Markus Merk, dreimaliger „Weltschiedsrichter des Jahres“, war komplett aus dem Häuschen. „Für den Video-Assistenten ist das ein Bewerbungsvideo des Jahres“, jubelte er auf „Sky“. Einen Orden hätte er Günter Perl („Was er da auf der Stelle entschieden hat, ist für mich bewundernswert“) wohl am liebsten verliehen, der sich in jener 25. Minute der Partie von Eintracht Frankfurt gegen den HSV eingeschaltet hatte. Da hatte der Hamburger Aaron Hunt einen messerscharfen Pass auf Tatsuya Ito gespielt, der zum vermeintlichen 1:0 der Hanseaten eingeschoben hatte.
Doch der Jubel der Hamburger währte nicht lang. Schiedsrichter Deniz Aytekin griff sich ans Ohr, malte dann das berühmt-berüchtigte Rechteck in die Luft und kassierte den Treffer wieder ein: Entscheidung nach Videobeweis - eine Abseitsstellung von Ito hatte Videoassistent Günter Perl ihm ins Ohr vermeldet.
Es ist möglich, dass diese Entscheidung richtig war. Aber selbst die hochaufgelöstesten Fernsehbilder konnten das nicht endgültig belegen. Eine dort eingeblendete Linie lässt erahnen, dass der HSV-Japaner eventuell um Brusthaaresbreite im Abseits stand. Vielleicht aber auch nicht.
Und hier beginnt das Problem. Die Videoassistenten haben keine Linie, mit der sie Abseits messen können. Eine solche war zwar mal geplant, ist bislang aber technisch nicht sicher umsetzbar. Günter Perl in der Kölner Videozentrale musste also Pi mal Daumen schätzen, ob Ito im Abseits stand.
Konnte er es mit Sicherheit sagen? Wohl kaum, wenn selbst mit der (nicht kalibrierten) TV-Linie keine klare Entscheidung möglich ist. Dementsprechend lag keine klare Fehlentscheidung vor, und nur bei dieser darf sich der Videoassistent einschalten.
Warum Markus Merk also hier einen triumphalen Sieg des Videobeweises sah, bleibt sein Geheimnis. Die Entscheidung, dem HSV das Tor abzuerkennen, ist vielmehr desaströs, denn sie steht genau dafür, wie der Videobeweis nicht funktionieren sollte.
Assistent, kein Oberschiedsrichter
Die Videomänner in Köln sollen Assistenten des Hauptschiedsrichters sein und keine Oberrichter, die im Hintergrund den Daumen heben oder senken. Wenn aber nun ein Videoassistent anhand eines vagen Gefühls - denn mehr kann es nicht gewesen sein – seinem Chef empfiehlt, ein Tor abzuerkennen und der, ohne die Entscheidung noch einmal am Spielfeldrand auf dem Bildschirm zu überprüfen, dieser Empfehlung folgt, ist das verheerend.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der HSV in Frankfurt gepunktet hätte, wenn das Tor gezählt hätte und die Hamburger in Führung gegangen wäre. Zumindest hätte das Spiel vermutlich einen anderen Verlauf genommen. So verloren die Hanseaten 0:3 und stehen mit anderthalb Beinen in der zweiten Liga.
Unabhängig von der fatalen Wirkung dieser Entscheidung hat Videoassistent Günter Perl dem Projekt einen Bärendienst erwiesen. So gut und richtig der Videobeweis ist, wenn er grobe Fehler der Schiedsrichter eliminiert, so dramatisch ist es, wenn ihm auch nur ein Hauch von Willkür anhaftet – wie in diesem Fall.