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Der Platzwart, das größte Mysterium des Amateurfußballs

Kombo Verrückte Torlinie Stephan Flohr Kombo Verrückte Torlinie Stephan Flohr
Ein Platzwart ist nicht wegzudenken aus dem Amateurfußball, findet WELT-Redakteur Stephan Flohr. Ganz gleich, wie er seinen Job interpretiert
Quelle: picture alliance / dpa/ Karsten Tschernich; Claudius Pflug
Ich spiele Fußball. Seit über 30 Jahren kämpfe ich auf Berlins Plätzen. Mit dem Ball, dem Gegner und den Platzwarten. Die sind immer knorrig, aber im Herzen freundlich. Und sie haben den Schlüssel zum Bier.

Das Gejohle war groß. Nicht aus Schadenfreude, sondern aus purem Selbsterhaltungstrieb. Wie immer, wenn ich im Training den Ball über den Zaun hinter dem Tor gejagt hatte. Zum Ende des Trainings waren bei uns Schussübungen obligatorisch. Am beliebtesten waren die Übungen, bei denen der Ball kurz vor dem Abziehen auftropfte. Denn bei Dropkicks war die Wahrscheinlichkeit, den Ball auf die Hauptstraße zu jagen, am größten.

Und ich habe ihn oft in Richtung südliche Stadtgrenze gepöhlt. Warum sich meine Mannschaftskameraden freuten? Weil jeder Fehlschuss der Dehydrierung nach dem Training entgegenwirkte. Ein Ball über den Zaun gleich ein Eimer Bier – eine einfache, aber geniale Rechnung.

Jeder Ernährungsberater wird bestätigen, dass man nach dem Sport keine Zeit verlieren sollte, die Speicher wieder aufzufüllen. Der mühsame Gang zum Späti oder zur Tankstelle hätte kostbare Minuten verschwendet. Ein Fakt, von dem besonders einer profitierte und ihn auch ausgenutzt hat: der Platzwart. Er baute sein Kabuff zu einem mittelgroßen Getränkeimperium aus. Sechs Bier im Eimer gab es für neun D-Mark und irgendwann dann für acht Euro. Die Mehrwertsteuer war bestimmt immer inklusive, obwohl wir nie eine Quittung bekommen haben.

Der geheime Kühlschrank war nur eines der vielen Mysterien, die das Kabuff des Platzwarts in sich barg. Es scheint, als gäbe es bei Ikea den Bausatz „Pløtzwørt“. Egal wo, sie waren sich alle verdammt ähnlich. Der Herrscher über Kabinen, Plätze und den Ballschrank thronte immer auf einem durchgesessenen Schreibtischstuhl, dessen braunes Polster nur noch zu erahnen war.

Fürwahr, das Leben als Platzwart ist kein Zuckerschlecken
Fürwahr, das Leben als Platzwart ist kein Zuckerschlecken
Quelle: pa/augenklick/firo Sportphoto/Jürgen Fromme

Auf seinem vergilbten Sperrholzschreibtisch dudelte durchgängig ein Radio, das neben Flitzerblitzern und überschaubar witzigen Telefonstreichen den Raum mit den größten Hits von ganz früher, heute und morgen versorgte. Die obligatorischen Spritzer mit weißer Wandfarbe auf dem Radio bewiesen, dass hier gearbeitet wurde.

Drei Kubikmeter Kantholz am Schlüssel

Richtig viel Arbeit steckte auf jeden Fall in der Wanddekoration des Platzwartreichs. Zwischen den Platzwarten der Hauptstadt musste ein Wettkampf existieren, wer den lustigsten Spruch über Arbeit an den rauchgeschwängerten Wänden hatte. Und wie lustig sie alle waren – mein Gott, ich konnte vor Lachen kaum Fußball spielen: „Jeder Dritte, der sich beschwert, wird erschossen. Zwei waren heute schon da!“ Oder: „Ich gebe bei der Arbeit immer 100 Prozent – montags 30, dienstags 15, mittwochs 15 …“ Noch einer? Tut mir leid, der muss sein: „Ich lasse mich nicht hetzen, schließlich bin ich bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.“

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Das Gute war, dass ich die Sprüche meist nicht sehen konnte. Bei richtig guter Sicht war maximal der große Schlüsselkasten an der Wand hinter dem Schreibtisch zu erahnen. Aber meistens musste ich mich auf mein Gehör und meinen Tastsinn verlassen, wenn ich mich durch den Zigarettenqualm kämpfte. Vor Training und Spiel musste einer in die Räucherhöhle, um den Kabinenschlüssel abzuholen. Er hing immer entweder an einem praktischen Kantholz, das ungefähr drei Kubikmeter groß war, oder an einer gefühlt sechs Kilo schweren Eisenstange. 

Der notorische Zuspätkommer, der als Letzter aus der Kabine gekommen war, gab den Schlüssel dann wieder im Kabuff beim Chef ab, der zumeist einen Trainingsanzug und Stiefel trug. Komischerweise fand der Schlüssel dann nie wieder den Weg in den monströsen Kasten, sondern lag zwei Stunden zumeist unbewacht auf dem Schreibtisch. Nicht so wild, hinter der Kabinentür lagerten ja nur unsere Portemonnaies, Handys und Schlüssel.

Ich habe nur eine Platzwartin getroffen

Wo der Platzwart in der Zeit war? Keine Ahnung. Ich weiß nur, wo er nicht war – auf den Toiletten. Ich kenne kaum einen Fußballplatz Berlins, auf dem jemals das Toilettenpapier gereicht hätte. Besonders nicht vor dem Spiel am Sonntagmorgen. Nie, aber auch nie war Toilettenpapier da. Genauso wenig wie das Ventil für die Ballpumpe. Irgendwo in der Hauptstadt muss es eine riesige Lagerhalle geben, in der Toilettenpapier, Luftpumpenventile und die passenden Schlüssel für die Schlösser, mit denen Tore aneinandergekettet werden, gestapelt werden.

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Aber Eckfahnen, Hütchen, Fahnenstangen und Bälle waren immer da und die Duschen warm. Um die haben sich die meist knorrigen Kerle (ich habe nur eine Platzwartin getroffen) immer gekümmert. Und seit dem allgemeinen Rauchverbot ist der Weg zum Bierkühlschrank auch wieder angenehmer. 

Ach ja, die Biereimer waren die gleichen, die bei Spielen im Sommer mit Wasser gefüllt am Rand standen. Ich stand meist schon nach zehn Minuten am Rand, habe mir Wasser in den Nacken geschüttet und einen kräftigen Schluck genommen. Ich habe nicht einmal gesehen, dass die Eimer ausgespült wurden. Ich darf mich aber nicht beschweren. Schließlich hatte ich oft genug die Gelegenheit, sie zu säubern, so häufig wie ich den Ball über den Zaun gejagt habe.

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