WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Reise
  3. Europa
  4. Polen: Was ein Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz mit einem macht

Europa KZ-Gedenkstätte

Was ein Auschwitz-Besuch mit einem macht

Schriftsteller Andreas Altmann war in Auschwitz, wo die Nazis über eine Million Menschen umbrachten. Schwer zu ertragen sind schon die Pizzabuden vor dem Eingang – aber auch die Besucher des KZ, die sich mit Selfiestick inszenieren. Vom Grauen, das hier stattfand, ganz zu schweigen.
Polen: Das „Tor des Todes“ in Birkenau, durch das die Züge bis zur „Judenrampe“ rollten Polen: Das „Tor des Todes“ in Birkenau, durch das die Züge bis zur „Judenrampe“ rollten
Das „Tor des Todes“ in Birkenau, durch das die Züge bis zur „Judenrampe“ rollten
Quelle: picture alliance / Hermes Images-AGF/Bildagentur-online
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Wer Auschwitz besuchen will, braucht starke Nerven. Nein, nicht für die über eine Million Frauen, Kinder und Männer, die hier ermordet wurden. Ich vermute, dafür gibt es keine Nerven. Der Besucher braucht sie für die Pizzabuden, die in der Nähe des Eingangs stehen, das geschäftige Treiben der Parkplatzwächter, die Shops, die Leute, die mit dem Selfiestick anrücken und umgehend ihre Reise „Ich und Auschwitz“ inszenieren.

Ach ja, die Zeugen Jehovas zeigen lächelnd auf ihren „Wachtturm“, hier auf Englisch: The Watchtower. An dieser Stelle die Botschaft von einem „liebenden, gerechten Gott“ zu predigen, klingt obszön.

Hier lauern tausend Fallen. Die größte und verführerischste: the look at me-grief. Das ist ein teuflisch-englisches Wort, das umständlich ins Deutsche übersetzt sagen soll: Sieh mal, wie mitgenommen ich bin! Achtung, Auschwitz! Achtung, ich bin betroffen! Achtung, Trauermiene anknipsen!

Die KZ-Gedenkstätte Auschwitz in Polen
Quelle: Infografik WELT

Ich will es machen, wie ich es bei einem Überlebenden gelesen habe: Geh rein, schau hin, lerne und sei still.

Ich versuche es, nur still bin ich nicht immer. Denn neben mir geht Teresa, die Polin. Man kann sie als Guide engagieren. Sie ist die Richtige, sie weiß fast alles, und ich weiß fast nichts. Deshalb meine endlosen Fragen.

Imre Kertész, der ungarische Schriftsteller, der 1944 als vierzehnjähriger Jude hier landete, achtundfünfzig Jahre später den Nobelpreis erhielt und den erstaunlichsten Satz notierte, der sich hier sagen lässt: „Auschwitz ist mein ganzer Reichtum.“ Wir Nachkommen, die nie etwas überleben mussten, könnten antworten: „Auschwitz ist unser aller grauenhaftes Armutszeugnis.“ Unser aller Menschen.

Viele unterschätzten Hitler – und blieben

Wenige Kilometer von hier stand (und steht) der Ort Oświęcim – der polnische Name für Auschwitz. Mehr als die Hälfte der damals 13.000 Einwohner waren Juden, das Zusammenleben mit den anderen Konfessionen verlief eher reibungslos. Auschwitz hieß auf Jiddisch Oshpitizin, wörtlich: „freundliche“, ja, „liebliche Stadt“. Unheimlich.

Nachdem die Wehrmacht im September 1939 Polen überfallen hatte, gab es hier einige Monate lang das „Büro für legale Auswanderung“. Wer wollte, wer die Zeichen der Zeit erkannte und (teuer) dafür zu zahlen bereit war, konnte sich noch nach Palästina absetzen. Doch viele unterschätzten Hitler, sie ahnten nichts von dem Wort „Endlösung“ – und blieben. Bald war die Chance vertan, und der Weg von Oshpitizin ins Krematorium war 3041 Kilometer kürzer als jener ins Gelobte Land.

Deportationen in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau

Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager. Es wurde am 27. Januar 1945 durch Truppen der Roten Armee befreit. Bis dahin wurden dort mehr als eine Million Menschen ermordet.

Quelle: WELT/Sven Felix Kellerhoff/Sabrina Bracklow

Teresa erklärt ruhig, ohne einen Funken Pathos. Wie beruhigend. Normalerweise – synchron zum Wie-bin-ich-doch-erschüttert-Blick – kommt die Grabesstimme, eingebettet in makelloser Ergriffenheit. Sie scheint unersetzlich zu sein, sie verschafft das wohlige Gefühl der eigenen Rechtschaffenheit. Wer sich so aufführt, weiß nichts von sich.

Anzeige

Wir betreten unter der Inschrift „Arbeit macht frei“ das Lager. Es ist so kalt, dass ich den Notizblock wieder wegstecke, die blauen Finger wollen nicht schreiben. Teresa sagt, dass die Gefangenen im Winter jedoch weniger litten als die übrige Zeit. Die verordnete Zwangsarbeit hielt ihre Körper warm, aber im Sommer kamen die Hitze, die Moskitos, der ewige Schweiß und der unstillbare Durst.

Polen: Ein Tourist macht am Tor zum ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz ein Foto
Ein Tourist macht am Tor zum ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz ein Foto
Quelle: picture alliance / dpa/Klaus Blume

Stimmt das? Bis auf minus 15 Grad fiel das Thermometer hier, dazu die berüchtigten Eiswinde. Ich erlaube mir, eine kleine Geschichte zu erzählen.

Erinnerungen an Chile unter Diktator Augusto Pinochet

In den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts reiste ich per Bus von La Paz, der Hauptstadt Boliviens, nach Arica, im Norden Chiles gelegen. Knapp 500 Kilometer. Hinter Chungara–Tambo Quemado lag der Grenzübergang, auf einem Pass der Anden, über 4000 Meter hoch. Es war bereits dunkel, als wir um 20.30 Uhr ankamen. Um die folgende Szene besser zu verstehen, noch der Hinweis, dass zu dieser Zeit der fleißige Kirchgänger, präsidiale Folterknecht und Schreibtischmörder Augusto Pinochet das Land regierte.

Wir müssen den Bus verlassen und unser Gepäck auf einen langen Tisch legen, uns anschließend hintereinander in gerader Linie aufstellen. Alle. Alte, Schwangere, Kleinkinder. Im Hintergrund stehen spärlich beleuchtete Häuser, überall Soldaten, eingemummt in dicke Mäntel, dicke Stiefel.

Es schneit, eine aggressive Kälte herrscht. Bellende Lautsprecherdurchsagen, bellende Hunde. Die meisten der Passagiere sind auf den radikalen Temperaturumschwung nicht vorbereitet. Doch niemand beschwert sich, weder die Ausländer noch die Chilenen. Sie wissen, was sie ein falsches Wort kosten könnte. Nach einer Viertelstunde gerät mein leicht bekleideter Körper außer Kontrolle, die Knie beginnen zu flattern, ich hüpfe von einem Bein auf das andere, die flachen Schuhe füllen sich mit Schnee. Mit beiden Händen knete ich mein gefrorenes Gesicht.

Wer aufgerufen wird, muss vortreten und auf sein Gepäckstück zeigen. Jedes einzelne Teil wird herausgenommen und geprüft. Auf staatsfeindliches Material. Nach eineinhalb Stunden – stehend, wartend, durchgehend damit beschäftigt, nicht zu erstarren – bin ich an der Reihe. Ich Glücklicher, denn hinter mir zittern weitere zehn.

Meine (harmlosen) bolivianischen Tageszeitungen werden wortlos konfisziert, der Pass Seite für Seite gecheckt, dann die barsche Aufforderung zu unterschreiben, dass ich als „Tourist“ (und nicht als kommunistischer Guerillero) einreise, dann der Stempel, dann meine paar Sachen einpacken, dann kurz nach 22 Uhr zurück in den Bus rennen. Wie von Sinnen reibe ich den Körper, er muss wieder funktionieren. Viele wimmern vor Kälte.

Anzeige

Würde ich nun behaupten, das war mein Mini-Auschwitz: Es wäre nur lächerlich. Denn nie war mein Leben in Gefahr, nie war ich als Zwangsarbeiter hier beschäftigt, nie quälte mich der Gedanke, dass ich morgen vielleicht in der Gaskammer verschwinde. Addiere ich aber zu den neunzig erlebten Minuten jede Stunde, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat und jedes Jahr, die ein Inhaftierter im Todeslager verbrachte, addiere die Angst und die Gewissheit, täglich von uniformierten Barbaren überwacht und bedroht zu sein, dann will mir scheinen, dass die Winter in Auschwitz nicht erfreulicher waren als die Sommer. Und dass nur diejenigen vom Irrsinn des Rassenwahns zu berichten imstande sind, die sich mittendrin befanden. Und davonkamen.

Die Kirche hat sich diskret zurückgehalten

Tags zuvor hatte ich den Satz gelesen: „Dieser Ort sei allezeit Aufschrei und Mahnung an die Menschheit.“ Der Konjunktiv stimmt, „sei“. Denn an Erziehung durch Mahnung ist schwer zu glauben. Schon vor Auschwitz gab es – Tausende Jahre lang – weltweit bekannte Gräuel und Menschenschlächtereien, und nicht Millionen „ermahnende Erinnerungen“ haben auch nur eine einzige Leiche hier verhindert.

Die Bestialität gehört zu uns. Wer davon nichts wissen will, erliegt ihr schneller als andere. Wie sagte es Primo Levi, der überlebte und sich irgendwann selbst das Leben nahm? „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“

Stichwort Verrohung. Bei einem Besuch von Yad Vashem, der Shoah-Gedenkstätte nahe Jerusalem, las ich einen Text über Papst Pius XII., in dem dessen „moralisches Versagen“ erwähnt wird: Weil er es unterlassen hatte, öffentlich gegen die Deportation der römischen Juden nach Auschwitz Stellung zu nehmen.

Der Vorwurf ist ein alter Hut, die Kirche hat sich als Widerstandskämpferin diskret zurückgehalten, wenn sie nicht direkt kollaboriert hat. Aber viel erstaunlicher sind die folgenden Zeilen: „The lack of clear guidance left room for many to collaborate with Nazi Germany, reassured by the thought that this did not contradict the Church’s moral teachings.“

Das ist hochinteressant, denn da steht nichts anderes, als dass viele Nazideutschland zuarbeiteten, weil der ausdrückliche Hinweis – „Vorsicht, keine Juden morden!“ – vonseiten der Kirche nicht eintraf. Denn allein käme niemand auf diese Idee.

Man will sich bisweilen vor der Menschheit fürchten.

Der Vollständigkeit halber: Nach dem Krieg, nach dem Holocaust, war der Vatikan fleißig damit beschäftigt, entkommenen Nazischergen (bevorzugte Religionszugehörigkeit: katholisch) falsche Papiere auszustellen. Um ihnen die Flucht – vornehmlich – nach Südamerika zu ermöglichen.

„Ich war nur der Leiter des Vernichtungslagers Auschwitz“

Wir kommen an der „Schwarzen Wand“ vorbei, hier wurde per Genickschuss – nur eine Kugel, bitte! Munition sparen! – erschossen. Nicht weit daneben der Galgen, an dem Rudolf Höß – erster Kommandant und Katzenliebhaber – am 16.4.1947 gehängt wurde. Ganz nah seiner schmucken Villa. Um sich vor dem Strang zu retten, hatte der Sechsundvierzigjährige beim Prozess zu Protokoll gegeben: „Ich habe niemanden getötet, ich war nur der Leiter des Vernichtungslagers Auschwitz.“

Über den Appellplatz, auf dem jeden (frühen) Morgen die Unzähligen antraten, um gezählt zu werden – und um die in der Nacht Verendeten zu melden. Vorbei an den Stehbunkern, in denen ein Verurteilter so lange stand (es war zu eng zum Sitzen), bis er stehend vom Tod erlöst wurde.

Die Zeugin – Wie Éva Fahidi den Holocaust überlebte

Fast sechzig Jahre lang schwieg Éva Fahidi über ihre Erlebnisse im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo ihre jüdische Familie ermordet wurde. In der Dokumentation „Die Zeugin – Wie Éva Fahidi den Holocaust überlebte“ schildert sie im Interview mit Mathias Döpfner ihren Lebensweg.

Quelle: WELT

Vöglein zwitschern, es ist kalt, doch die Sonne scheint, die Welt ist blau und schön. Auschwitz ist heute ein Fake, so still und friedlich sieht es aus, so „gepflegt“. Sollte man nicht alles verkommen lassen und zwischen den Ruinen Leinwände aufstellen, auf denen Bulldozer zu sehen sind, die tonnenweise Skelette in Massengräber schieben? Wäre die Ahnung des Bösen dann inniger, wahrer?

Wir gehen entlang der breiten Glasscheiben, dahinter liegen die geschorenen Haare, die Schuhe, die Brillen, die Kleider der Hingerichteten. Wie soll ein Mensch sich Hunderttausende tot Geschundener vorstellen? Mich überfordert schon ein Hund, der gequält wird.

Blick durch „das Tor des Todes“ in Birkenau

Mit dem Bus ins drei Kilometer entfernte Auschwitz II, weltberühmt unter dem Namen Birkenau, auf Polnisch: Brzezinka. Wo im großen, industriellen Stil ausgerottet wurde. Blick durch „das Tor des Todes“ – man hat es bereits auf so vielen Fotos gesehen –, durch das die Züge bis zur „Judenrampe“ rollten.

Dr. Mengele stand oft dort, er liebte den „Rampendienst“. Und entschied in Minutenschnelle und nach Augenschein zwischen Leben, sprich, „arbeitsverwendungsfähigem“, und Tod, sprich, „unwertem Leben“. Mit dem Hinweis, die „ausgemusterten“ Frauen, Kinder und Männer zu entlausen, ging es entlang der Schilder „Zum Bade“ oder „Zur Desinfektion“ mitten hinein in ein kahles Verlies mit Duschkopfattrappen. Dann öffnete in einem Nebenraum der zuständige Arzt die Ventile der Gasflaschen – und das „Schädlingsbekämpfungsmittel“ Zyklon B strömte ein: Tod durch Ersticken.

Besucher betrachten ein Foto von Kindern, die Opfer der Experimente von Dr. Mengele wurden
Besucher betrachten ein Foto von Kindern, die Opfer der Experimente von Dr. Mengele wurden
Quelle: picture alliance / NurPhoto/Beata Zawrzel

Teresa erzählt, und die Vöglein zwitschern noch immer. Du hörst, was sie sagt, und du begreifst nichts. Du nimmst es zur Kenntnis, mehr geht nicht. Das Herz will es nicht glauben.

Hinüber zu den Ziegelbaracken der Frauen. Die Behausungen der Männer und die „Judenrampe“ sind verschwunden. Sie waren aus Holz, das frierende Polen nach dem Krieg als Brennstoff verwendeten.

Bei den weiblichen Gefangenen standen die „Betten“ übereinander. Nur Bretter, etwa zwei mal zwei Meter für je zwölf Personen. Unten schliefen sie auf dem Boden. In der Unterkunft, in der wir stehen, hatte die SS jene Frauen untergebracht, die sie für arbeitsuntauglich hielt – doch aus unerfindlichen Gründen nicht tötete. Hier sollten sie unauffällig verrecken. War kein Platz mehr, auch dann nicht, wenn die Mageren noch magerer wurden, stellte man sie im Hof ab. Ohne Dach und ohne Bretter. Dort starb es sich rascher.

Eine Flöte oder ein Cello als Waffe gegen den Irrsinn

Mir fällt die Geschichte vom „Mädchenorchester von Auschwitz“ ein, das 1943 gegründet wurde. Aber ja, sogar Bestien lassen sich von Musik anrühren. Maria Mandl – Oberaufseherin im Frauenlager, intelligent, verroht und nach dem Krieg verurteilte und gehängte Kriegsverbrecherin – setzte sich vehement für dessen Gründung ein.

Jüdische Frauen und Mädchen aus verschiedenen Ländern spielten zu den Appellen zwischen fünf und sechs Uhr auf, anschließend, um den Abmarsch der Arbeitskolonnen zu begleiten. Damit sie mit Schwung die Fron antraten, die sie früher oder später vernichten sollte. Selbstverständlich wurde lautstark musiziert, wenn NS-Bonzen zu Besuch kamen oder persönliche Wünsche der Henker erfüllt werden mussten. Dann gab es ein Ständchen in den Privatquartieren. Mengeles Lieblingsstück war Träumerei von Robert Schumann.

Was Musik alles kann. Sogar vor einem schnellen Tod bewahren. Die Frauen und Mädchen waren in Sicherheit vor den Gasöfen. Die meisten überlebten tatsächlich bis zur Befreiung. Weil sie als Künstlerinnen gebraucht wurden und Musik sie durch die infernalen Jahre behütete. Eine letzte Heimat, nur virtuell, nur Töne, nur Klang. Und eine Geige oder eine Flöte oder ein Cello als wundersame Waffe gegen den Irrsinn auf Erden.

Die bekannteste Leiterin der etwa fünfzig Musikerinnen war Alma Rosé, Konzertgeigerin, Tochter einer berühmten Dirigentenfamilie, Nichte von Gustav Mahler – mit der tätowierten Nummer 50 381. (Sie starb in Auschwitz, wahrscheinlich vergiftet.) Sie spielte auch abends, heimlich, vor ihren Mitgefangenen. Um die Ausweglosigkeit zu verdrängen. Die eigene, die der anderen.

Sich nach einem grausigen KZ-Tag von der Pritsche aufzuraffen und im Namen der Menschenwürde für alle Anwesenden Chopins – einer von Almas Lieblingskomponisten – Nocturne Nr. 20 cis-Moll zu spielen: Das ist ein Akt der Liebe, ein Geschenk für jede, die es hört.

Herzlicher Abschied von Teresa. Ich will mein Standvermögen nicht überfordern. Mehr Grausamkeit geht nicht. Nicht heute. Doch morgen komme ich wieder. Für das nächste Kapitel Wahnsinn.

Ich fahre zurück nach Krakau, knapp siebzig Kilometer entfernt. Die Stadt ist wunderschön. Ob Schönheit, wie Dostojewski meinte, die Welt rettet? Auf jeden Fall tröstet sie.

Wer immer nach Auschwitz kommt, wird von einer dunklen Stimme heimgesucht. Sie stellt die einfache Frage: „Wie hätte ich mich damals, in den finsteren Zeiten, verhalten?“ Mitgelaufen und/oder mitgemordet – wie die überwältigende Mehrheit? Oder in die „innere Emigration“ verschwunden, sprich, stillgehalten und weder durch Wort noch Tat an der Raserei teilgenommen? Oder mit Leib und Seele ins ferne Ausland geflohen, unwiderruflich davon überzeugt, dass Hitler, Himmler und Konsorten Deutschland und Europa in den Abgrund hetzen? Oder heldenhaft mein Leben riskiert und mich als Widerstandskämpfer anheuern lassen?

Natürlich gibt es keine Antwort.

Der Text ist ein leicht gekürzter Auszug aus dem gerade erschienenen Buch „Morning has broken – Leben, Reisen, Schreiben“ von Andreas Altmann, Piper-Verlag, 272 Seiten, 22 Euro.

„Morning has broken – Leben, Reisen, Schreiben“ von Andreas Altmann, Piper-Verlag, 272 Seiten, 22 Euro
Quelle: Piper Verlag


An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema