auf Helgoländer Friesisch heißt. Der 47 Meter hohe Sandsteinmonolith an der Nordwestspitze ist das schleichend erodierende Wahrzeichen, zu dem sich seit 1976, als ein Felsabbruch sie geschaffen hat, die Kurze Anna gesellt.
Strände und ein Campingplatz auf der Nebeninsel Düne
0,7 Quadratkilometer Sand: Helgoland besteht aus der felsigen Hauptinsel und der sandigen Nebeninsel Düne, die ursprünglich ein Eiland bildeten, das durch die Neujahrsflut 1721 in zwei Teile gerissen wurde. Düne hat keine dauerhaften Bewohner, verfügt aber über Flugplatz, Leuchtturm, Campingplatz und zwei Badestrände.
Als die Briten Helgoland bombardierten
Als Operation Big Bang kündigten die Briten, die die Insel im Zweiten Weltkrieg bombardiert und später besetzt hatten, sie an: eine der heftigsten menschengemachten Explosionen der Geschichte. Endgültig zerstört werden sollten die Militäranlagen Helgolands.
Am 18. April 1947 um 13 Uhr, nachdem die Insel evakuiert worden war, zündeten die Briten in Stollen und Bunkern kilotonnenweise Sprengstoff. Erschütterungen spürte man noch auf dem Festland, Rauchsäulen stiegen kilometerweit hoch, die Südspitze der Insel wurde verwüstet.
Dort türmt sich die heute mit einem Gipfelkreuz versehene höchste Inselerhebung, der Pinneberg (61 Meter), entstanden im Zuge der Sprengung. Hafenmauern und Luftschutzbunker überstanden den Big Bang. Bei Stollenführungen dringen Besucher heute tief in die Festungsgeschichte der Insel vor.
Ein Refugium für Kegelrobben und Seehunde
Auf Düne, Helgolands Sandinsel, kommen jeden Winter Hunderte Kegelrobben zur Welt. Bis auf 30 Meter dürfen Besucher (Fernglas und Fotoapparat nicht vergessen!) an die Meeressäuger heran.
Aber Achtung: Direkt nach der schnellen Aufzucht startet Deutschlands größtes Raubtier wieder mit der Balz. Blutige Bullenkämpfe stehen an. Die scheinbar behäbigen Tiere, dann besonders aggressiv, erreichen an Land fixe 20 km/h.
Vom Panoramaweg am Nordstrand hat man aus der Distanz einen fantastischen Blick auf die Kegelrobben und Seehunde, die sich auf Düne ebenso tummeln. Der Verein Jordsand zählt alljährlich die Robbengeburten und bietet Führungen an (jordsand.eu).
Hummer und Scheren vom Taschenkrebs zum Essen
Der Helgoland-Hummer ist bekannter, doch öfters verzehrt werden die gekochten Scheren des in der Nordsee heimischen Taschenkrebses, die auf der Insel Knieper genannt werden (abgeleitet von Kneifer). Neben anderen Meeresfrüchten und Fisch vom heimischen Kutter kommen sie praktisch in jedem der Insellokale fangfrisch auf den Teller.
Gereicht wird die gegenüber dem Hummer bodenständigere Inselspezialität mit Toastbrot oder Baguette, Butter und Saucen. Das war es aber noch nicht für Gourmets: Auch das Fleisch der auf den Salzwiesen des Oberlandes lebenden Galloway-Rinder, der Heidschnucken und Kurzschwanzschafe ist eine Klasse für sich.
Der Fotograf Franz Schensky machte die Insel berühmt
Von Helgoland gibt es tolle Fotos – im Meer stehende Felsnadeln wie die Lange Anna sind ja auch fotogen, heute würde man sagen: Instagram-tauglich. Doch lange bevor mit der digitalen Bilderflut die fotografische Banalisierung begann, brachte die Insel einen herausragenden Lichtbildner hervor: Franz Schensky (1871–1957).
Der Pionier der Schwarz-Weiß-Fotografie würde in diesem Sommer 150 Jahre alt. Seine Bilder machten Helgoland weltberühmt. Eine Auswahl seiner suggestiven Naturaufnahmen zeigt des Inselmuseum. Auch historische Momente wie die Übergabefeier der Insel von England an das Deutsche Kaiserreich oder den Wiederaufbau Helgolands nach dem Krieg lichtete Schensky ab.
Das Zitat
„Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen“
Das schreibt James Krüss (1926–1997), Kinderbuchautor und berühmtester Sohn der Insel, in seinem ersten Buch „Der Leuchtturm auf den Hummerklippen“ von 1956, veröffentlicht noch vor bekannten Bilderbüchern wie „Henriette Bimmelbahn“ und „Der blaue Autobus“ oder dem Roman „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“.
Krüss, dessen Opa Hummerfischer war, verließ Helgoland während des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie notgedrungen. Lange Zeit verbrachte Krüss auf Gran Canaria. Dort starb er auch, bestattet wurde der Schriftsteller aber auf See bei Helgoland. Das Inselmuseum verkauft Bücher von ihm auch auf Halunder – das Insel-Friesisch war bis 1890 gebräuchlich und erlebt heute eine kleine Renaissance.
Skurriles, Rekordverdächtiges, Typisches: Weitere Teile unserer Länderkunde-Serie finden Sie hier.
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